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BERICHT/121: Klimarevolution - auch politisch und sozial ... (SB)


Ich bin für Realitätssinn. Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.
Christian Lindner (FDP), Interview Bild-Zeitung, März 2019 [1]


Am Freitag, den 15. März 2019 gingen in Hamburg rund 10.000 überwiegend junge Menschen auf die Straße, um mit der Demonstration Klimarevolution ein Zeichen zu setzen. Zum ersten Mal hatte die Fridays for Future-Bewegung zu einem weltweiten Streik aufgerufen, der Protestzug in der Hansestadt war Teil einer Aktion in insgesamt 123 Ländern für den Klimaschutz, in Deutschland demonstrierten an 222 Orten insgesamt mehr als 300.000 SchülerInnen und Studierende. [2] Bei einem Auftritt von Greta Thunberg am 1. März in Hamburg war der bisherige Höchstwert von 4000 TeilnehmerInnen erreicht worden, den die Großdemonstration eines Bündnisses von Fridays for Future mit zahlreichen weiteren Klimabewegungen nun weit in den Schatten stellte.

Der Freitagnachmittag in der Hamburger Innenstadt war von gesperrten Straßen und diversen Demonstrationszügen mit Transparenten, Plakaten, Megafonen und Trillerpfeifen geprägt, die den Protest unübersehbar und unüberhörbar in die Öffentlichkeit trugen. Die zahlenmäßig stärkste Demo von Fridays for Future startete am Hachmannplatz beim Hauptbahnhof. Parallel dazu führten die Initiativen Ende Gelände, Gegenstrom und Hambi Soli eine Fahrraddemo durch, die sich von Wandsbek aus in Bewegung setzte. Der Protestzug von Antifa Altona Ost begann im Arrivati Park im Schanzenviertel, und vom Allendeplatz aus machte sich Campus Grün mit Studierenden auf den Weg zum Gänsemarkt, wo alle vier Züge zu einer Kundgebung zusammentrafen. Anschließend machte sich die riesige Menschenmenge auf den Weg kreuz und quer durch die Einkaufsmeile, hielt in der Mönckebergstraße eine weitere Kundgebung ab und versammelte sich zum Abschluß auf dem Rathausmarkt.

Dies war keine Plattform der Parlamente und Parteien, auch kein Schaulaufen von NGOs, die Proteste vereinnahmen und kanalisieren. Es schlug die Stunde der Klimabewegungen, die dank des frischen Winds der streikenden SchülerInnen ein Aktionsbündnis auf die Straßen und Plätze brachten, das zukunftsweisend sein könnte, gerade weil diese junge Generation keine Zukunft hat, sofern es ihr nicht gelingt, das Ruder gegen alle Widerstände herumzureißen. Der Protest ist breit und wächst weiter an, doch dürfte es nun von essentieller Bedeutung sein, inwieweit der Übertrag zwischen den verschiedenen Bewegungen gelingt, deren Erfahrungen, Analysen und Strategien bislang noch sehr unterschiedlich sind, wie die nachfolgenden Auszüge aus den Redebeiträgen zeigen.


Demospitze vor großem Verwaltungsgebäude - Foto: © 2019 by Schattenblick

Lautstark durch Steinwüsten ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Auch für jene handeln, die keine Stimme haben

