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BERICHT/105: Naturbegriffe - im Kreisverkehr ... (SB)



We Indigenous Peoples are sons and daughters of Mother Earth, or "Pachamama" in Quechua. Mother Earth is a living being in the universe that concentrates energy and life, while giving shelter and life to all without asking anything in return, she is the past, present and future; this is our relationship with Mother Earth. We have lived in coexistence with her for thousands of years, with our wisdom and cosmic spirituality linked to nature. However, the economic models promoted and forced by industrialized countries that promote exploitation and wealth accumulation have radically transformed our relationship with Mother Earth.
Indigenous People's Declaration [1]

In unmittelbarer Folge des Weltklimagipfels COP 15 in Kopenhagen im Dezember 2009, auf dem wirksame Schritte zur Begrenzung des Klimawandels unter Führung der US-Regierung in Zusammenarbeit mit den führenden Industriestaaten torpediert wurden, fand im April 2010 in der bolivianischen Großstadt Cochabamba die bislang einzige Klimakonferenz statt, die nicht von den Regierungen der technologisch hochentwickelten Metropolengesellschaften Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens dominiert wurde. Als Gastgeber fungierte der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, und die am meisten vom Klimawandel betroffenen indigenen Bevölkerungen Lateinamerikas als auch anderer Weltregionen konnten so viel Einfluß auf den Verlauf und das Ergebnis der Konferenz nehmen wie nie zuvor.

Zwar gab und gibt es auch Konflikte zwischen der Regierung des Andenstaates und seiner indigenen Bevölkerung, was auf der Konferenz unter anderem dazu führte, daß eine maßgebliche, die extraktivistische Ressourcenpolitik des plurinationalen Staates kritisierende Arbeitsgruppe außerhalb ihres offiziellen Verlaufes abgehalten wurde. Dennoch war die von 35.000 Delegierten und AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen und Organisationen von 140 Staaten besuchte Konferenz das erste und bislang einzige Treffen, das auf basisdemokratischem Wege zustande gekommene Resolutionen zum Ergebnis hatte, durch die sich indigene Menschen in ihrem Interesse am Erhalt ihrer Siedlungsgebiete und Lebensbedingungen vertreten fühlen.

Neben der Abschlußdeklaration der Konferenz "Abkommen der Völker" [2], in dem eine umfassende Positionsbestimmung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Bevölkerungen des Globalen Südens und die dagegen zu ergreifenden Maßnahmen und Strategien vorgenommen wird, und der Resolution der Indigenen Völker wurde die Universal Declaration of the Rights of Mother Earth (UDRME) [3] verfaßt. Diese hat, ausgehend von der in den anderen Dokumenten geforderten Einrichtung eines internationalen Klimagerichtshofes, zur regelmäßigen Zusammenkunft eines Tribunals für die Rechte der Natur geführt. Nach Quito, Ecuador, im Januar 2014 und Lima, Peru, im Dezember 2014 tagte das International Rights of Nature Tribunal während des Weltklimagipfels COP 21 in Paris und zuletzt zu Beginn des Weltklimagipfels in Bonn.

Am 7. und 8. November war das LVR-LandesMuseum Standort eines von der Global Alliance for the Rights of Nature (GARN) organisierten Gerichtshofes. Seine neun RichterInnen entschieden in sieben Fällen, ob sie, wie von der "Erdanwältin" Linda Sheehan und dem "Erdanwalt" Ramiro Ávila jeweils vorgebracht, grobe Verletzungen der Allgemeinen Erklärung der Rechte der Mutter Erde (UDRME) darstellten. Unter Vorsitz des indigenen Umweltaktivisten Tom Mato Awanyankapi Goldtooth wurden über 50 ZeugInnen und ExpertInnen aus 19 Ländern angehört. Die große Anzahl der Fälle bedeutete für die ehrenamtlich als RichterInnen tätigen Personen, jeden Tag gut zehn Stunden lang, von nur kurzen Pausen unterbrochen, aufmerksam zuzuhören.

Wie in Anbetracht der Schwere der beschriebenen und bezeugten Interventionen in natürliche Ökosysteme, bei denen zumeist große Konzerne der fossilistischen und mineralischen Rohstoffextraktion, aber auch Regierungen, die die Abholzung unersetzlicher Urwälder erlauben oder naturfeindliche Handelsabkommen unterzeichnen, als "Täter" ausgemacht wurden, kaum anders zu erwarten wurden in allen Fällen systematische und gravierende Verstöße gegen die UDRME festgestellt. In seiner Funktion als eine Art Ersatzgerichtshof kritisierte das Tribunal [4] vor allem, daß diese Akte umfassender Naturzerstörung, die nicht selten mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen und bis zum Ökozid, der unumkehrbaren Auslöschung ganzer Ökosysteme, reichen, von den jeweils zuständigen Strafverfolgungsorganen nicht geahndet wurden. Schlimmer noch, in den meisten Fällen handelt es sich um ganz legal vollzogene Formen der Ausbeutung unersetzlicher Naturlandschaften und Wasservorräte wie der Lebensräume indigener Bevölkerungen.

