Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/047: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 15.07.2007 bis 29.07.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

9. Teil - 15.07.2007 bis 29.07.2007


15.7.07

Ein heißer Tag mit blauem Himmel. Heute war von 12.15 - 15.00 ein Konzert im Hof, eine Rockband, die sehr sympathisch war und toll gespielt hat, u.a. auch Songs von den "Beatles", die ich so gern mag - Vielleicht die letzte Live-Musik für mich. Die Afrikaner waren ganz aus dem Häuschen und auch die Jamaikanerin, meine Leidensgenossin aus den Katakomben in der Ettstraße, an die ich immer mit Schrecken denken werde.


16.7.07

Heute morgen habe ich beim "Hofgang" neben A. auf der Bank gesessen, erzählt, dass ich meine Gerichtstermine Ende August habe und wollte gerade sagen: "Naja, wenigstens habe ich niemanden umgebracht", als mir das Wort im Hals stecken blieb : Sie hat! Mittags war ich wieder bei Frau T., die mich über alles möglich ausfragt, heute über meine Ex?-Auswanderpläne. Warum nicht, wenigstens eine Abwechslung. Habe zur Zeit mächtige Knieprobleme, vielleicht durch mein joggen in der Zelle oder das Federballspielen. Hab mich morgen für die Schwester angemeldet und will versuchen, dass ich zum Orthopäden nach Stadelheim gehen kann.


19.7.07

Eine unglaublich schwüle Hitze zur Zeit. Ich bin klatschnass geschwitzt. Trotzdem waren M. und P. gestern wieder da, die Treuesten der Treuen. Gestern hatte mich J. gefragt, ob sie mal kurz in meine Zelle kann, weil sie mit ihrer Freundin, der Kampflesbe Kontakt aufnehmen wollte. Ich habe es ihr erlaubt. "Macht, was ihr wollt, ich weiß von nichts." Daraufhin wurde heute meine Zelle "gefilzt" und nachmittags beim Aufschluß zugesperrt, solange ich draußen war. "Sie sollen doch keine Probleme bekommen". Irre, wie das Informationssystem bei den Beamten funktioniert! Totale Überwachung. Habe heute erfahren, dass Fr. T. jetzt 2 Wochen Urlaub hat. Am Montag sagte sie noch, die 6 Wochen bis zur Verhandlung würde ich doch auf einer "Arschbacke" absitzen. Sie hat leicht reden, sie sitzt nicht hier. Zur Zeit stoße ich wieder an meine Grenzen hier drinn. Fr. S., die Sozialarbeiterin, sagte heute morgen zu mir, als Antwort auf meine Bemerkung, ich würde mich vor Gericht nicht total verbiegen, ich kann und will das nicht, "Sie sind zu altruistisch. Dann werden sie garantiert verknackt. Sie wissen, in was für einem Staat wir leben". - Ja, ich weiß. Heute nachmittag ist Mi. nach Albanien abgeschoben worden. Sie geht zusammen mit ihrem Mann nach Tirana zurück. Asylanträge abgelehnt (unter 1% werden in D bewilligt). Ihre beiden erwachsenen Kinder leben in Deutschland. Ich beneide sie, heute abend noch ist sie frei. Post bekomme ich auch keine mehr, entweder schreibt keiner oder der Richter hat Urlaub. Weiß der Teufel.


20.7.07

Wieder ist es drückend schwül, der Himmel wird langsam bleigrau. Wahrscheinlich ist ein Gewitter im Anzug. Mir soll's recht sein. Ich sitze in Unterwäsche in "meiner" Zelle und bin klatschnass. Die Zeit ist wie erstarrt, nichts passiert. Kein Anwalt, seit mehr als einer Woche kein Brief. Abgeschrieben und lebendig begraben. Der einzige Trost ist, dass andere hier genauso empfinden, so kann man sich untereinander ein bißchen trösten, oft genug nur mit Galgenhumor. An. aus Mazedonien, die wegen Banden-Drogenhandel hier sitzt wird ihren kleinen Sohn, der noch keine 2 Jahre alt ist voraussichtlich erst - außerhalb der Besuchszeiten - wiedersehen, wenn er schon längst in die Schule geht. Ich denke oft an H. und Australien, es ist noch kein Jahr her. Was ist so furchtbar für ihn, daß er sich seit fast 5 Monaten nicht einmal aus eigener Initiative gemeldet hat. Glaubt er, ich bin schuld an seinem Schlaganfall und an Muttis Elend? Immer die gleichen Fragen.