Zum Auftakt des Zuges der Antifa Altona Ost im Arrivati Park verwies eine Aktivistin auf die Auswirkungen des hereinbrechenden Klimawandels, die auch in Deutschland zu spüren sind, doch im Globalen Süden längst zu Hungersnot, Krankheit und Flüchtlingsströmen führen. Aber ich habe Glück, ich lebe hier. Es ist einfach, die Augen zu verschließen, wenn das Unglück nicht direkt vor der eigenen Nase passiert. Nicht nur der Eisbär wird seinen Lebensraum verlieren und sterben, sondern auch viele andere Tierarten, darunter zum Beispiel das Nashorn, für welches die anhaltenden Dürren eine größere Gefahr fürs Überleben darstellen als die Wilderei. Aber ich hatte Glück. Ich bin kein Tier, das seine Stimme nicht erheben kann, wenn etwas falsch läuft. Es ist einfach, nichts zu sagen, wenn es einen selber nicht betrifft. In wenigen Jahren wird es aber auch in Deutschland vermehrt zu Hochwasser, Dürren, Waldbränden und Artensterben kommen. Das ist der Punkt, an dem ich nicht mehr sagen kann, daß ich Glück habe. Dies wird auch mich und meine Generation betreffen. Wesentlich ist jedoch, nicht nur aus eigener Betroffenheit, sondern für alle Menschen und Tiere auf dieser Welt zu handeln, die jetzt schon die Folgen erleben. Wir können es uns nicht leisten, die Augen zu verschließen, unseren Mund zu halten und die Tatsache zu ignorieren, daß es jetzt an der Zeit ist zu handeln. Tut es für diejenigen, die keine Stimme haben, um sich zu wehren. Tut es für die Menschen, die nichts für die Umstände können, in denen sie leben. Tut es für alle Lebewesen auf diesem Planeten, die unter dem Klimawandel leiden oder leiden werden. Geld kann und darf dabei keine Rolle spielen. Denn jeder, ob Mensch oder Tier, hat ein gutes Leben auf dieser Erde verdient!


Demo auf dem Jungfernstieg - Foto: © 2019 by Schattenblick

... und zugiges Wetter auf dem Hamburger Jungfernstieg
Foto: © 2019 by Schattenblick


Der Klageweg versandet bald

Bei der Zwischenkundgebung vor dem Gerichtsgebäude klagte ein als Jurist verkleideter Aktivist die Bundesregierung wegen ihrer Unterstützung von Konzernen wie RWE und der Verzögerung des Braunkohleausstieg an. Er klagte die Automobilindustrie angesichts ihres durch permanente Lobbyarbeit erworbenen politischen Freifahrtscheins und ihres Nichteinhaltens von Umweltrichtlinien an. Er klagte an, daß 900 Millionen Menschen auch wegen des Klimawandels Hunger leiden und täglich um ihre Lebensgrundlage fürchten müssen. Doch versteht mich nicht falsch: Wir können klagen, soviel wir wollen, tatsächliche Veränderungen werden wir dadurch nicht erreichen. Durch Klagen zu erreichen, daß die Bagger kurzfristig stillstehen, eine Fabrik weniger oder an einer anderen Stelle gebaut wird, kann nie mehr als ein Sandkorn im Getriebe der gigantischen Maschinerie sein, die unsere Erde und unser aller Leben bedroht. Solange Konzerne darauf angewiesen sind, Profite zu machen, um auf dem Markt zu bestehen, und die Regierungen dieses kurzfristige und kurzsichtige Gewinnstreben unterstützen, weil sie selber davon profitieren, können wir Veränderungen vor Gerichten nicht erreichen. Aber wir können auf die Straße gehen und gemeinsam für Veränderungen sorgen. Heute ist erst der Anfang, und der Weg ist noch weit, aber es ist noch nicht zu spät. Es geht um nichts weniger, als um den Planeten, unsere Zukunft und die unserer Kinder. Act now! Laßt uns gemeinsam kämpfen für unsere Welt und für unsere Zukunft.


