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SERIE/078: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 28.04.2008 bis 02.05.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

40. Teil - 28.04.2008 bis 02.05.2008


28.4.08

Ab heute nachmittag hat B. 1 Woche "Urlaub". Dann noch 2 ½ Wochen und sie ist wieder frei. 5 Jahre war sie hier und sagt, im Nachhinein betrachtet wäre die Zeit schnell vergangen. Ich jedenfalls werde 3 Jahre und 9 Monate nicht überstehen. Täglich "übe" ich und irgendeinmal wird es klappen. R. hat als Vertreterin von B. Abendbrot ausgegeben. Ich kam etwas zu spät, da hatte sie meine Ration schon an andere verteilt. N. wollte mir die Hälfte von ihrer abgeben, aber ich wollte sie nicht.

Ich habe in letzter Zeit zweimal gesehen, wie aus den Fenstern des C-Flügels irgendwelche Sachen in andere Zellen weitergegeben wurden. Einmal, während unseres Hofgangs, beinahe unter den Augen einer Beamtin haben sie eine Plastiktüte an einer Schnur in die darunterliegende Zelle abgelassen, vorgestern erst mit einem Besen einen Schlüssel in eine Nachbarzelle weitergereicht, auch am hellichten Tag. Fühlen sie sich so sicher? Wollen die Beamtinnen das nicht sehen? Sind die so blind? Oder was sonst?

Im D-Flügel herrscht beim Aufschluss ein unbeschreiblicher Lärmpegel. Manche hier lassen total "die Sau raus", ohne irgendeine Konsequenz befürchten zu müssen. Als ich dagegen ein paar Treppenstufen in die falsche Richtung ging und kurz aus dem falschen Fenster schaute, wurden mir 2 Wochen Freizeitsperre verpasst. Ich war heute völlig entnervt, experimentierte nach Einschluß herum und fühle mich jetzt schlechter und krank.


29.4.08

Heute wurde ich zum und vom Büchertausch von einer Beamtin begleitet, nur ich. Dann war Kunstgruppe, ich habe mich total abgesondert und ein Bild angefangen "Deutschland im Krieg", der Hintergrund ist schwarz-rot-gold, 3 Panzer, 1 bombenwerfendes Flugzeug, 2 tote Araber, daneben - lebendig - Frau und Kind. Mal sehen, wie ich nächste Woche weitermache. Wie heißt die Parole der Bundeswehr "Frieden mit Sicherheit"? ich werde sie auf meinem Bild zurechtrücken "Mit Sicherheit Krieg". Mittag habe ich kurz mit A. geredet, oberflächliches. Sie haben in zwei Wochen das geschafft, was sie wollten - uns auseinandergebracht.


30.4.08

Fühle mich total beschissen. Heute war wieder der Teufel los, Geplärre und Gequäk ohne Ende. Als mich Beamtin K., die ich eigentlich relativ gern mag, einschloß, sagte ich "Ich habe leider kein Kleingeld, sonst würde ich ihnen Trinkgeld geben". Sie fragte etwas konsterniert "Wofür?" "Fürs Einschließen". Sie schien wirklich davon getroffen zu sein. "Das ist ja eine tolle Aussage". So schlimm fand ich es eigentlich garnicht, sie offensichtlich schon. Irgendwie tut es mir leid, aber was erwarten sie, wenn man immer nur eingesperrt wird. Ich gehe daran kaputt. Habe vorhin kurz mit E. geredet, sie sagte, daß manche der Gefangenen den Beamtinnen regelrecht drohen und daß diese dann manchmal richtig zusammenzucken. Haben deswegen einige der Häftlingsweiber hier einen Freifahrtschein.

Im Fernsehen wird die schwarz-rot-gold Propaganda immer ausgeprägter, irgendwie scheint es eine General-Großoffensive zur Patriotisierung quer durch fast alle Programme zu geben. Freiwillig oder auf Anordnung? Auch wird über Polizei und Bundeswehr mittlerweile völlig unkritisch und ausschließlich positiv berichtet, besonders über die heldenhaften Soldaten im "feindlichen Ausland".


1.5.08

1. Mai, Himmelfahrt. Heute früh sagte Beamtin K., die gestern so brüskiert war, wenn ich noch einmal so einen unpassenden Spruch machen würde, hätte es ein Nachspiel. "Was für eins?" "Das werden Sie dann schon sehen". Natürlich meinte sie eine Anzeige, was sonst.

Ich ging in den katholischen Gottesdienst, habe dort auch C. gesehen. In der Bank vor mir saßen ein paar Mädchen, die sicherlich wegen Drogen hier sind. Eine quatschte ständig und ich starrte sie ein paarmal böse an. Irgendwann bückte sie sich und verschwand fast unter der Bank, längere Zeit. Sofort kamen mir Drogendeals oder sonstige Übergaben in den Sinn. Dann tauchte sie wieder auf, in ihren Händen einen erschöpften Schmetterling. Sie trug ihn vorsichtig zur Tür, eine Beamtin sperrte diese auf, dann setzte sie das Tier draußen in die Sonne und ging zurück auf ihren Platz in der Kirche. Ab sofort störte es mich nicht mehr, wenn sie sich mit ihren Nachbarinnen unterhielt.

Im evangelischen Gesangsbuch habe ich ein schönes Gedicht von Wolfdietrich Schnurre gelesen:

"Ich weigere mich, den Schuh der Macht zu küssen,
die Erde küsste stets den meinen.
Ich weigere mich, den Tod des Feindes zu müssen.
Ich bin kein Feind, ich habe keinen."

Nachmittags hatten wir verlängerten Hofgang, von 12.00 - 14.30. Das Wetter war gut, ich habe ein bisschen Englisch gelernt, Federball und Tischtennis gespielt. Die zusätzliche Bewegung und die frische Luft haben mir sehr gut getan. Übermorgen "dürfen" wir schon wieder länger ins "Freigehege und hinterher ist ein Konzert. Klingt für hiesige Verhältnisse nicht schlecht.


2.5.08

Heute vor 35! Jahren war Winnetous Geburtstag. Unvergessliche Zeit.

Heute mittag beim Hofgang habe ich mit M. Federball und Tischtennis gespielt. 20 Min. vor Schluß fing es stark an zu regnen. Ein schöner Landregen, nicht kalt, kein Wind. Alle strömten unter dem kleinen Vordach der Eingangstür zusammen, standen dort wie eine Schafherde, ich lief weiter durch den Regen und es war einfach herrlich. Das die anderen mich für total bescheuert und durchgeknallt hielten (und halten) ist mir völlig egal.

In Berlin und Hamburg gab es am 1. Mai heftige Demonstrationen, in Berlin wurde der Polizeipräsident auf der Straße erkannt und angegriffen. Wenigstens mal der richtige, der dann die Hosen voll hatte. Als Reaktion darauf kam von einem Spitzenpolitiker Bayerns, (dessen Nichte wegen Drogendelikten hier in Aichach sitzt. Sie hat als 31er ca. 150 Leute verraten) der grandiose Vorschlag, zukünftig für den 1. Mai vorsorglich alle Autonomen und Linksextremisten in "Schutzhaft" zu nehmen. Auch ich wurde von der Polizei dem linksextremen Spektrum zugeordnet. Meint er damit auch mich?



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2010