Erlebnisbericht & Fotogalerie der Vorgänge während der "Welcome to Hell"-Demo,
6. Juli 2017, St. Pauli Fischmarkt
Text: Thomas Piesbergen, Fotos: Adriane Steckhan, 7. Juli 2017
Aus aktuellem Anlaß möchte ich die Öffentlichkeit des Textprojekt-Blogs nutzen, um aus erster Hand über die Ereignisse während des Demonstrationsauftakts der offiziell angemeldeten und genehmigten "Welcome to Hell"-Demo zu informieren.
Nach meiner Einschätzung wurde eine zunächst friedliche Demonstration, an der vielfältige Gesellschafts- und Alterschichten beteiligt waren, von der Polizei gezielt blockiert und angegriffen, um die genehmigte Demonstration schon vor Beginn des eigentlichen Demonstrationszuges methodisch aufzureiben.
Für diese Strategie spricht auch, daß gerade "Welcome to Hell" die einzige Demonstration während der G20-Tage gewesen ist, die keinerlei Auflagen bekommen hat. Ein befreundeter Polizist, der Hartmut Dudde bereits länger kennt, hat mir diese Einschätzung im vollen Umfang bestätigt. Er hielt die Planung und Durchführung des Einsatzes für verantwortungslos.
Ich möchte mit dieser Darstellung auf keinen Fall die Zerstörungen und Gewalttaten rechtfertigen, die in der Folge von marodierenden Banden in die Stadt getragen worden sind. Sie stellen vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Die frustrierten und orientierungslosen jungen Menschen, denen sich ein Rahmen geboten hat, ihre Gewaltphantasien ungezügelt auszuleben, sind das kranke Produkt einer kranken Gesellschaft. Um solche Exzesse in Zukunft zu unterbinden, ist Repression ebenso nutzlos wie der Versuch, einen Topfdeckel auf einen überkochenden Topf zu pressen.
Die Vorgänge zum Auftakt der "Welcome to Hell"-Demonstration zeigen, daß die Strategie der Polizei zu keiner Zeit auf Deeskalation ausgerichtet war, wie es z.B. in Berlin inzwischen der Fall ist. Dort ließ man sogar eine unangemeldete autonome Demo am 1. Mai 2017 zu, um eine gewalttätige Eskalation, die auch Unbeteiligte betroffen hätte, zu vermeiden. Mit ihrem militärisch-strategischen Aufmarsch und Anfgriff hat die Einsatzleitung in Hamburg von Anfang an mehr als deutlich gemacht, auf welche Art und Weise sie die Auseinandersetzung führen möchte, nämlich mit Mitteln der Gewalt. Einsatzleiter Hartmut Dudde, Innensenator Andy Grote und Bürgermeister Olaf Scholz haben die für Hamburg katastrophalen Folgen klar mit zu verantworten.
16:27
Wir gehen auf die Straße und zum Fischmarkt. Auf der Straße St. Pauli
Fischmarkt eine deutliche Polizeipräsenz.
St. Pauli Fischmarkt 4, Blick zur Breiten Straße
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
St. Pauli Fischmarkt 4, Blick zum Fischmarkt
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
bis 18:45
Die Stimmung auf dem Fischmarkt ist entspannt und erinnert eher an ein
Festival, als eine Demo. Zwischen den Kundgebungen gibt es Musik von den
Goldenen Zitronen, Cpt. Gips und anderen.
Unter den internationalen Demonstranten sind zahlreiche junge Familien mit
kleinen Kindern, ältere Leute, Studenten etc. Autonome sind eine deutliche
Minderheit.
Die Polizei hält sich zunächst im Hintergrund.
Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Patrouille am Fluttor zum Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
17:00
Wenigstens 7 Polizeihubschrauber sind am Himmel zu sehen und überwachen das
Gelände großräumig. Inzwischen sind mehrere Tausend Menschen auf dem
Fischmarkt. Die Stimmung bleibt sommerlich entspannt.
Polizeihubschrauber über dem Hafen, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Polizeihubschrauber über der Kreuzung St. Pauli Fischmarkt / Fischmarkt,
"Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Blick zum Fluttor, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Blick über den Fischmarkt Richtung Fluttor, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Blick über den Fischmarkt hoch zur Breiten Straße, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
ca. 18:10
Noch immer sind zahlreiche Familien mit Kleinkindern auf der Demonstration.
Die Stimmung ist unverändert gut und friedlich
Blick über den
Fischmarkt hoch zur Breiten Straße, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Blick zur Fischauktionshalle, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Info-Point, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
ca. 18:30
Eine Hundertschaft marschiert von der Fischauktionshalle am Wasser entlang
Richtung Hafenstraße. Bis auf harmlose Provokationen seitens der
Demonstranten gibt es keine Zwischenfälle.