Menschenmenge und Plakate - Foto: © 2019 by Schattenblick

Treffpunkt der Züge am Gänsemarkt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Lernen in die eigenen Hände nehmen

Auf dem Gänsemarkt erinnerten zwei SprecherInnen von Campus Grün daran, daß die Universität als ein Ergebnis der Novemberrevolution 1918/19 gegründet wurde und stets eine widersprüchliche gesellschaftliche Rolle gespielt hat. Einige sahen in ihr eine Möglichkeit der Befreiung von Bevormundung und Unterdrückung, eine Errungenschaft zur Bildung mündiger Persönlichkeiten, die allen zugänglich sein sollte. Für die gesellschaftliche Rechte hingegen war sie die Grundlage weiterer Besitzsteigerung durch die Entwicklung neuer Technik und höher qualifizierter ArbeiterInnen. An diesem Widerspruch hat sich bis heute nichts geändert. Im Leitbild heißt es, daß die Mitglieder der Uni zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen wollen. Wissenschaft soll nur im Dienst am Menschen stehen. Die Uni könnte heute das sein, was 1919 weit entfernte Vision war. Wir könnten an den Universitäten gemeinsam an den gesellschaftlichen Problemen wie Klimawandel oder Verkehrswende lernen und forschen.

Die Universität ist heute jedoch mehr denn je abhängig von Unternehmen und staatlichen Institutionen. Die Grundfinanzierung reicht nicht einmal mehr zum Überleben der Wissenschaft. Die Forschung muß unablässig weitere Finanzmittel beantragen, die meisten Projekte sind nicht in der Lage, sinnvoll zu arbeiten. Nur Eliteprojekte, wozu in Hamburg auch die Klimawissenschaft gehört, sind finanziell gesichert. Doch statt gesellschaftliche Transformation umzusetzen, um die ökologischen Krise zu stoppen, beschränkt man sich dort auf die Modellierung möglicher Zukünfte unter weiter verschlechterten Bedingungen. Das Studium ist durch das Bachelor-Master-System verschärft an den sogenannten Arbeitsmarkt angelehnt. Wir lernen nicht, sondern werden für Berufe ausgebildet. In sechs Semestern sollen wir in Konkurrenz zueinander 180 inhaltslose Leistungskurse erbringen, damit wir einen lächerlichen BAFöG-Satz von maximal 735 Euro erhalten, von dem wir dann leben sollen. Nebenbei müssen wir lohnarbeiten, um die steigenden Mietkosten zu bezahlen und überhaupt noch über die Runden zu kommen.

Während von Parlamenten und Unternehmen die ökologische Krise kleingeredet wird, haben die SchülerInnen begonnen, diesen Alltag zu bestreiten, in dem Lernen nur Ausbildung heißt und eben nicht Selbstbildung für die Lösung fundamentaler gesellschaftlicher Probleme. Ihr organisiert euch selbst, und wir Studierenden wollen uns anschließen, um solidarisch und radikaldemokratisch gegen das tägliche Pauken vorzugehen. Wir schließen an die früheren studentischen Auseinandersetzungen für eine gesellschaftlich eingreifende Wissenschaft an, die eine nachhaltige Entwicklung der Welt durchsetzt. Wenn in Schule und Uni heute keine Bildung zur Lösung der Klimakrise stattfindet, müssen wir selbst InitiatorInnen dafür sein. Wir schlagen hier und heute vor, daß wir uns Räume schaffen, um uns als Ökologiebewegung gemeinsam zu bilden und weiterzuentwickeln für diese Auseinandersetzung zur Erhaltung der ökologischen Grundlagen unseres Planeten gegen die Profitinteressen und antidemokratischen Tendenzen. Wir haben eine gesamte Welt zu gewinnen!


Transparent 'Keine Macht für niemand' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Machtfrage final beantwortet
Foto: © 2019 by Schattenblick


