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BERICHT/028: Aufbruchtage - Brauch- und Wuchskultur auf die Gegenspur ... (SB)


Wachstumskritik und Zukunftsentwürfe

Vierte Internationale Degrowth-Konferenz an der Universität Leipzig vom 2. bis 6. September 2014



Auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben. Was hinsichtlich der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung heute allgemeiner Minimalkonsens zu sein scheint, bleibt dennoch weitgehend folgenlos. Dem 2007 international definierten Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau bis 2050 auf maximal 2 Grad zusätzlich zu begrenzen, steht der aktuelle Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegenüber, laut dem die Konzentration von Kohlendioxid und anderer klimaschädlicher Gase in der Atomsphäre 2013 einen neuen Höchststand erreicht hat. Diese negative Entwicklung wird dadurch verschärft, daß die Klimagase aufnehmenden Ozeane bereits stark übersäuert sind, also der Bestand tierischen und pflanzlichen Lebens in den Weltmeeren gefährdet ist.

Der Entwurf zum abschließenden Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild von der Entwicklung des Weltklimas. Die Gefahr abrupter und unumkehrbarer Sprünge in der Erderwärmung nehme bei Fortsetzung der bisherigen Entwicklung drastisch zu. Während die weltweite Emission von Klimagasen zwischen 1970 und 2000 um rund 1,3 Prozent im Jahr anwuchs, beschleunigte sich diese Entwicklung im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends um jährlich 2,2 Prozent. Wie die WMO-Daten zeigen, bleibt die Wachstumsrate der klimaschädlichen Emissionen nicht auf diesem Niveau, sondern nimmt weiter zu. Angesichts der im IPCC-Bericht getroffenen Feststellung, daß die bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels wie die Häufung von Extremwetterlagen, von Hitzewellen, Überflutungen und Trockenheiten negative Auswirkungen auf die allgemeine Ernährungslage haben und kriegerische Konflikte wie auch große Migrationsbewegungen verursachen, handelt es sich nicht um eine abstrakte, lediglich künftige Generationen betreffende Bedrohung.

Was für sich gesehen keine neue, sondern eine seit langem absehbare Erkenntnis ist, steht in scharfem Kontrast zur ungebremsten Neuerschließung fossiler Energiequellen. Die bislang als nutzbar erachteten Vorkommen von Kohle, Öl und Erdgas sind laut dem IPCC-Bericht viermal so groß wie das verbliebene Ausmaß an CO2, das im Rahmen einer noch tolerierbaren Erderwärmung freigesetzt werden könnte. So relativ diese Aussagen in Hinsicht etwa auf die Extraktion weiterer fossiler Ressourcen bei ansteigendem Preisniveau und der tatsächlichen Belastbarkeit der Ökosysteme sind, so zutreffend ist die Forderung der Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, daß das Gros dieser Energierohstoffe in der Erde bleiben müsse, wenn die Lebensgrundlagen künftiger Generationen nicht zerstört werden sollen.

Gebäude der Commerzbank in Leipzig am Thomaskirchhof - Foto: © 2014 by Schattenblick

Mehr Glanz als Substanz
Foto: © 2014 by Schattenblick

Krisenanalyse kurzgefaßt

Warum also scheint es sich bei der auf den großen Klimakonferenzen beschworenen Absicht, dieser desaströsen Entwicklung mit entschiedenen Maßnahmen zur Emissionsreduktion entgegenzutreten, um ein bloßes Lippenbekenntnis zu handeln? Warum ist dem Wort hochrangiger politischer Entscheidungsträger und -trägerinnen so wenig Glauben zu schenken, obwohl ihnen angeblich nichts heiliger ist als das Wohl der Menschen, die sie in Amt und Würden gebracht haben?

