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SERIE/007: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 5. Brief - Transport


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 5. Brief

Transport


Nachdem ich am 23. Februar 2007 verhaftet wurde und dreieinhalb wahrlich unvergessliche Tage im Gefängnis - Kerker wäre auch nicht übertrieben - des Münchner Polizeipräsidiums in der Ettstraße verbringen musste, wurde ich am 26.2. in das Frauen- und Jugendgefängnis München-Neudeck gebracht. Keine weltbewegende Aktion, für mich aber eine völlig neue Erfahrung. Schon das Verladen in den Bus in der Ettstraße erinnerte mich vage an einen Viehtransport. Es läuft alles kalt und unpersönlich ab. Die Namen werden gecheckt, dann im Befehlton "Einsteigen, da hinsetzen." Das Wort 'Bitte' ist hier überflüssige Dekoration, auf die man verzichtet, zumindest uns gegenüber. Wie dünn und brüchig doch der Lack der Höflichkeit ist, naja, egal, Hauptsache ich komme endlich weg hier. Wir Gefangenen sitzen auf ziemlich engem Raum zusammen und ich fühle mich dabei ausgesprochen unwohl. Unter anderem auch, weil ich das Gefühl habe, nach dem ungewaschenen langen Wochenende und fast vier Tage lang nicht gewechselter Kleidung fürchterlich zu stinken. Auch bin ich müde und schlapp, habe dank der dauerbeleuchteten Zelle kaum geschlafen, kaum etwas gegessen, dazu kam noch die völlige Isolation und die Ungewissheit darüber, wie es weitergehen wird. Ich habe Angst, ich war ja noch nie im Gefängnis und hatte meinen Anwalt bei seinem letzten Besuch gefragt, was in Neudeck für Leute sind "Auch Mörder?". "Alles" hat er geantwortet und dann noch angefügt: "Sagen Sie allen nett und freundlich 'Guten Tag' und halten Sie sich aus Streitereien heraus, dann haben Sie auch keine Probleme."

Als er sich dann verabschiedete, hatte ich das gleiche Gefühl wie damals, als meine Mutter mich das erste Mal im Kindergarten abgegeben hat, wegging und mich allein zurückließ - Panik. Der große justizgrüne Bus schaukelt mit uns durch die Stadt in Richtung der JVA Neudeck, die am Fuße des Nockerbergs gleich neben dem Maria-Hilf-Platz liegt. Durch die schmalen Sehschlitze versuche ich draußen so viel wie möglich zu erkennen. Wenn ich früher, das heißt noch vor vier Tagen, einen dieser großen geschlossenen Busse mit der Aufschrift "Justiz" gesehen habe, schwankte ich zwischen Neugier, Mitleid und Ablehnung. In den Gesichtsausdrücken der Passanten, die uns jetzt an- oder nachschauen, glaube ich ähnliche Gefühle zu erkennen. Zwischen den Beamten im vorderen Teil des Busses und uns befinden sich abschließbare Türen und Trennwände und auch eine unsichtbare Wand steht deutlich spürbar zwischen uns. Sie sind Staatsdiener und fühlen sich als Repräsentanten der rechtschaffenen und ehrbaren Bürger, wir sind die Verbrecher. Uns trennen nicht nur Türen und Uniformen, ein Hauch von gegenseitiger Verachtung ist spürbar. Der Weg ist nicht weit und schon bald fahren wir durch ein großes Stahltor, eingelassen in eine von NATO-Draht gekrönten Mauer, auf das Gelände der JVA Neudeck. "Aussteigen." Wieder im Kommando-Ton. Draußen wird uns keine Zeit gelassen, uns auch nur kurz umzuschauen. Sofort werden wir ins Gebäude gebracht, keine Chance nicht zu gehorchen. Solche Situationen kenne ich nicht, ich war immer mein eigener Herr. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich naiverweise noch daran, bei einem in Kürze bevorstehenden mündlichen Haftprüfungstermin eine Chance zu haben, bis zu meiner Gerichtsverhandlung auf freien Fuß zu kommen. Mein Anwalt klang zuversichtlich. Zum Glück weiß ich noch nicht, dass dieser Termin sich als bedeutungslose Formalität entpuppen wird und dass ich achteinhalb Monate in Neudeck gefangen sein werde.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2008