Klimawandel stoppen - Kapitalismus überwinden

Zwei AktivistInnen von Antifa Altona Ost zeichneten das dystopische Bild einer aufgeheizten Erde, die weltweit von Dürren, Stürmen und Überschwemmungen wie auch permanenten Kriegen um die letzten Ressourcen heimgesucht wird. Das sind die Folgen einer auf Wirtschaftsinteressen beruhenden Klimapolitik. Kohlekraftwerke stoßen weiterhin Unmengen an CO2 aus, allein 300 Millionen Tonnen jährlich in Deutschland. Abgaswerte von Flugzeugen, Schiffen und Autos werden so gut wie gar nicht reguliert, und auch die Fleischproduktion trägt erheblich zum Treibhauseffekt bei. Die UN-Klimakonferenzen sind allenfalls ein Anfang, doch solange die selbstgesteckten Ziele nicht eingehalten werden, weil sich die Regierungen an den Interessen der Wirtschaft orientieren, dreht sich die Negativspirale weiter. SchülerInnen, die auf die Straße gehen, um gegen diese Mißstände zu protestieren, werden von denselben PolitikerInnen verbal angegriffen, ein Dialog findet nicht statt.

Parteien und Wirtschaftsverbände wie die Kohlelobby konfrontieren uns mit abgedroschenen Phrasen. Wirklich schockierend ist jedoch die Belanglosigkeit, mit der die Umwelt behandelt wird. Wir können den Klimaschutz nicht wie Verspätungen bei der Bahn behandeln und hoffen, daß sich über die Jahre schon etwas bessern wird. Laßt uns nicht länger hinnehmen, daß die älteren Generationen unsere Zukunft aus egoistischen und nationalistischen Interessen zerstören. Laßt uns in Zeiten, in denen die AfD, der US-Präsident und andere Rechtspopulisten den maßgeblichen menschlichen Einfluß auf den Klimawandel leugnen, gemeinsam ein Zeichen des Protestes setzen. Wir müssen uns gemeinsam und geschlossen für unsere Umwelt einsetzen. Act now! Klimawandel stoppen, Kapitalismus überwinden!


Transparent 'Aufstand für das Leben - Extinction Rebellion Hamburg' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Rebellion gegen Auslöschung
Foto: © 2019 by Schattenblick


Mündige BürgerInnen - Druck auf die Politik

In der Mönckebergstraße forderte eine Aktivistin von Extinction Rebellion die Regierung auf, die Wahrheit zu sagen und die Klimakatastrophe in ihrem ganzen Ausmaß offenzulegen. Dies sei eine ethische Frage und dürfe keine machtpolitische Frage sein. Wo bleibt das Verantwortungsgefühl für unsere Mitmenschen auf der ganzen Welt, für die kommenden Generationen? Deutschland hat sich verpflichtet, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu halten. Dafür müssen die bis spätestens 2030 die Emissionen auf Null herunterfahren werden. Doch die Regierung läßt sich Zeit bis 2050. Wir steuern auf mindestens 3 Grad Erwärmung zu und das ist eine Katastrophe. Die Bundesregierung versagt bei den Klimazielen und versucht, dieses folgenreiche Versagen zu vertuschen. Und wir haben das mitgetragen durch unser Schweigen. Das ist jetzt vorbei! Wir brauchen Politiker, die für eine Welt kämpfen, die auch für zukünftige Generationen lebenswert ist. Und diese Politiker brauchen unsere Unterstützung. Wir können den gesellschaftlichen Konsens ändern. Wir müssen durch Lautwerden andere Fakten schaffen. Wir haben Macht, wenn wir sie wahrnehmen. Wir fordern von den Regierungen: Ruft den Klimanotstand aus! Behandelt die Lage so, wie sie ist! Wir, alle zusammen, Bürger und Regierungen hier und jetzt können unser Aussterben gerade noch rechtzeitig aufhalten. Es wird nicht leicht, und wir haben viele Widerstände zu überwinden. Wir müssen stark sein und stur. Wir müssen zusammenhalten. Wir müssen ungehorsam sein, fest in unserer Moral und klar in unserer Liebe zu den Mitmenschen und unserem Planeten. Einen anderen haben wir nicht. Extinction Rebellion setzt auf mündige, aufgeklärte Bürger und auf zivilen Ungehorsam, auf direkte gewaltfreie Aktion. Wir wollen soviel Druck auf Verantwortliche erzeugen, bis sie ihr destruktives Handeln einstellen. Das ist unser Teil der Verantwortung, den Umbruch mitzutragen und mitzugestalten. Dafür braucht es aktive, leidenschaftliche Menschen, die für ihre Zukunft kämpfen.