Dies mit dem Versagen von Markt und Moral zu erklären verbleibt an der Oberfläche einer Analyse, die ohne die Einbeziehung der materialistischen Grundlagen staatlichen Handelns, ökonomischer Logik und kapitalistischer Vergesellschaftung keine hinreichende Basis für weiterführende Fragen schaffen kann. Die Nationalstaaten und supranationalen Wirtschaftsräume stehen mehr denn je in Konkurrenz um Investitionen in Industrie, Dienstleistungen und Finanzmärkte, sind doch alle mehr oder weniger der Not ausgesetzt, die zum Erhalt des einmal erreichten Stands an Produktivität bereits freigesetzten Kredite zu refinanzieren. Was 2008 durch die Gefahr des Zusammenbruchs des internationalen Bankensystems manifest wurde, hatte sich im Mißverhältnis zwischen industrieller, auf Lohnarbeit basierender Wertschöpfung und der davon abgehobenen Kapitalakkumulation an den Finanzmärkten längst angekündigt. Die auf komplexen Finanzprodukten wie Derivaten, verbrieften Schuldentiteln und Kreditversicherungen, auf spekulativen Wetten an den Börsen und auf Grundrente, Eigentumstiteln, Rechte- und Lizenzhandel basierende Geldvermehrung hat dazu geführt, daß dem durch Lohnarbeit und Güterproduktion erwirtschafteten Geld mindestens die zehnfache Menge an "fiktivem", durch materielle Produktion nicht mehr gedeckten Kapital gegenübersteht.

In einer Welt höchst ungleicher Entwicklung, in der das Produktivitätsgefälle zwischen den Ländern des globalen Südens und Nordens wesentlich zur hohen Wertschöpfung in den Metropolengesellschaften Westeuropas, Nordamerikas und Japans beiträgt, ist die Beibehaltung dieser Akkumulationslogik untrennbar mit der Hegemonie der ökonomisch wie militärisch mächtigsten staatlichen Akteure verknüpft. Der angeblich postnationale Staatenbund der EU ist das beste Beispiel dafür, daß die Staatenkonkurrenz zwar in ihrer verfassungsrechtlichen Form zugunsten größerer Handlungsmacht gegenüber anderen globalen Wirtschaftsräumen transformiert wird, das handelnde Subjekt jedoch im Kern national definiert bleibt. Die innerhalb der EU durch Defizitkreisläufe, Austeritätsdiktate und administrative Machtverhältnisse etablierte Struktur eines relativ prosperierenden, aus der Bundesrepublik, Frankreich, den Beneluxländern und den skandinavischen EU-Mitgliedern bestehenden Zentrums und einer ihm nachgeordneten Peripherie in Süd- und Osteuropa spricht allen Behauptungen eines solidarischen Miteinanders der EU-Staaten Hohn.

Die innere Ungleichheit zwischen den 18 Staaten der durch das Kreditsystem der EZB zusammengehaltenen Eurozone basiert auf einer Verschuldung, mit Hilfe derer von den Märkten bereits entwertete Finanzen gerettet werden sollen, ohne jedoch deren wertbildende Basis, den aus Lohnarbeit geschöpften Mehrwert, zu entwickeln. Es handelt sich um einen politisch bestimmten Kredit, der nach herkömmlicher Akkumulationslogik kaum noch Wirtschaftswachstum erzeugt, sondern lediglich den Status quo herrschender Verfügungsgewalt in Form von Schulden sichert, für die Menschen mit ihrer Arbeit bürgen, ohne daß daraus ein adäquater Nutzungsanspruch hervorginge. Die den jeweiligen Bevölkerungen aufgelasteten Zahlungsverpflichtungen drücken den Wert ihrer Arbeit auf ein mögliches Minimum, weil sie vor allem dazu dient, die inflationäre Entwertung des Geldes zu verhindern, für das sie eingekauft wird. Lohnsenkungen fast um die Hälfte für den Großteil der griechischen Bevölkerung, keine Sozialleistungen für griechische Erwerbslose, die langjährige Stagnation der Erwerbseinkommen und die Ausweitung des Niedriglohnsektors in der Bundesrepublik sind Belege dafür, daß der politisch bestimmte Kredit dort wie hier dazu dient, die Verfügungsgewalt über Arbeit und Ressourcen zu steigern, anstatt, wie allgemein vermutet, Wirtschaftswachstum zu erzeugen.

