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GRUNDSÄTZLICHES/062: Die Vollverschleierung verletzt die Menschenwürde (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Die Vollverschleierung verletzt die Menschenwürde
Aus dem Positionspapier von TERRE DES FEMMES


In der letzten Ausgabe der Frauensolidarität wandte sich Eva Kalny im Artikel "Der Widerspenstigen Entblößung" gegen ein Verbot der Burka in Europa. Die AG Frauenrechte und Religion von TERRE DES FEMMES hat im Juni diesen Jahres eine Stellungnahme zum Thema Burka veröffentlicht, das im Folgenden leicht gekürzt (Kürzungen sind mit [...] markiert) abgedruckt ist. Der volle Wortlaut ist auf der Homepage www.frauenrechte.de unter TDF-Positionen nachzulesen.


Zur Diskussion über die Burka

Bei den erneuten Diskussionen um Kopftuch und Vollverschleierung fällt auf, dass sich sowohl dem humanistischen Weltbild folgende Demokraten wie auch Feministinnen gegen ein Verbot der Vollverschleierung aussprechen. Dahinter steckt sicher der berechtigte und gut gemeinte Versuch, sich gegen rechte, rechtspopulistische und fremdenfeindliche Strömungen abgrenzen zu wollen. Dabei ist eine Kritik an der Burka bzw. der Vollverschleierung im Rahmen einer aufklärerischen lslamkritik durchaus möglich [...] - hier steht TERRE DES FEMMES in der Tradition der Feministinnen, die sich seit Beginn des letzten Jahrhunderts gegen den religiösen Fundamentalismus und die von den Religionen vorgeschriebenen Geschlechterrollen und für ein gesellschaftliches Klima der Selbstbestimmung und für die Rechte der Frau einsetzen [...]


Die Vollverschleierung verletzt die Menschenwürde

Alle Formen des Körperschleiers und des Gesichtsschleiers sind Ausdruck religiösen Fundamentalismus, der Missachtung und Erniedrigung der Frau und ihrer Degradierung zu einem Objekt. Der Schleier, wie auch das Kopftuch, unterteilt Frauen in so genannte "ehrbare" und "nicht ehrbare" Frauen und ist somit eng mit dem Themenkomplex der Gewalt im Namen der Ehre verbunden.

Unsere Unterstützung gilt vor allem denjenigen Frauen und ihren Familien, die die Verschleierung ablehnen, sich emanzipieren von religiösen Dogmen und Patriarchat. Frauen, die freiwillig volle Verschleierung tragen, akzeptieren und unterstützen die Vorstellung der Unterordnung der Frau unter den Mann, seine Vormundschaft. Sie akzeptieren und unterstützen auch die patriarchalische und religiöse Vorstellung der sündigen Frau, die, falls unverschleiert oder nicht ordentlich bekleidet, verantwortlich für die "Versuchung" des Mannes ist.

Wir halten Religionsgemeinschaften, die das Tragen der Vollverschleierung befürworten, für nicht demokratiefähig, da sie den Gedanken, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind, dass Mann und Frau eine unantastbare Würde besitzen, der es möglich macht, sich auf gleicher Ebene zu begegnen, nicht anerkennen. Eine solche Haltung darf auch nicht über das Argument der Religionsfreiheit geschützt werden. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau hat als Ausdruck der Menschenwürde über religiösen Dogmen zu stehen. [...] Menschen, die sich gegen den Schleier aussprechen - dieser Eindruck wird gerne vermittelt -, müssen nicht gleichzeitig BefürworterInnen von Schönheitswahn und Objektivation der Frau sein. Das Tragen des Schleiers und die Überbetonung eines Schönheitsideals bzw. die Degradierung durch Objektivation der Frau sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.


"Das geht euch nichts an"

Das Argument, man lenke von "eigenen" Problemen ab oder mische sich in "fremde", "andere" Angelegenheiten ein, ist für uns schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil wir die Einteilung in "Wir" und "Ihr" ablehnen. Selbstverständlich üben wir Kritik und werden religiösen Fundamentalismus gleich welcher Richtung weiterhin kritisieren, wenn er sich anmaßt, Frauenrechte beschneiden zu wollen. Bei der Kritik am religiösen (in diesem Fall islamischen) Fundamentalismus, kann auch nicht die Rede davon sein, dass wir uns in "nicht eigene" Bereiche einmischen. Der Islam - und somit auch seine fundamentalistische Ausrichtung - ist schon seit Jahrzehnten in Europa angekommen. Wenn wir vom Islam reden, dann geht es um Mitschülerinnen, Freundinnen, Nachbarinnen, Ehegatten, um Mitbürgerinnen. Abgesehen davon sind das Patriarchat, die Rollenzuschreibungen durch die Religionen und auch der Schleier der Frau nichts "Kulturfremdes", das wir nicht einschätzen und daher nicht kritisieren könnten und dürften.