Transparent 'Decoalonize!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ende Gelände - Kampfansage an extraktivistischen Kolonialismus
Foto: © 2019 by Schattenblick


Massenaktionen zivilen Ungehorsams

Ende Gelände führt seit 2015 Massenaktionen zivilen Ungehorsams in den Braunkohlerevieren Deutschlands durch. Wir gehen mit Tausenden Menschen an die direkten Orte der Zerstörung, setzen uns auf Bagger und Schienen und blockieren mit unseren Körpern die fortlaufende Kohleverbrennung, so die beiden AktivistInnen. Wir halten es für notwendig und angemessen, einen Schritt weiterzugehen, vom öffentlichen Protest zum zivilen Ungehorsam. Wir nehmen den Kohleausstieg selbst in die Hand. Mit dem Ergebnis der Kohlekommission verfehlen wir nicht nur deutlich die Ziele des Pariser Abkommens, sondern rasen auch weiter ungebremst auf eine Erderwärmung von 4 bis 6 Grad zu. Politik und Kohlekonzerne stellen Profite über die Grundbedürfnisse der Menschen und verfeuern unsere Zukunft. Die Zeit des Appellierens ist vorbei!

Ende Gelände fordert den sofortigen Kohleausstieg für Klimagerechtigkeit weltweit. Denn ein Kohleausstieg 2038 bedroht nicht nur Dörfer in den deutschen Braunkohlerevieren, sondern auch ganze Regionen in den Steinkohleexportländern Rußland und Kolumbien. Als größte CO2-Quelle Europas bedroht das Rheinische Braunkohlerevier zudem ganze Inselstaaten und Küstenregionen im Globalen Süden. Der Klimawandel ist eine globale Gerechtigkeitskrise. Wir akzeptieren nicht, daß Millionen von Menschen die Folgen des Klimawandels ausbaden müssen, während wenige Konzerne und Superreiche auch noch Profit mit der Zerstörung machen. Wir leben auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen und in einem Wirtschaftssystem, in dem die Produktion unbegrenzt weiterwachsen soll. Unseren Konsum zu hinterfragen und eine grüne Partei zu wählen, wird den Klimawandel nicht aufhalten. Wir brauchen eine Wirtschaft und Produktionsweise, deren Ziel nicht größtmögliche Profite sind, sondern die sich nach den Bedürfnissen aller Menschen gleichermaßen richtet und wo die Tragfähigkeit unseres Planeten im Vordergrund steht.

Ende Gelände wird mit einer Massenaktion vom 19. - 24. Juni 2019 den Tagebau im Rheinischen Braunkohlerevier blockieren. Tausende KlimaaktivistInnen aus ganz Europa werden erwartet. Wir werden dieses Jahr zeigen, daß die großen Proteste für den Erhalt des Hambacher Forsts im letzten Herbst erst der Anfang waren. Die Bewegung wächst, und der Protest nimmt immer weiter Fahrt auf. Mit neuen Polizeigesetzen versuchen sie unsere Aktion für Klimaschutz zu kriminalisieren. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir müssen ungehorsam sein, um unsere Zukunft zu retten. Gemeinsam kämpfen wir für ein gutes Leben für alle Menschen und für die nächsten Generationen.