Allen Behauptungen von den reichtumssteigernden Effekten der Globalisierung zum Trotz stagnieren die am BIP gemessenen Wachstumsraten in den westlichen Industriestaaten und sind, wenn auch auf hohem Niveau, in den Schwellenstaaten meist rückläufig. Um so entschiedener pocht etwa die Bundesregierung auf das Erreichen noch möglicher Wachstumsziele und die durch Spardiktate forcierte Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit in den rezessiven Mitgliedstaaten der EU, ohne deren Zahlungsfähigkeit auch der relative Erfolg des Krisengewinnlers Deutschland ausbliebe. Vorbei die Zeiten, in denen sich Angela Merkel als "Klimakanzlerin" feiern ließ, als Atomausstieg und Energiewende die Aushängeschilder des Wirtschaftsstandortes Deutschland waren. Heute wird die Reduzierung der Abgaswerte auf europäischer Ebene den Absatzzielen der deutschen Automobilindustrie geopfert, die Energiewende auf ein Profitmodell für die großen Stromerzeuger reduziert, und im transatlantischen Freihandel sollen verbliebene Garantien sozialer Daseinsvorsorge und ökologischen Schutzes in neue Anlagechancen verwandelt werden.

Universitätsgebäude am Augustusplatz in Leipzig - Foto: © 2014 by Schattenblick

Postmoderne Kathedrale der Wissensgesellschaft
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schuldendiktat und Tauschwertlogik ... was bleibt, ist Zerstörung

Alles wäre einfacher, wenn, wie häufig behauptet, tatsächlich nur die räuberische Gier mächtiger Akteure für den permanenten Akkumulationszwang verantwortlich wäre. Tatsächlich ist es schlimmer, handelt es sich bei der Substanz des Aneignungsstrebens, dem Wert, doch um ein Abstraktum, das mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen es sich materialisiert, steht und fällt. Ohne die Rechtsform des Privateigentums träten die Käuferinnen und Käufer wie Anbieterinnen und Anbieter der Ware Arbeit nicht miteinander in Kontakt, ohne den Tauschwertcharakter der Arbeit käme es nicht zu Verhältnissen, in denen Menschen ihre physische und sinnliche Existenz bei Verrichtungen verbrauchen, die ihnen fremd sind oder die sie sogar abstoßen. Indem der Markt die Menschen über das Wertäquivalent Geld in ein Vergleichsverhältnis setzt, unterwirft er ihr Leben abstrakten Zielen, die bestenfalls mittelbar der Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse dienen.

So wie Unternehmen dem Zwang unterliegen, gegen eine globale Konkurrenz anzutreten, die ihre Kosten- und Gewinnkalkulationen maßgeblich beeinflussen, so müssen sich Erwerbsabhängige zu Bedingungen verkaufen, die weit außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Nicht anders ergeht es sogenannten Produktions- und Betriebsmitteln, die in die stoffliche Herstellung eingespeist werden. Ihr Preis ergibt sich aus der handels- oder umweltpolitisch definierten Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und ist im Sinne der globalen Vergleichbarkeit möglicher Standorte arbeitsteiliger Produktion dem stetigen Zwang ausgesetzt, billiger als die Mitbewerber zu sein. Das führt unter anderem dazu, daß die Preise nachwachsender an die fossiler Rohstoffe gekoppelt sind, die Produktion erneuerbarer Energie also nicht der erwünschten Suffizienz-, sondern der realen Profitlogik unterworfen ist.

Die Externalisierung ökologischer Zerstörung, die in der betriebswirtschaftlichen Rechnung der Unternehmen nicht auftaucht, aber von der Allgemeinheit in Kauf genommen werden muß, ist ebenfalls das Ergebnis eines staatlichen Handelns, das der Standortlogik folgt, um im Endeffekt Gewinne zu privatisieren und Kosten zu sozialisieren. Die Konkurrenz um den schwindenden Mehrwert entzieht die Ergebnisse der Produktivität dem allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen desto konsequenter, als der fiktive Charakter des Kapitals den Verwertungszwang zur alternativlosen, nur zum Preis des Untergangs zu mißachtenden Maxime erhebt. Der am Beispiel der Rohstoffextraktion sichtbar werdende Zusammenhang zwischen knappheitsbedingtem Preisanstieg und dadurch vergrößertem Zerstörungsaufwand zur Erschließung verbliebener Lager fossiler Energie zeigt, daß der abstrakte Wert gerade deshalb absolut gesetzt werden kann, weil er allen Bezügen konkreten gesellschaftlichen Nutzens enthoben ist. Anders wäre es gar nicht möglich, daß sich ein Finanzkapital, das im wesentlichen aus den Forderungen der Kreditgeber besteht und keine Basis in der materiellen Wertschöpfung mehr besitzt, Verfügungsgewalt über menschliche Arbeit und natürliche Rohstoffe auf eine Weise ausübt, die über die Zukunft ganzer Bevölkerungen gebietet.