Obwohl die vor dem International Right's of Nature Tribunal verhandelten Fälle nur den Gipfel des Eisberges katastrophaler sozialökologischer Zerstörungsprozesse darstellen, wurde dem Ereignis zu wenig Resonanz zuteil. Im großen Saal des LVR-LandesMuseums waren nur einige Dutzend Menschen zugegen, die nicht selbst zu den Akteuren des Tribunals zählten, und das Interesse der Medien war ebenfalls gering. Zur Begrüßung hatte die "Bundesstadt" Bonn nur einen stellvertretenden Bürgermeister entsandt, und der zeitgleich stattfindende Klimagegengipfel sorgte zusätzlich dafür, daß die Aufmerksamkeit des in Frage kommenden Publikums unterhalb der Schwelle nennenswerter Beteiligung blieb.


Podium des Tribunals im LVR-LandesMuseum in Bonn am 7. November 2017 - Foto: © 2017 by Schattenblick

Neun RichterInnen aus sieben Ländern zu Beginn eines arbeitsreichen Tages
Foto: © 2017 by Schattenblick


Als Rechtssubjekt bleibt die Natur menschlichen Zwecken verhaftet

Dem vom Tribunal festgestellten Versagen vorhandener Rechtssysteme, den Klimawandel zu begrenzen und die Natur zu schützen, mit einer Art alternativem Rechtswesen entgegenzuwirken, das sich strukturell und juridisch stark an denjenigen Justizapparaten orientiert, die seit jeher die Interessen ihrer weißen Urheber vertreten, ist von vornherein das Problem eingeschrieben, den Brand mit Benzin bekämpfen zu wollen. Warum wohl sind so gut wie alle Verträge, die zwischen den indigenen Ureinwohnern Nordamerikas und der US-Regierung geschlossen wurden, für die von weißen Siedlern überrannten Stämme wertlos geblieben? Wie kann es sein, daß mit formaler Rechtsgleichheit massive soziale Ungleichheit legitimiert wird? Warum werden die sozialökologischen Bedingungen des Lebens sehenden Auges ruiniert, obwohl Legislative, Judikative und Exekutive angeblich entschlossen sind, dies zu verhindern?

So relevant für die davon betroffenen Menschen und Lebewesen die in selbstbestimmter Jurisdiktion verhandelten Fälle und Urteile sind, so sehr bleibt doch zu fragen, ob mit dem Anliegen, der Erde, der Natur oder einzelnen Ökosystemen den Status von Rechtssubjekten zu verleihen, ihrer rasanten Zerstörung Einhalt geboten werden kann. Wäre dem so, dann wäre nicht nur das Interesse an dem Tribunal größer, sondern es hätte längst zu einer entsprechenden legislativen und juristischen Entwicklung kommen müssen. Zwar kommt es seit der in Cochabamba nicht erstmals erhobenen, aber dort auf die Höhe eines konstitutiven Anliegens gehievten Forderung nach der rechtlichen Subjektivierung der Natur immer wieder dazu, daß einzelnen Flüssen oder Ökosystemen der Status einer Rechtsperson zugestanden wird. Doch von einer Schutzwirkung, die der globalen Beschleunigung der zerstörerischen Aufheizung des Planeten Einhalt gebieten könnte, ist man weit entfernt.

Das kann jedoch kein Argument gegen die weitere Verrechtlichung des Klimaschutzes im Sinne der Schaffung neuer Rechtspersonen sein, schließlich könnte sich der von den "Naturrechtlern" angestoßene Prozeß ja beschleunigen. Zu fragen ist eher, ob er nicht an die Stelle radikalerer - und damit der Wucht der Entwicklung vielleicht angemessenerer Aktionsformen - treten könnte. Dies liegt im Wesen einer Rechtsform begründet, die nur auf vertrags-, geschäfts- und schuldfähige Subjekte anzuwenden ist, die sich freiwillig dem Gewaltmonopol des staatlichen Souveräns unterwerfen. Die Gewähr und der Entzug von Rechten ist Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses, das auch in der repräsentativen Demokratie die Züge autoritär organisierter Verfügungsgewalt aufweist und jeden dagegen gerichteten sozialen Widerstand in engen Grenzen hält.

Wer sich nicht als mündig erweist und damit bereit ist, dementsprechende staatsbürgerliche Pflichten einzugehen, wer gar die Grundlagen kapitalistischer Vergesellschaftung und damit der herrschenden Ordnung in Frage stellt, dem kann durchaus die Aufhebung seiner bürgerlichen Freiheitsrechte drohen. Die von indigenen AktivistInnen verlangte Subjektivierung der Natur bedarf stets menschlicher Subjekte, die diesen Vorgang vollziehen und regulieren. Auch das indigen bestimmte Verhältnis zu Mutter Erde ist nicht von Beziehungen des Nutzens frei, die sie bei aller Schonung ihrer Natur zum Objekt menschlicher Interessen machen. Was einem in unterstellter Unabhängigkeit existierenden Rechtssubjekt namens Natur eigen und fremd sein müßte, bleibt mithin der Deutungshoheit der SachwalterInnen dieses Status überlassen.