Transparent 'Ausbeutung von Mensch und Natur abschaffen' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparent 'Ausbeutung von Mensch und Natur abschaffen' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Ausbeutung und Widerstand
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Atom- und Kohleausstieg bleiben Handarbeit

Ein Sprecher von SAND (Systemoppositionelle Atomkraft-Nein-Danke) charakterisierte den Hamburger Hafen als eine Drehscheibe des weltweiten Handels mit der Ausbeutung von Ressourcen. Mit dem Kohlekraftwerk Moorburg von Vattenfall ist eine CO2-Schleuder neu in Betrieb genommen worden. Vom Hafen aus werden radioaktives Material für Atomkraftwerke in alle Welt transportiert, Waffen und Munition verschifft und Kohle umgeschlagen. Die großen Konzerne wie RWE oder Vattenfall sind kein Fehler der herrschenden Verhältnisse, sondern ihr bewußter und konsequenter Ausdruck. Es geht nicht darum, bestimmte Symptome zu kurieren, sondern die Ursache in Gestalt der kapitalistischen Verhältnisse anzugreifen. Dafür müssen wir uns gegen die Profitinteressen durchsetzen. Wir fordern wie bei der Atomkraft eine sofortige Stillegung der Kohlekraftwerke. Der Kohleausstieg bleibt weiterhin Handarbeit, denn ohne unsere Aktionen wird er auf die lange Bank geschoben. Die Atomkatastrophe wie jene in Fukushima seit acht Jahren ist kein Schicksal und keine Fehleinschätzung, sondern von Menschen bewußt in Kauf genommen worden. Sie ist ein Verbrechen wie der Klimawandel. Wir beobachten unter anderem die Atomtransportschiffe im Hamburger Hafen, regelmäßig wird Urankonzentrat (Yellow Cake), ein Rohstoff zur Herstellung von Brennelementen, nach Südfrankreich verschifft. Mit den Akws wird kein Klima gerettet, höchstens verstrahlt. Atomtransporte verhindern heißt, die Atomkraftwerke stillzulegen, und genau das ist unser Ziel. Für eine sofortige Stillegung aller Atomanlagen, Kohleanlagen und der kapitalistischen Verhältnisse weltweit!


Schilder 'We Are Fucking Angry' und The People Don't Know Their True Power' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Schilder 'We Are Fucking Angry' und The People Don't Know Their True Power' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Mobilisieren und Querstellen
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Repression - Solidarität mit den Gefangenen

Bei der Schlußkundgebung auf dem Rathausmarkt erinnerte ein Aktivist von Hambi Soli daran, daß die Aktivistin Eule zu diesem Zeitpunkt immer noch im Knast saß. Sie wurde Ende September inhaftiert und im Februar zu neun Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ein politisches Urteil, wie sich aus der Urteilsbegründung herauslesen läßt. Laut Richter gebe es keine Zweifel, daß eine Entwicklungsverzögerung vorliegt. Arrest reiche nicht, da erhebliche schädliche Neigungen vorlägen. Eule hege zudem staatsfeindliche Ansichten, wie sich aus ihren beschlagnahmten Briefen aus dem Knast ableiten ließe, in denen unter anderem die Wörter "Hampelmännchen in Blau" und "Scheißstaat" vorkommen. Jemand, der so etwas schreibe, habe erhebliche Erziehungs- und Persönlichkeitsmängel. Dieses harte Urteil sei auch ein Verdienst der im Gerichtssaal anwesenden Sympathisanten, so der Richter. Derselbe Richter hatte im Sommer 2018 eine Aktivistin wegen Trommelns zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Angeklagte habe selbst nichts geworfen, so ein Gerichtssprecher damals, aber die böllernden AktivistInnen trommelnd unterstützt. Mit diesen und weiteren Urteilen sowie Prozessen wie zum Beispiel Haftstrafen gegen drei Ende-Gelände-AktivistInnen, die Anfang des Jahres einen Kohlebagger in der Lausitz besetzt haben, sollen Exempel statuiert werden. Auch die zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe durch RWE, die sich gegen fünf AktivistInnen richten, welche 2017 zusammen mit neun weiteren das Braunkohlekraftwerk Weisweiler besetzt hatten, zeigt deutlich, daß Staat und Energiekonzerne wie RWE Hand in Hand arbeiten, um die Klimagerechtigkeitsbewegung zu schwächen und mundtot zu machen. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern. Unsere Solidarität ist größer als ihre Repression!

