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SERIE/080: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 07.05.2008 bis 16.05.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

42. Teil - 07.05.2008 bis 16.05.2008


7.5.08

Gestern hatte ich Beamtin M. gefragt, ob ich mir von An. die Haare schneiden lassen kann, bei anderen hier auf der D I war sie schon, völlig problemlos. Die Beamtin wollte sich "erkundigen ob das möglich ist" und mir gestern noch Bescheid geben. Nichts passierte und auch heute beim Medikamente holen, kein Wort darüber von Beamtin M. Dann eben nicht. Bei B., die ihren Mann erstochen hat und dafür 7 Jahre bekam läuft am 23.5. die 2/3 Strafe ab, also in gut 2 Wochen. Noch immer hat sie keinen Bescheid ob sie sie bekommt oder nicht. Sie ist fast 5 Jahre hier, hat immer gearbeitet und sich nie etwas "zuschulden" kommen lassen. Jetzt hatte sie Urlaub, hat 2 Tage nur auf Ämtern gesessen, Arbeitslosengeld und Mietzulagen beantragt. Wenn sie Pech hat, war alles umsonst und sie sitzt nochmal mehr als 2 Jahre hier.


11.5.08

Pfingstsonntag. Wieder einmal beim Medikamentenholen. Ich stand 3 Stufen über dem Büro und wartete. Beamtin F. (die mir die vorige Anzeige verpasst hatte), sagte wieder einmal, ich müsse heruntergehen. Ich "Die 3 Stufen?" "Ja, das habe ich Ihnen schon öfter gesagt". "Schon, ich verstehe es nur nicht". "Das brauchen Sie auch nicht verstehen" sagte sie und ging weiter. Ja, genau. "Hauptsache gehorchen", sagte ich laut hinter ihr her. Später sprach mich eine Frau, die eigentlich immer sehr nett ist, an. "Vielleicht würde sich ja alles ändern, wenn ich den Beamten anders gegenübertreten würde". "Niemals" sagte ich, "lieber hänge ich mich auf". Mein Eselsgen. Klar ist es taktisch falsch, aber ist es trotzdem richtig? Egal, ich kann und will nicht anders.

Vorgestern kam ein Brief von der Staatsanwaltschaft München, dass die Vollstreckung meiner Schulden, sprich der bevorstehende Offenbarungseid weiter vorangetrieben wird. Soweit ich weiß, darf ich dann nur noch die 42,66 Euro für den Einkauf haben. Alles andere wird gepfändet. Von dem Geld geht dann auch noch der Fernseher ab. Mahlzeit!

Gestern habe ich beim Mittagessen kein Vollkornbrot mehr bekommen, weil es zuging wie in einem Rudel Wölfe. Ich kam ziemlich spät mit meiner Essensmarke, diejenigen die auf Nachschlag lauerten, drängelten schon wie verrückt und unter diese Meute habe ich mich nicht gemischt. Kein Drama, ich verhungere schon nicht, aber es widert mich unglaublich an. Gestern habe ich abends auch wieder ziemlich viel herumexperimentiert, heute werde ich es wieder tun. Einmal Glück haben!


12.5.08

Heute war ich im kath. Gottesdienst. Auf dem Rückweg traf ich Fr. Sch. "Wie geht es Ihnen?" fragte sie. "Beschissen". "Sind Sie immer noch auf D I". Sie riet mir, mit Anstaltsleiter M. zu reden. Hinterher sagte eine Mitgefangene, ich solle einmal mit Fr. P., der Psychologin hier reden. Die wäre besser für mich geeignet als der S., der mich ja vor längerem einmal geholt hatte. Alles gut gemeint, aber ich weiß, daß ich weder das eine noch das andere tun werde. Auch in einer anderen Abteilung überstehe ich nicht noch einmal 2 ½ Jahre. Mein Ausweg ist ein anderer. Beamtin M. hat zu meiner "Friseuse" An. gesagt, sie solle bei uns nicht mehr frisieren, damit sie dem Hausfriseur nicht die Arbeit wegnimmt. Eigentlich "dürfen" wir alle 3 Monate zu diesem Friseur gehen, bei mir ist es jetzt mehr als 4 Monate her. 3 Anträge habe ich geschrieben. Nichts. Mit logischem Denken kommt man hier nicht weiter!


15.5.08

Heute morgen habe ich im Büro wegen des Friseurs nachgefragt. Theoretisch "dürfen" wir alle 3 Monate hingehen, bei mir sind jetzt über 4 Monate vergangen, schon 3 Anträge hatte ich gestellt. Beamtin M. meinte netterweise, sie würde mit der Chef-Friseuse telefonieren. Später kam sie und sagte, ich läge ziemlich weit oben in dem zu bearbeitenden Stapel, die Friseurabteilung wäre unterbesetzt, aber jetzt käme eine Neue Dame dazu. Nächste Woche käme ich noch nicht dran, aber dann. Als ich fragte, warum mir bei dieser Situation nicht erlaubt wurde, mir quasi privat von An. die Haare schneiden zu lassen, und das mit dem Argument, die Hausfriseusen hätten dann nichts mehr zu tun: Schulterzucken. Naja, wenigstens weiß ich Bescheid. Mittags war Einkauf, 12.10 Uhr, also wie immer - genau dann, wenn unser "Hofgang" ist. Es war der erste nach 5 Wochen, aber nicht mit so langen Schlangen und so chaotisch, wie ich befürchtet hatte.


16.5.08

Im Fernsehen wieder Berichte von Reportern, die alle möglichen Polizeieinsätze begleiten, völlig unkritisch, die Polizei hat immer Recht und stehe auf der Seite der "Guten", genau wie die taffen, schneidigen deutschen Soldaten im feindlichen Ausland und ihre tapferen Kriegerwitwen. In stolzer Trauer! Die geschickte, von den Massenmedien fast! ausnahmslos mitgetragene Propaganda, gestylt durch teure Marketing-Agenturen und dem in vielen Bereichen betriebenen "Embedded Journalism" trägt seine Früchte. Offenbar gefallen manchen Schreibern Räuber und Gendarmspiele im Gelände, Panzerfahrten, Uniformen und Kameradschafts- bzw. Kumpelererlebnisse, inklusive verbindender Lagerfeuerromantik. Es wird subtiler und geschickter als früher gemacht, klar, auch Psychologen entwickeln die neuen Marketingstrategien und Programme. Dazu ein bißchen Patriotismus, Fahnenschwenken und "Deutschland, Deutschland" unter dem Deckmäntelchen von Sportereignissen. Es funktioniert wieder - oder immer noch!



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2010