Demonstranten, Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
ca. 18:45
Der Beginn des Demonstrationszugs wird angekündigt. An der Spitze des Zuges
auf der Mündung des Fischmarkts zum St. Pauli Fischmarkt wird eine
riesiger, schwarzer Plastik-Kubus aufgeblasen. Einige Dutzend Autonome und
"Demo-Kids" maskieren sich mit Sonnenbrillen und Tüchern und versammeln
sich auf der Straße, sie bleiben aber deutlich in der Minderheit.
Demonstranten bewegen
sich zum St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
"Schwarzer Block",
St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
18:50
Wir versuchen über die Straße zu unserem Haus zu kommen, aber eine
BFE-Hundertschaft ("Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit") marschiert die
Häuserfront entlang Richtung Hafenstraße. Obwohl ich meinen Ausweis zeige
und mich als Anwohner zu erkennen gebe, werde ich nicht
durchgelassen.
Wie wir später über live-Berichterstattung des FSK erfahren, ist das eine
der Einheiten, die sich auf der Höhe des Fischerhauses formiert, um von
dort aus die Mitte des Demonstrationszuges anzugreifen.
Polizeieinheit am St. Pauli Fischmarkt auf dem Weg Richtung Hafenstraße,
"Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Polizeieinheit am St. Pauli Fischmarkt auf dem Weg Richtung Hafenstraße,
"Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
18:55
Der Protestzug setzt sich in Gang. Nach etwa 200 m wird er auf der Höhe des
Pudels-Club von 2 Wasserwerfern und einer Hundertschaft Polizei
aufgehalten. Grund der Blockade: Es befinden sich vermummte unter den
Demonstranten. Über die Info-Wagen der Demonstrationsleitung wird darauf
hingewiesen, man könne zwar niemandem verbieten, wie man sich anzuziehen
habe, aber schließlich wolle man ja den Zug durchführen wie geplant und
offiziell genehmigt.
Demonstrationszug, St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstrationszug,
St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
19:26
Eine zweite Polizeieinheit drängt sich am Zug vorbei Richtung Hafenstraße,
um sich parallel des Zugs zu formieren.
Aufmarsch einer zweiten Polizei-Einheit Richtung Hafenstraße, "Welcome to
Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Aufmarsch einer zweiten Polizei-Einheit Richtung Hafenstraße, "Welcome to
Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Formierung der zweiten Polizei-Einheit am St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to
Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
19:44
Wasserwerfer blockieren den St. Pauli Fischmarkt Richtung Breite Straße.
Der Zug ist also von beiden Seiten blockiert.
Zwischen 19:45 und 20:40 - Der Angriff
Die Polizei fordert die Demonstranten mehrfach auf, die Vermummung abzulegen. Laut einer Korrespondentin von NDR-Info, die in der ersten Reihe auf der Höhe des Pudel-Clubs steht, kommen etliche Vermummte der Aufforderung nach. Nach ihrer Darstellung gab es zu diesem Zeitpunkt noch immer keine Agression aus den Reihen der Demonstranten.
Dann beginnt ohne ersichtlichen Anlass der Angriff der Polizei. Die Einheiten auf der Höhe des Fischerhauses attackieren den Zug von der Seite. Gleichzeitig beginnen die Wasserwerfer am Zuganfang zu feuern. Der Zug wird in der Mitte getrennt, hunderte von Menschen werden von der breitflächig aufgestellten Einheit gegen die Flutmauer gedrängt und müssen sich vor den hereindrängenden, schwer gepanzerten Polizisten retten, in dem sie die 2 m hohe Flutmauer zur Promenade hinaufklettern. Die Polizei bestreicht die Demonstranten auf der Promenade wahllos mit Wasserwerfern.
Der hintere Teil des Zuges wird von der Polizei rasch Richtung Fischmarkt
zurückgedrängt. Wir öffnen die Tür und etwa 30 Menschen können sich in
unser Treppenhaus retten, darunter auch Verletzte und Sanitäter, die die
Verletzten im Treppenhaus versorgen.
Eine kleine Gruppe junger Leute nutzt das Treppenhaus, um sich erst jetzt
zu vermummen. Sie stürzen sofort wieder auf die Straße.
Die Polizei bildet eine Front quer über die Straße auf der Höhe St. Pauli Fischmarkt 3.
Da wir in diesem Zeitraum damit beschäftigt waren, Flüchtende ins Haus zu holen und zu versorgen, konnten wir nicht fotografieren. Deshalb hier die Links zu 3 Videos, die die Vorgänge während des akuten Angriffs sehr gut zeigen.
Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Höchstergiebiges Bildmaterial (Videos) zu dieser Dokumentation finden Sie an dieser Stelle der Chronologie folgend unter:
Video 1 vom 06.07.2017:
"Welcome to Hell" Demo - Schwere Krawalle mit Wasserwerfereinsatz G20 Hamburg
https://www.youtube.com/watch?v=P9w1vvNlPhw
Video 2 vom 06.07.2017:
"Welcome to Hell" Demo, G20 HAMBURG - Polizei stürmt schwaren Block
https://www.youtube.com/watch?v=E3dTa0e5f7k
Video 3 vom 06.07.2017:
"Welcome to Hell" - Polizei zerschlägt G20-Demo in Hamburg 2017
https://www.youtube.com/watch?v=kdrbaSu-Jzc
Mit Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfer rückt die Polizei weiter vor
und riegelt die Straße zum Fischmarkt und zur Breiten Straße ab. Laut Radio
FSK, das wir parallel hören und das mit mehreren Korrespondenten im Zug
live verbunden ist, findet gleichzeitig ein massiver Wasserwerfer-Angriff
auf die Demonstranten auf dem Fischmarkt statt.
Wieder retten sich etwa 30 Demonstranten in unser Treppenhaus. Wir
versorgen sie mit Wasser u.ä.
Auf einer Pressekonferenz am 9.7. behauptet Einsatzleiter Hartmut Dudde, der Angriff habe stattgefunden, um zwei Gruppen vermummter Autonomer auf der Straße (Hafenstraße/St. Pauli Fischmarkt) zu isolieren, damit der Rest des Zuges wie beabsichtigt marschieren kann. Wenn das beabsichtigt war, warum wurde dann auch der Fischmarkt abgeriegelt und angegriffen und der Zug von hinten ebenfalls blockiert?
Wasserwerfer auf dem
geräumten St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Abriegelung des St. Pauli Fischmarkts zur Breiten Straße,
Legal-Team, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Abriegelung des St. Pauli Fischmarkts zu Fischmarkt, Legal-Team, "Welcome
to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
20:51
Die Polizei zieht sich zurück und die verbliebenen Demonstranten ziehen
Richtung Hafenstraße, wo laut FSK zur selben Zeit die Wasserwerfer wieder
massiv gegen den abgetrennten vorderen Teil des Zuges vorgehen.
Demonstranten des hinteren Zugteils ziehen vom St. Pauli Fischmarkt in
Richtung Hafenstraße, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Die "vermummten" Demo-Einhörner vor dem St. Pauli Fischmarkt 4, "Welcome to
Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Die Polizeieinheiten folgen dem neu formierten Demonstrationszug, St. Pauli
Fischmarkt 4, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
St. Pauli Fischmarkt Richtung Hafenstraße mit Flutmauer um 20:14, "Welcome
to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Geräumter Fischmarkt um 20:15, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
nach 21:15
Wir folgen den Demonstranten die Hafenstraße hinauf bis zur Mündung der
Davidstraße auf die Hafenstraße, wo sich der Zug neu formiert. Die Polizei
hält die Straße blockiert. Es gibt keinerlei Aggressionen seitens der
Demonstranten. Die Demo-Leitung bittet die Polizisten, die Demonstration
endlich wie geplant und offiziell genehmigt ziehen zu lassen. Es läuft
Musik, die Demonstranten tanzen.
Der geräumte St. Pauli Fischmarkt, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
St. Pauli Fischmarkt, Blick zur Hafenstraße und der Pudels-Brücke, "Welcome
to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Polizisten auf der
Fußgängerbrücke beim Pudel-Club, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Mannschaftswagen am Ende des sich neu formierenden Demonstrationszuges,
"Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Neu formierter Demonstrationszug in der Hafenstraße, "Welcome to
Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Neu formierter Demonstrationszug in der Hafenstraße unterhalb des
Tropeninstituts, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
Demonstrant, Hafenstraße, "Welcome to Hell"-Demonstration
Foto: © 2017 by Adriane Steckhan
ca. 22:00 (?)
Der Zug kann endlich langsam Richtung Landungsbrücken weiterziehen. Wir
gehen zurück zum St. Pauli Fischmarkt. Auf der Höhe der Hafentreppe und dem
Ahoi wird eine provisorische Barrikade aus Paletten und Matratzen quer über
die Straße gebaut. Mehrere Mannschaftswagen tauchen auf, räumen die Straße
und verschwinden wieder. Die Barrikade ist innerhalb kürzester Zeit wieder
errichtet und brennt.
*
Quelle:
DAS TEXTPROJEKT - Blog von Dr. Thomas Piesbergen
Eintrag vom 7. Juli 2017
http://textprojekt.blogspot.de/2017/07/erlebnisbericht-fotogalerie-der.html
Alle Fotos: © by Adriane Steckhan
E-Mail: thomas.piesbergen (at) gmx.de
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Fotografin
veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2017
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