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SERIE/015: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 13. Brief - Mündliche Haftprüfung


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 13. Brief

16.3.08

Mündliche Haftprüfung


Schon am Tag nach meiner Verhaftung musste ich noch im Polizeipräsidium in der Ettstraße einem Haftrichter, der in diesem Fall eine Richterin war, vorgeführt werden. Als diese den bestehenden Haftbefehl nicht außer Kraft setzte, erklärte mein Anwalt sofort, daß wir eine mündliche Haftprüfung, die innerhalb von 2 Wochen erfolgen muss, beantragen.

Jetzt sitze ich in Neudeck und endlich ist es soweit. Sehnsüchtig habe ich auf diesen Tag gewartet. Die Haftprüfung findet im Amtsgericht statt und mein Anwalt gab sich höchst optimistisch. Richter M. wäre ein netter, älterer Herr, der in Kürze in Rente ginge. Er würde mir geduldig zuhören und wäre auch für eine unpopuläre Entscheidung gut. Am Tag vor dem Termin bekomme ich meine Privatkleidung ausgehändigt, die, in der ich verhaftet wurde. Ich bügle sie abends noch auf und verbringe eine unruhige Nacht mit wenig Schlaf. Früh um sieben werde ich in eine Wartezelle gebracht, in der schon einige andere Gefangene sitzen. Als endlich der große, grüne Justizbus vorfährt, muss ich in die Einzelkabine, die direkt hinter dem Fahrer eingerichtet wurde und werde fast noch einmal zusätzlich eingesperrt. Gelte ich als gefährliche Terroristin? Direkt vor meiner Nase hängt ein großes Schild "Rauchen verboten. Bei Zuwiderhandlung erfolgt Anzeige". Die 3 Männer vor mir auf der Fahrerbank qualmen wie die Schlote. Aha, das also ist der kleine Unterschied. Mir ist's egal, ich bin eh Nichtraucherin. Während wir dem Amtsgericht entgegenschaukeln, schaue ich, so gut es geht, durch die schmalen Seitenschlitze nach draußen, als wir dort ankommen, werde ich sofort allein in eine gekachelte, kahle Zelle im Sicherheitstrakt gebracht - eine Holzbank, eine in der Wand befestigte Tischplatte, weiter nichts. Um 9 Uhr ist der Termin angesetzt, ich habe keine Uhr und je länger ich warte, desto nervöser werde ich. Es ist heiss in der Zelle, die Luft ist zum Schneiden dick, Fenster gibt es hier ja nicht. Mir ist schlecht und es wird immer schlimmer. Auch das noch. Ich lege mich rücklings platt auf die Bank und zum Glück fühle ich mich nach ein paar Minuten wieder besser, so daß mich wieder hinsetzen kann. Mein Anwalt kommt kurz herein, sagt, ich soll dem Richter all das erzählen, was mich zu meinen Taten bewogen hat, dann geht er wieder "Bis gleich". Wieder warten, dann werde ich von uniformierten Beamten geholt und in Handschellen in eine Art Großraumbüro geführt. Was für ein Gefühl, wie ein angeleinter Hund. Zuerst sehe ich Staatsanwalt S. dasitzen, er war der Erste, der bei meiner Verhaftung in die Wohnung stürmte. Er nickt mir zu, ich reagiere nicht darauf. Neben ihm sitzt ein smarter, anzugtragender Herr, der mich kühl mit undurchdringlicher Miene mustert. Auch mein Anwalt ist da. Die Hauptperson, Richter M., ein älterer, grauhaariger Mann, thront hinter seinem Schreibtisch. Wir geben uns die Hand, gleich darauf sagt er, daß wir keine Chance haben. In der heutigen Zeit hätte er keinerlei Verständnis für meine Aktionen. Ich werde überhaupt nicht gefragt, ob ich mich äußern will und habe das Gefühl, mir würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Meinem Anwalt ist die Kinnlade heruntergefallen, er steht sprachlos da. Das war's. Der Richter gibt mir noch einmal die Hand und sagt, daß das ja nun sehr hart für mich wäre. Ich bin unendlich enttäuscht, könnte auf der Stelle losheulen, aber den Gefallen tue ich ihnen nicht und nehme den letzten Rest meiner Selbstbeherrschung zusammen. So kühl, wie es mir noch möglich ist, sage ich nur "Ich habe damit gerechnet", mehr bringe ich nicht mehr heraus. Während ich stumm dastehe, findet mein Anwalt seine Sprache wieder und plaudert angeregt mit Richter M. über dessen schönen neuen Computer, auf den der sehr stolz ist. Ich fühle mich verraten und verkauft. Das also war meine Haftprüfung. Weder wurde geprüft, ob Flucht- noch ob Verdunkelungsgefahr besteht. Richter M. war meine Tat unsympathisch, das reichte. Warum hat mein Anwalt nicht protestiert? Andererseits war es wohl grenzenlos naiv von mir, ernsthaft zu glauben, sie könnten den Haftbefehl aufheben. Morgen hätte in der Boulevardpresse gestanden "Richter lässt Bombenlegerin frei".

Wieder werden mir Handschellen angelegt, mein Anwalt raunt mir noch zu, daß er morgen zu mir ins Gefängnis kommt, dann werde ich zurück in die Wartezelle geführt. Dort sitzt überraschenderweise schon meine Zellengenossin F., die Senegalesin. Sie hat ihre Sonntagskleidung an und weint. Auch mir ist zum Heulen zumute und ich setze mich ans andere Ende der Holzbank. Ich will nur meine Ruhe haben; sie offenbar auch. Großartig unterhalten können wir uns eh nicht, weil sie weder Deutsch noch Englisch spricht. Später erfahre ich, daß F. 5 Kinder und einen sehr alten Ehemann hat, die alle im Senegal leben. Jetzt soll sie wegen eines Zollvergehens 2000,- Euro bezahlen. Ein Vermögen für sie, das sie nicht hat.

Als mich mein Anwalt am nächsten Tag in Neudeck aufsucht, sagt er "So wie gestern habe ich Richter M. noch nie erlebt. Ich weiß nicht, ob er nicht wollte oder nicht durfte".


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2008