24.7.07:

Regen. Gestern habe ich von Mutti und H. gleichzeitig Post bekommen und mich natürlich auch besonders über H.s Brief gefreut, er hat nett geschrieben. Ansonsten läuft alles gleich ab, habe heute wieder 1 Stunde mit Frau T. geredet, was mir immer sehr gut tut, ebenso wie die "Atemgruppe", in die ich Montags gehe. Noch 34 Tage bis zur Verhandlung. Fr. T. hat gesagt, sie will kommen. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, eigentlich will ich niemanden bekannten sehen, aber vielleicht tut es ja doch gut - keine Ahnung. Von Hrn. F. oder seiner Vertreterin habe ich seit dem Kurzbesuch von ihm am 13. nichts gesehen, aber egal, irgendwann muss ja jemand auftauchen und im August ist ja dann eh üben mit Hrn. F. angesagt. Hoffe ich jedenfalls. Neulich habe ich beim Doktor im Wartezimmer gesessen und dort erfahren, dass es hier "normal" ist, dass die Regelblutung bei den meisten Frauen ausbleibt - wegen Streß.


29.7.07

Morgen in 4 Wochen ist die Verhandlung. Heute habe ich mit An., C. und Mo. ein bißchen "geübt". Sie haben mir gute Tips gegeben und mich das Ganze aus einem anderen Blickwinkel betrachten lassen, nämlich den des Staatsanwalts und des Richters. Interessant. Ich hoffe sehr, dass Hr. F. demnächst einmal auftaucht, d.h. nicht nur einmal und daß er mit mir bespricht, welche Strategie ihm vorschwebt.

Am Donnerstag habe ich mich etwas mit Fr. S. gezofft, weil vergessen wurde, mich zur Bastelstunde zu holen und ich schon den 2. Donnerstag hintereinander in der Zelle saß. Ich war nicht grob unhöflich, aber ziemlich sauer und sie ist jetzt deutlich reservierter zu mir. Ich weiß nicht, ob ich sie darauf ansprechen soll.

Angeblich, so wird geredet ist eine Kripo-Beamtin - als Häftling getarnt - auf unserer Station. Sie gibt sich ziemlich zickig und arrogant als reiche Tussi, die völlig zu Unrecht hier sitzt, nur weil sie sich mit einer Richterin angelegt hätte, wegen irgendeiner Kleinigkeit. Wer weiß?

Gestern hat A., die einen jungen Mann erstochen hat, mir beim Hofgang ihr Leid geklagt. Sie war jetzt beim berühmten forensischen Gutachter N. in der Psychiatrischen Uniklinik Nußbaumstraße. Diagnose: Borderline Syndrom. Sie sagt, sie kann sich nicht an ihre Tat erinnern. Jetzt droht ihr die Zwangseinweisung in die Psychiatrie, auch eine Mordanklage steht im Raum. Sie meint, von Freispruch bis Lebenslänglich wäre alles offen und hat eine gewisse Panik. Verständlich.

Gestern ist meine "Junge Welt" nicht gekommen, auf meine Nachfrage sagte die Beamtin, ich soll mal beim Postboten anfragen. Guter Witz! Wie denn? Telefonisch oder persönlich darf ich nicht, schriftlich - über den Richter - dauert es Wochen. Eigentlich eine Kleinigkeit, aber ärgern tut es mich trotzdem.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


*


Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2010