Was unter den Bedingungen eines Kapitalismus, der maßgeblich über die industrielle Güterproduktion und daran angeschlossene Dienstleistungen expandierte, noch Verhandlungsräume zwischen Kapital und Arbeit eröffnete und vor dem Hintergrund des Wettstreits der politischen Systeme weitere Zugeständnisse an die Lohnabhängigenklasse ermöglichte, hat durch die Ausweitung des Kredits bei geringen Wachstumsraten ausschließlich die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Arbeit respektive Aneignung der Natur gestärkt. Wo der Tauschwert des fiktiven Kapitals immer weniger konkret nutzbaren, individuellen oder gesellschaftlichen Bedürfnissen dienenden Gebrauchswert schafft, da setzt der Kredit das Leben der Menschen in ein Schuldverhältnis, das sich im Mangel an essentiellen Lebensressourcen materialisiert. Die über die staatliche Kreditierung extrem ausgeweiteten Geldmengen ermöglichen einen Zugriff der Gläubiger auf die materiellen Grundlagen des Lebens wie die Arbeit der Menschen, die an feudale, längst überwunden geglaubte Verhältnisse gemahnt.

Qualitativ wächst mit der Akkumulation fiktiven Kapitals also vor allem das Ausmaß des Mangels und der Zerstörung. Nur so lassen sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte unter die Kontrolle von Interessen bringen, die stets partikular sein müssen, weil sie einem Wettbewerb frönen, in dem keine Gefangenen gemacht werden, wie das tausendfache tägliche Sterben in den globalen Hungerzonen belegt. Die Zerstörung ganzer Landschaften und Beeinträchtigung des Trinkwassers wie der Atemluft durch eine Kohleverstromung, die längst durch erneuerbare Energien hätte ersetzt werden können, die agrarisch erzeugte Biomasse, die für Mobilitätszwecke oder die Herstellung von Konsumgütern verbrennt, während Millionen Menschen nicht genug zu essen haben, die Ausrichtung der Güterproduktion und Dienstleistungsindustrie auf zahlungsfähigen Luxuskonsum, die Subordination menschlicher Arbeit unter Zwecke, die Lebenszeit und -kraft verbrauchen, ohne den essentiellen Bedürfnissen der realen Produzentinnen und Produzenten zu dienen, oder die Zwecke einer Monopolbildung, bei der es darum geht, Mitbewerber um fast jeden Preis niederzukonkurrieren - sich durch den Tauschwert aufeinander zu beziehen erzeugt nicht nur Entfremdung, sondern drängende Lebensnot.

Teilansicht des Universitätsgebäudes mit Kirchenornamentik - Foto: © 2014 by Schattenblick

Neosakrales Design für neue Glaubensinhalte
Foto: © 2014 by Schattenblick

Wachstumskritik setzt lebenswerte Zukunft frei

Wenn also Wachstum vorrangig in der Akkumulation fiktiven Kapitals erfolgt und die anwachsende Produktivität industrieller Fabrikation den Preis menschlicher Arbeit kontinuierlich senkt, dann ist es um die Aussicht, im Rahmen kapitalistischer Wertbestimmung Arbeits- und Lebensverhältnisse zu entwickeln, die auch nur relative Verteilungsgerechtigkeit schaffen, schlecht bestellt. Darüber hinaus die Ausbeutung der natürlichen Quellen materiellen Wohlstands und den Klimawandel zu begrenzen erscheint erst recht unmöglich, wie die Verknappung fossiler und mineralischer Rohstoffe und die ungebrochen zunehmende Emission klimaschädlicher Gase belegt. Da die demgegenüber propagierte Variante grünen Wachstums zwar die externalisierten Kosten auf die produzierten Waren aufschlagen will, jedoch keine befriedigende Antwort auf die sozialen Probleme einer dementsprechend teurer werdenden Reproduktion gibt, während die zur Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum erforderliche Effizienzsteigerung von vielen Experten als unzureichend kritisiert wird, wäre sie bestenfalls in der Lage, die zerstörerische Entwicklung in den technologisch hochentwickelten Ländern zu reduzieren.