Funktionierende Unterstützungsstrukturen sind ein wichtiger Aspekt für einen langfristigen und erfolgreichen Kampf. Neben Konzepten wie einem Legal Team, das während und nach Aktionen für rechtliche Belange da ist, und Out of Action, ein Anlaufpunkt für traumatisierte AktivistInnen, ist eine Bewegung unerläßlich, die gute Antirepressionsstrukturen bietet. Um Menschen, die im Knast sitzen, zu unterstützen, gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten. Schreibt ihnen Briefe, Geschichten oder schickt ihnen selbstgemalte Bilder in die Zelle. Oft erfährst du im Internet, was sich die Gefangenen wünschen. Seid kreativ und zeigt ihnen, daß sie nicht alleine sind. Ihr könnt auch Soli-Demos oder Kundgebungen vor Knästen organisieren oder Vereinen wie der Roten Hilfe Geld spenden oder beitreten. Sie beraten und unterstützen von Repression betroffene AktivistInnen. Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir alle.

Die Aktivistin Eule ist seit wenigen Tagen ohne Auflagen wieder auf freiem Fuß, ohne ihre Identität preisgegeben zu haben. Das Amtsgericht Köln hat die Aufhebung des Haftbefehls mit Verhältnismäßigkeit begründet.


Transparent 'Make Rojava Green Again' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Neue Lebensentwürfe und Organisationsformen unterstützen
Foto: © 2019 by Schattenblick


Wachstumsideologie der Kapitalverwertung

Zwei SprecherInnen von Gegenstrom rezitierten das zentrale Glaubensbekenntnis der herrschenden Politik sowie großer Teile des gesellschaftlichen Mainstreams: Wachstum, Wachstum, Wachstum! Dieses Mantra bedeutet, daß auf einem begrenzten Planeten die Produktion unbegrenzt weiterwachsen muß, damit aus sehr viel Geld noch mehr Geld wird. Die Folgen sind verhängnisvoll, um nur drei der ärgsten Probleme zu nennen. Erstens eine umfassende, fortschreitende ökologische Zerstörung. Zweitens extreme, sich immer weiter zuspitzende soziale Ungleichheit global und national. Drittens eine Verschiebung zugunsten der autoritären Rechten. Die Interessen des Kapitals liegen sowohl den ökologischen als auch den sozialen Entwicklungen zugrunde. In unsicheren Verhältnissen eskaliert das Konkurrenzdenken zur Verachtung von Menschen mit hetzerischen Sündenbockkampagnen und mörderischer Abschottung der reichen Weltregionen gegenüber Geflüchteten. Zugleich wird die neokoloniale Ausbeutung der Herkunftsländer fortgesetzt.

Keines der großen Einzelprobleme läßt sich für sich allein im Kapitalismus lösen, auch nicht das Klimadesaster. Profite haben Vorrang, Menschen, reale Lebensqualität, das Leben anderer Spezies, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sind nachrangig. Auch ein grün gefärbter Kapitalismus setzt auf fortwährendes Wirtschaftswachstum, doch die versprochene Reduzierung des Ressourcenverbrauchs funktioniert so nicht. Die durch Effizienz zunächst eingesparten Ressourcen und Gelder werden in kapitalistischer Manier sogleich wieder in zusätzliche Ausweitung von Produktion und Konsum gesteckt. Über nennenswertes Kapital verfügt nur eine kleine Minderheit. Die große Mehrheit ist darauf angewiesen, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, sei es durch bezahlte Lohnarbeit oder prekäre Selbständigkeit. Macht konzentriert sich in wenigen hundert weltweit agierenden Konzernen und Finanzagenturen, die in vielerlei Hinsicht sogar mächtiger als die meisten nationalen Regierungen geworden sind. Die überwiegende Zahl der PolitikerInnen hat die Interessen des Kapitals in vorauseilendem Gehorsam tief verinnerlicht. Beispielhaft Angela Merkel mit ihrer Rede von der marktkonformen Demokratie oder Winfried Kretschmann mit seiner innigen Beziehung zur Daimler Benz AG.