Im Kern schließt das Recht die moralischen Werte, die es schützen soll, aus. Ansonsten wäre es universal bestimmt und könnte niemals für diktatorische oder andere menschenfeindliche Zwecke mißbraucht werden. Zudem ist es an jeder Stelle aufhebbar, wie die prinzipielle Bedeutung des Staatsnotstandes und des daraus hervorgehenden Privilegs, im Not- und Ernstfall den Ausnahmezustand zu erklären, belegen. Der idealistischen Vorstellung eines absoluten, mit Gerechtigkeit in eins fallenden Rechts wird als solche auch deshalb kaum widersprochen, weil der Glaube an die Identität von juristischer Form und moralischem Inhalt nicht zweckmäßiger sein könnte. So gleichgültig dem Kapital der Inhalt der Verwertung nicht nur ist, sondern zugunsten erfolgreicher Akkumulation sein muß, so unvereinbar ist die Widerspruchsfreiheit der Rechtsprechung mit den sozialen Widersprüchen der Klassengesellschaft.

Wäre es anders, dann bedürfte es nicht erst der Setzung der Natur zum Rechtssubjekt. Die gegen sie gerichtete Gewalt der Ausbeutung und Aneignung wäre längst aus inhaltlichen, nämlich dem Interesse aller Lebewesen adäquaten Gründen vollzogen. Der dem zugrundeliegende Trugschluß, der menschengemachten Kategorie "Natur" eine vom Menschen unabhängige Seinsqualität zuzuweisen, tut ein übriges dazu, von der realen und unangenehmen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, die auch das Mensch-Natur-Verhältnis bestimmen, Abstand zu nehmen. Auf dieser anthropozentrischen Weltsicht zu bestehen, ob religiös oder wissenschaftlich begründet, bleibt einem Idealismus verhaftet, der die zerstörerischen Konsequenzen des expansiven Naturverbrauches vor ihrer radikalen Aufhebung schützt.

Als das projektiv andere bleibt die Natur Objekt einer Inwertsetzung, die ihr wie auch immer geartetes Lebensinteresse prinzipiell negiert. Nur in der negativen Affinität, die andere Lebenswelt als fremd, ja feindlich anzusehen, kann sie rücksichtslos angeeignet und vernutzt werden. Was immer als vermeintliches Eigeninteresse von der Totalität stoffwechselgebundener Tauschvorgänge verschont erscheinen mag, bleibt eingebunden in das gebrochene Verhältnis des Menschen zur eigenen Naturwüchsigkeit, das nicht zu erleiden keine Frage der Definition, sondern der Emanzipation ist.

Dessen eingedenk soll anhand der Darstellung einzelner vor dem Tribunal verhandelter Fälle die Notwendigkeit, sich mit diesen Gewaltverhältnissen auseinanderzusetzen, unterstrichen werden. Das gilt auch für das Anliegen indigener Menschen, ihrer eigenen lebensweltlichen Wirklichkeit Geltung zu verschaffen, anstatt den Übergriffen auf sie auch noch dadurch Legitimität zu verleihen, daß der Unterstellung, bei Wasser und Land, bei Pflanzen und Tieren handle es sich um bloße Rohstoffe reproduktiven Verbrauches, zugearbeitet wird.


Indigene AktivistInnen auf dem Podium bei ritueller Handlung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Indigene AktivistInnen auf dem Podium bei ritueller Handlung - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Eröffnungszeremonie zur Reinigung des Ortes
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Auszug aus der Indigenous People's Declaration: 'Mother Earth can live without us, but we can't live without her', beschlossen auf der World People's Conference on Climate Change and the Rights of Mother Earth in Bolivien im April 2010
http://readingfromtheleft.com/PDF/CochabambaDocuments.pdf

In eigener Übersetzung:

Wir indigene Völker sind Söhne und Töchter von Mutter Erde, oder "Pachamama" in Quechua. Mutter Erde ist ein Lebewesen im Universum. Sie konzentriert Energie und Leben und gewährt dabei allen Schutz und Leben, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Sie ist die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - das ist unsere Beziehung zu Mutter Erde. Wir haben für Tausende von Jahren mit ihr in Koexistenz gelebt, unsere Weisheit und kosmische Spiritualität verbunden mit der Natur. Doch die ökonomischen Modelle, die von den industrialisierten Ländern propagiert und durchgesetzt werden, die Ausbeutung und die Anhäufung von Reichtum vorantreiben, haben unsere Beziehung zu Mutter Erde radikal verändert.

[2] https://pwccc.wordpress.com/support/

[3] http://www.rightsofmotherearth.com/rechte-der-mutter-erde

[4] https://therightsofnature.org/united-nations/rights-of-nature-tribunal-bonn-findings/


3. Januar 2018


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