"Dann dürfen die Frauen gar nicht mehr aus dem Haus"

Den Einwand, voll verschleierten Frauen würde durch ein Verbot ihres Schleiers die Teilhabe am öffentlichen Leben genommen, betrachten wir als zynisch und die Tatsachen verdrehend. Gerade durch die Vollverschleierung werden die simpelsten Formen des sozialen Zusammenlebens unmöglich. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird durch das Fehlen von Mimik und Gestik so weit eingeschränkt, dass sie auf den puren Informationsaustausch reduziert bleibt. Beides ist natürlich gewollt, denn alle Formen des Schleiers sind Ausdruck der traditionellen religiösen Auffassung, dass Frauen in den häuslichen Bereich gehören und dem öffentlichen Bereich grundsätzlich fern zu bleiben haben. [...] Schon im Falle des Kopftuchs folgte man der religiös konservativen Ansicht, dass das Kopftuch den Frauen die Freiheit gebe, im öffentlichen Bereich aktiv zu sein. Dieser Argumentation nun sogar im Falle der Vollverschleierung zu folgen wäre ein Skandal! Hinter dem Hinweis auf die "Gefahr", man schließe Frauen von der Teilhabe an der Gesellschaft aus, steckt nichts anderes als die plumpe Drohung, das Gefängnis aus Stoff durch ein Gefängnis aus Beton auszutauschen. Ein Erpressungsversuch, dem sich ein Rechtsstaat nicht beugen darf und der die dahinterstehende Gesinnung als das entlarvt, was sie ist: menschenverachtend.


Instrumentalisierung des Vorwurfs der Ausländerfeindlichkeit und der Vorwurf der "Islamophobie"

[...] Hier soll schlicht und ergreifend die patriarchale Ideologie, die durch ihren Sitten- und Machtkodex manifestiert wird, jeglicher Kritik entzogen werden. Die Angst vor dem Vorwurf der "Islamfeindlichkeit" und die vorauseilende Distanzierung führen zu dem absurden Ergebnis, dass gestandene DemokratInnen und sogar Feministinnen für das Recht von Fundamentalisten auf ihre frauenfeindliche Weltanschauung eintreten.

Es ist alles andere als fremdenfeindlich, anti-islamisch oder gar "islamophob", wenn wir uns klar gegen fundamentalistische Strömungen in den Religionen, und zwar in allen Religionen, stellen. Denn wer nicht selbst noch in Herkunftsrastern denkt, kommt zu folgendem Ergebnis: Bei der Kritik an der Vollverschleierung geht es um die Auseinandersetzung mit einer Gesinnung und eben nicht mit einer Ethnie.


Die "Verletzung religiöser Gefühle"

Ein weiteres, sehr beliebtes Instrument, religiöse Traditionen und Werte wie die Burka oder die Vollverschleierung einer öffentlichen und kritischen Debatte zu entziehen, ist der Hinweis auf die "Verletzung religiöser Gefühle". Hier muss deutlich gefragt werden: Was sind "religiöse Gefühle"? Und warum dürfen diese nicht verletzt werden? Stehen "religiöse Gefühle" über humanistischen Werten? In der Auseinandersetzung mit den Inhalten und Praktiken einer Weltanschauung darf es keine Sonderstellung und keine tabuisierten, unantastbaren Bereiche geben. Sonst besteht die Gefahr, dass diese Bereiche missbraucht werden, um gesellschaftliche und rechtliche Normen zu umgehen. Die grundrechtlich verbriefte Religionsfreiheit darf nicht zur Worthülse verkommen, die dafür genutzt wird, menschenverachtenden und antidemokratischen Gesinnungen Tür und Tor zu öffnen.


Webtipp: www.frauenrechte.de (der volle Wortlaut der TDF-Positionen)


TERRE DES FEMMES
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Internet: www.frauenrechte.de


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 22+23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2011