Dennoch können Regierungen und Konzerne von sozialen Bewegungen unter Druck gesetzt werden, wenn diese auf radikale Veränderungen zielen und zugleich breit, vielfältig und ausdauernd sind. Es geht nicht nur darum, graduelle Zugeständnisse zu erkämpfen, notwendig für die Erhaltung des Lebens ist ein grundlegender Wandel des gesellschaftlichen Systems. Wir brauchen eine Produktions- und Lebensweise, die nicht mehr zu Lasten anderer Menschen geht. Weder jener im Globalen Süden, noch der Menschen hierzulande, die sich im Niedriglohnsektor kaputtschuften müssen, und auch nicht zu Lasten der kommenden Generationen. Forderungen nach Gerechtigkeit sind dann überzeugend, wenn sie unteilbar für alle erhoben werden. Die von Unterdrückung betroffenen Menschen dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Solidarisch können wir selbst die Folgen der wahnsinnigen kapitalistischen Gegenwart gemeinsam bewältigen.


Schilder 'Schützt die Umwelt, wir haben nur einen Planeten' und 'It's Not Just A Global Warming It's A Global Warning' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Schilder 'Schützt die Umwelt, wir haben nur einen Planeten' und 'It's Not Just A Global Warming It's A Global Warning' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wer die Zeichen nicht sieht ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Diese steinernen Verhältnisse zum Tanzen bringen!

Das Schlußwort blieb einem Menschen der älteren Generation vom Hamburger Energietisch vorbehalten. Er habe sich früher oft gefragt, warum die jungen Leute nicht auf die Straße gehen, deren Zukunft verkauft wird. Hätte ihm vor einem halben Jahr jemand gesagt, daß in Hamburg Tausende SchülerInnen auf die Straße gehen würden, hätte er ihm gesagt, träum' weiter. Er engagiere sich seit 25 Jahren für Energie- und Klimapolitik, doch heute sei ein Traum wahr geworden. Das ist etwas völlig Neues, was wir hier erleben, und ich wünsche mir, daß das weitergeht. Von den 500 größten Konzernen haben etwa 30 Prozent mit Kohle, Öl und Erdgas zu tun. Ölkonzerne, Energiekonzerne, Autokonzerne und Flugverkehr. Eine Zusammenballung wirtschaftlicher und deshalb auch politischer Macht. Wenn wir die Klimakatastrophe abwenden wollen, müssen wir uns dafür einsetzen, daß die Macht dieser Großkonzerne eingeschränkt und überwunden wird. Nur dann wird es möglich sein, die Treibhausgasemissionen zu bremsen und all die anderen schädlichen Folgen ihrer Profitmacherei zu überwinden. Es gibt Beispiele, daß das gelingen kann: Nach Fukushima sind Hunderttausende auf die Straße gegangen, und nur deshalb sollen die Atomkraftwerke abgestellt werden. In Hamburg haben wir 2013 einen Volksentscheid gegen den Widerstand von Eon und Vattenfall gewonnen, daß sie das Strom-, Gas- und Fernwärmenetz wieder an die Stadt abgeben mußten. Ich wünsche euch und uns, daß wir noch viele Menschen auf die Straße bringen, um diese steinernen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen!

(wird fortgesetzt)


Schild 'Was wird aus Olaf?' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Offene Fragen ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/christian-lindner-klimaschutz-ist-was-fuer-profis-und-nicht-fuer-kinder-60573006,view=conversionToLogin.bild.html

[2] Video von SchülerInnendemo in Düsseldorf
https://vimeo.com/325326522


Berichte und Interview zur Hamburger Demonstration Klimarevolution im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

BERICHT/120: Klimarevolution - es geht um mehr ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0120.html


20. März 2019


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