Aus der Sicht der großen Mehrheit der Menschen, die heute schon nicht viel mehr als ihre Armut und Ohnmacht zu verlieren haben, bietet die Umkehrung der bisherigen Entwicklung im Sinne eines negativen Wachstums noch am ehesten die Möglichkeit, der absehbaren Katastrophe auf individueller, kommunaler und globaler Ebene Einhalt zu gebieten. Das gilt insbesondere dann, wenn erst einmal erkannt wird, daß die vermeintliche Reichtumsproduktion des Kapitalismus in der Schuldenkrise im Kern aus der Maximierung von Verbrauch und Mangel besteht. Zerstörung zu minimieren angesichts einer Scheinblüte aus Konsumverheißungen, die das atomisierte Marktsubjekt mit Surrogaten uneingelöster Befreiung und Kollektivität abspeisen, kann ungeahnte Möglichkeiten der Emanzipation eröffnen.

Um die destruktive Logik der Kommodifizierung allen Lebens, des Warencharakters menschlicher Beziehungen und der Gewinn und Verlust produzierenden Vergleichbarkeit sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse zu überwinden, bedürfte es allerdings einer Unbescheidenheit in Hinsicht auf die dazu erforderlichen Veränderungen, die in Anbetracht der erstarrten Herrschaftsverhältnisse kapitalistischer Klassengesellschaften geradezu utopisch wirkt. Vor dem Hintergrund Mangel und Not erzeugender Produktionsverhältnisse gibt es jedoch allen Anlaß, nicht nur zaghafte Schritte zu gehen, sondern den Kampf ums Ganze der Transformation der Gesellschaften und ihrer Naturverhältnisse zu wagen. Dies erscheint um so vernünftiger, als die vorherrschende Defensivstrategie, es erst zum Äußersten kommen zu lassen, bevor entschiedene Maßnahmen getroffen werden, das Gros der Menschen der Gefahr aussetzt, autoritären Lösungen bis genozidalen Entwicklungen zum Opfer zu fallen.

Die Problemstellung nüchtern zu analysieren und tragfähige Lösungsmodelle zu entwickeln, in denen nicht auf soziale Gleichheit und selbstbestimmtes Handeln verzichtet wird, kann nur in einer Situation erfolgen, in der sich der erkannte Handlungsbedarf noch nicht zu einem alternativlosen Sachzwang ausgewachsen hat. Wie die kriegerische Eskalation der Krise des Kapitals schon heute zeigt, braucht der Mensch auf die Verschärfung herrschender Verhältnisse nicht zu warten, sie erfolgt auch ohne eigenes Zutun. Kritisch vorauszudenken hingegen verlangt ihm ab, den bereitwillig akzeptierten Naturzwang in Frage zu stellen und qualitative Veränderungen zu erforschen, die den ökologischen Ausgangspunkt zum Entwurf einer sozialen und gesellschaftlichen Zukunft entwickeln, in der Wirklichkeit werden könnte, was bislang aus Gründen mangelnden Mutes oder bloßer Ignoranz unmöglich erschien.

Auf der Degrowth-Konferenz, die vom 2. bis 6. September an der Universität Leipzig stattfand, wurden zahlreiche Denkansätze von mehr oder minder unbescheidener Art referiert, diskutiert und erarbeitet. Einig in der Erfordernis, der herrschenden Wachstumslogik die Spitze zu nehmen und sie nach Möglichkeit umzukehren, widmeten sich 3000 Menschen fünf Tage lang den vielen Fragen, die sich stellen, wenn ein auf den ersten Blick unpopuläres Vorhaben in den Blick genommen wird. Ob sich Degrowth tatsächlich antagonistisch zu einer auf Akkumulation und Expansion basierenden Gesellschaft verhält oder mit der Moderation ihrer schärfsten Widerspruchslagen bescheidet, ob eher technische Lösungen untersucht werden oder die soziale Befreiung im Mittelpunkt steht, ob es sich bei diesem Ansatz um ein theoretisches Konzept handelt oder bereits eine soziale Bewegung entsteht, sind Fragen, die im Verlauf der ausführlichen Berichterstattung über den Kongreß an dieser Stelle besprochen werden.

Inschrift an Skulptur am Krochhochhaus in Leipzig 'Omnia vincit labor' - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Arbeit siegt über alles" ... als ob nicht schon genug gesiegt worden wäre
Foto: © 2014 by Schattenblick

12. September 2014