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SERIE/061: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 03.01.2008 bis 10.01.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

23. Teil - 03.01.2008 bis 10.01.2008


3.1.08

Nun hat das neue Jahr mit seinem Alltag angefangen. Überall hört man "Frohes neues Jahr", ich weiß, daß es für mich kein frohes Jahr wird, vielleicht - hoffentlich wird es mein letztes, ich mache wieder Pläne. Lieber sterbe ich, als noch drei Jahre wie ein Tier, eingesperrt in einem Käfig und als Krönung der Supergau, deutschen Beamten ausgeliefert zu sein. Ich will mich der Gehirnwäsche, zu der ja auch Isolierung und Abstumpfung gehören, ganz zu schweigen von der Eintritts-Unterwerfungszeremonie in der Kleiderkammer, nicht unterwerfen und werde niemals einer Beamtin beim Hofgang eine Decke unter den Hintern schieben, na gut, dass ist auch schon Extrem-Arschkriecherei, aber auch der Austausch von Freundlichkeit ist mir schon zu viel, sogar ein "Guten Tag". Vielleicht denken sie, die Zeit arbeitet für sie, aber sie irren sich. Ich bin keins von den ehemals wilden, freien Tieren, die den Wärtern, die sie einsperren und gefangen halten, irgendwann die Hände ablecken! Was sagte Edward Kennedy (ein kluger Mann, der auch schon verurteilt wurde (wegen Drogen) einmal: "Macht kann einen Menschen verderben und zerstören, Machtlosigkeit aber genauso." So ist es.

Das Leben hier ist schrecklich, viele Junkies, total kaputte, primitive Leute und ein Haufen Lesben. Wen habe ich ausgerechnet auf "meinem"-Flügel wiedergetroffen? Superlesbe Al., die schon in Neudeck ein Horror für mich war. Geändert hat sie sich nicht, sie schreit und poltert herum wie eh und je. Gestern hörte ich laut aus irgendeiner Zelle "Gehst Du etwa fremd?", keine Ahnung, von wem. Die Sorgen möchte ich haben.

Unruhen in Kenia wegen angeblich manipulierter Wahlen. 50 Leute, die der "falschen" Volksgruppe angehörten, wurden lebendig in einer Kirche verbrannt, in die sie sich geflüchtet hatten. EU und USA spielen sich natürlich wieder in Kolonialherrenmanier auf und sagen den dummen Kenianern, was sie gefälligst tun sollen - eine Koalitionsregierung bilden. Über neue Anweisungen aus dem Westen wird sich die ehemalige Kolonie Kenia sehr freuen.

Komisch, die einzige von all meinen Reisen, bei der ein schaler Nachgeschmack zurückgeblieben ist, ist die Kenia-Tansania-Tour. Sicherlich ist das auch durch die schreckliche Reisegruppe bedingt, in die ich da hineingeraten war, aber in diesen Ländern habe ich einen so tiefen Graben zwischen den Menschen dort und mir (mit einigen Ausnahmen natürlich) gespürt wie noch nie vorher und nie nachher.


7.1.08

Bin heute morgen um 6.30 Uhr gleich mit der Russin N. zusammengerasselt, die sich als Hüterin des Mülls aufgemandelt hat, und mir verbieten wollte, ein paar Kalenderblätter aus dem Papiermüll zu nehmen. Ich habe es nach einem Wortwechsel trotzdem genommen. Derweil saß ihre Clique in der Küche und lachte. Wie es heißt, geht N. diesen Monat auf Therapie irgendwohin. Hoffentlich. Sie ist die Anführerin der Küchen-Clique und mir nicht geheuer.

Fr. T. war auch da und erzählte u.a. daß Mutti und H. wegen ihrem Testament nach Wegen suchen, etwas für mich zu retten. Die Guten!


9.1.08

Habe es gestern probiert mit 3 L und Bettdecke über dem Kopf. War enttäuscht, als ich aufgewacht bin. Früh wurde ich zur Friseuse geholt, die die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hat, darüber wie ich an meinen Haaren herumgeschnippelt habe. Sie schnitt mir dann einen superkurzen Schnitt, damit alles wieder gleichmäßig wächst. Hier drin ist's mir egal. Vorher trat wieder eine von den Frauen wie verrückt gegen die Tür und schrie wie ein Tier - es ist ein Stall voller Homo sapiens hier. Skuril.

Gestern hatte ich eine Karte mit Plan C und eine gemalte Glühbirne vor mein Türschild gesteckt. Eine Beamtin riss sie weg "So etwas wollen wir hier nicht". Auf meinen Einwand, daß an sehr vielen Türschildern etwas hängt kam "Das sind nette Sachen". Genau, Blümchen und Herzen malen, lieb und brav und nett sollen wir sein oder werden.


10.1.08

Heute war Drogenkontrolle - mit Hunden. Vormittags wurden wir auf den unteren Flur zitiert und die Gefangenen standen in einer Reihe da. Dann ging ein Beamter mit Hund die Reihe ab. Sie suchen nach Drogen, klar weiß ich das, aber das Bild war grauenvoll - wie in einem KZ. Gefangene in Reih und Glied, Uniformierter mit deutschem Schäferhund. Als er bei mir war sagte ich "Scheiß-Köter", die Hunde können natürlich - heute wie damals - nichts dafür. Trotzdem. Der Beamte schaut mich an "Haben Sie etwas gesagt?" Ich: "Haben Sie etwas gehört", "Ich dachte, Sie haben etwas gesagt". "Dann müssen Sie einmal ihre Ohren untersuchen lassen". Später pfeife ich die Melodie von "Die Gedanken sind frei" und eine neben mir stehende Beamtin fragt, ob ich den Hund irritieren will. Nein, mir tut das Lied nur gut. Ich frage, ob sie das Lied nicht kennt, es ist von Hugo von Hoffmannsthal (wenn ich nicht irre). Sie schweigt. Ich bin voller Aggressivität, frech und unverschämt. Hinterher zittere ich, schlinge mein Mittagessen ohne Appetit hinunter und streite mich dann auch noch mit einer jungen Frau auf dem Flur über uns. Wie soll das weitergehen? Beim Hofgang strahlender Sonnenschein und langes Federballspiel mit A. So oft wie heute habe ich noch nie gewonnen, vielleicht wegen meiner Aggressivität.

Nachmittags kam ein Brief von M.H., am Di, 8.1.08 ist meine erste Reportage auf Lora gesendet worden. Sie wollen mehr Beiträge. Wieder ein Strohhalm, eigentlich wollte ich morgen Schluß machen. Komisch, daß immer wieder ein Licht aufblitzt - im letzten Moment.


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2010