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FLUCHT/061: Getretene Würde - gebrochenes Wort ... (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Pressemitteilung, 14.08.2014

Flüchtlinge vom Oranienplatz und der Hauptmann-Schule:

Es gibt keine einzige Umverteilung nach Berlin, keine einzige Aufenthaltserlaubnis, keinen Abschiebestopp

Henkel und Kolat verdrehen die Wirklichkeit



Seit zwei Tagen geht es durch die Presse: Sozialsenatorin Kolat (SPD) lobt den Umgang des Landes Berlin mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz und erklärt: »Das ist ein ganz außergewöhnliches Verfahren, das Berlin hier praktiziert«.[1] Innensenator Henkel (CDU) bemängelt, die Flüchtlinge würden die »vereinbarten Regeln« nicht beachten.[2] Tatsächlich halten sich weder Senat noch Ausländerbehörde an Zusagen aus dem sogenannten 'Einigungspapier Oranienplatz' vom 18. März 2014.

In keinem Fall wurde bisher ernsthaft einzelfallbezogen geprüft. Es gibt keine einzige Umverteilung nach Berlin, keine einzige Aufenthaltserlaubnis, keinen Abschiebestopp.

Offensichtlich wird das 'Einigungspapier' von der Innenverwaltung und der Ausländerbehörde Berlin als bloße, rechtlich vollkommen unverbindliche Erklärung eingestuft. In einem Schreiben der Innenverwaltung vom 8. Juli 2014 heißt es, man wolle »nochmals« darauf hinweisen: »dass kein Abschiebestopp gem. § 60 a AufenthG durch den Senat für Inneres und Sport angeordnet wurde. Des Weiteren wurden keinerlei Zusicherungen gemacht, Duldungen in Berlin zu erteilen oder Anträgen auf Umverteilung zuzustimmen«.

Festzustellen ist: Die Thematik der Flüchtlinge vom Oranienplatz berührt vielfältige Rechtsfragen. Innensenator Henkel verleugnet dies, spricht aber in der Öffentlichkeit, ebenso wie die Integrationssenatorin Kolat, vom ?Oranienplatzverfahren? und erzeugt damit bewusst den Anschein eines rechtlichen Verfahrens. Gleichzeitig nimmt die Ausländerbehörde Berlin die jeweils restriktivste Rechtsauslegung vor.

Faktisch findet ein - rechtlich mögliches und gebotenes - Ausüben von Ermessensspielräumen in keinem Fall statt.

An dem 'Verfahren' haben auch die Kirchen sehr deutliche Kritik geübt.[3]
Ebenso haben maßgebliche Mitglieder des Landesbeirats das Vorgehen kritisiert.[4]
Auch der Flüchtlingsrat hat massive Kritik geäußert.[5]
In einem Rechtsgutachten wurden die rechtlichen Verbindlichkeiten für den Senat, die sich aus dem Einigungspapier ergeben, klar aufgezeigt (unter: rav.de, http://bit.ly/1q3RFdt).

Tatsächlich gibt es keinerlei Willen, eine Lösung für die Flüchtlinge vom Oranienplatz und der Gerhart-Hauptmann-Schule zu finden. Es gibt kein 'Oranienplatzverfahren'! Dies alles wegzureden, wie es insbesondere auch Senatorin Kolat jetzt tut, ist unlauter und beschämend. Die Ausländerbehörde Berlin erklärt sich in allen Fällen für nicht zuständig. Dies ist Senatorin Kolat und auch Senator Henkel bekannt. Der Rat von Senatorin Kolat an die Flüchtlinge, »einen Antrag auf humanitären Aufenthalt zu stellen«[6], ist vor diesem Hintergrund mehr als zynisch. Das Vorsprechen der Flüchtlinge vom Oranienplatz bereitet allein die Ablehnung ihrer Anträge oder deren Abschiebung vor. Eine Beratung kann so nicht erfolgen.

Senatorin Kolat sucht jetzt offensichtlich - nach langem Schweigen - den Schulterschluss zu Innensenator Henkel. Es ist offensichtlich, dass die Betroffenen nur Spielball der Politik sind und es nie ein Interesse an einer Lösung gab. Die Ausländerbehörde beteiligt sich an diesem Spiel. Sie erweckt den Eindruck, es gäbe ein Verfahren auf Grundlage eines Papiers, das sie selbst in ihrer Praxis für null und nichtig erklärt.

Wenn es kein Verfahren gibt, gebietet es der politische Anstand, hierüber zumindest die Flüchtlinge und die Öffentlichkeit nicht zu täuschen.

Wir fordern die Innenverwaltung auf,
  1. sofort die Aussetzung sämtlicher Verfahren anzuordnen.
Wir fordern den Senat auf, sofort einen Beschluss für die Flüchtlinge vom Oranienplatz zu fassen, der folgende Mindestregelungen enthält:
  1. Sofortiger Abschiebestopp für alle Flüchtlinge des Oranienplatzes und der Gehart-Hauptmann-Schule.
  2. Erteilung einer humanitären Duldung für alle bis zum rechtskräftigen Abschluss der Antragsverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
  3. Das Aufenthaltsgesetz beinhaltet verschiedene Möglichkeiten, den Rechtsstatus der Personen zu Gunsten der Betroffenen zu regeln. Wir fordern, diese strikt anzuwenden.


Anmerkungen:

[1] Vgl. taz vom 13. August 2014, S. 21.

[2] Vgl. www.rbb-online.de/politik/thema/streit-um-fluechtlingsheime/beitraege/henkel-zieht-bilanz-zu-oranienplatz-fluechtlingen.html

[3] http://www.rbb-online.de/politik/thema/streit-um-fluechtlingsheime/beitraege/diakonie-und-caritas-schreiben-brandbrief-zur-fluechtlingspolitik-an-senat.html

[4] http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/wollen-sie-fluechtlinge-schuetzen-oder-wollen-sie-es-nicht-364/

[5] http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_pe2.php?post_id=684

[6] Vgl. www.berliner-zeitung.de/berlin/kolat-raet-o-platz-fluechtlingen-zu-antrag-auf--humanitaeren-aufenthalt-,10809148,28099788.html.

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Quelle:
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2014