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PROJEKT/194: Kolumbien - Friedensgemeinden wehren sich


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2009

Unter den Augen der Verfolger
Kolumbien: Friedensgemeinden wehren sich

Von Anne Wolf und Peter Strack


Der Chocó ist ein schwer zugängliches Gebiet im Nordwesten Kolumbiens. Die Region ist seit Generationen Siedlungsgebiet für indianische Völker, auch für die Nachfahren ehemaliger afrikanischer Sklaven. Sie bewohnen die Dörfer an den fruchtbaren Ufern des Atrato-Flusses und seiner Seitenarme wie dem Cacarica. Auf einem einfachen Brett, das in der Siedlung "Nueva Esperanza en Dios" als Brücke dient, sitzt der elfjährige Orlando und schnitzt sich ein Spielzeugboot aus dem noch reichlich im Wald vorhandenen Balsaholz. Doch die Idylle trügt. "Manchmal haben die Kinder hier nichts zu essen", sagt Orlando, "weil die Ernte das Lager nicht erreicht."

Absurderweise ist der Reichtum der Region auch das Problem: Goldvorkommen, fruchtbare Böden, Edelhölzer und Pläne zum Straßenbau hatten schon in den 90er Jahren Guerilla, Paramilitärs und Regierungstruppen auf den Plan gerufen. Angeblich um die Guerilla zu bekämpfen, warf das staatliche Militär ab Weihnachten 1996 Bomben ab, während Paramilitärs in den verstreut liegenden Bauerngehöften wahllos mordeten und Tausende in die Flucht trieben. Viele suchten Schutz im Urwald, andere flohen in große Städte wie Cartagena oder Medellín, die meisten aber landeten in Auffanglagern wie einer überfüllten Sportanlage in der Stadt Turbo. Doch als die Vertriebenen begannen, sich zu organisieren und gegenüber der Regierung ihre Rechte einzufordern, tauchten auch dort immer wieder die Verfolger auf. Es kam wiederholt zu Morden an den Vertriebenen. Im Lager war kaum Platz zum Spielen und keinerlei Privatsphäre. Ob Nahrungsmittel oder Unterricht, in allem waren die Menschen vom Staat oder Hilfsorganisationen abhängig. Wenn die Kinder Buntstifte in die Hand bekamen, dann malten sie neben der Erinnerung an die schrecklichen Erlebnisse das, was sie am meisten vermissten: Den Fluss oder das Ackerland, das ihre Familien für immer verloren zu haben schienen.


Unterstützung für Rückkehrer

Im Jahr 2001 entschloss sich ein Großteil der Vertriebenen zur Rückkehr. Unterstützt wurden sie dabei von der "Ökumenischen Vereinigung Justicia y Paz". Deren Mitarbeiter hatten die Vertriebenen schon im Lager psychologisch betreut und mit Hilfsgütern versorgt und mit ihnen Pläne für ein neues friedliches Leben im Einklang mit der Natur in ihrer Heimat erarbeitet. Doch ihr Gemeindeland war inzwischen in weiten Teilen entwaldet. Stattdessen wachsen dort nun - bewacht von Paramilitärs - Koka, Bananen oder Ölpalmen für den Export. Seit ihrer Rückkehr kommt es immer wieder zu Übergriffen, aus einem der neuen Dörfer wurden die Rückkehrer erneut vertrieben. Paramilitärs machen den Jugendlichen verlockende Angebote, damit sie sich als Soldaten auf ihre Seite schlagen. Und Sprecher der Gemeinden werden von der Regierung als "Guerilla-Freunde" beschimpft und vor Gericht gezerrt, weil sie auf den Landraub aufmerksam machen und sich für dessen Rückgabe einsetzen. Vor kolumbianischen Gerichten und dem interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof sind die Friedensgemeinden immer wieder erfolgreich. Und der US-Konzern Del Monte kündigte angesichts des Unrechts sogar einen Vertrag mit einem unter paramilitärischer Kontrolle stehenden Lieferanten in dem Gebiet. Zu einem Einschreiten der kolumbianischen Regierung gegenüber den Paramilitärs hat dies bislang allerdings noch nicht geführt. Und weil diese durch die Zerstörung der Ernte oder Blockaden den Widerstand der Gemeinden brechen wollen, leiden die Menschen immer wieder Hunger. "Aber jetzt haben wir ein paar Combos gegründet, Gruppen, die gemeinsam Reis und Gemüse pflanzen", sagt Orlando schon etwas zuversichtlicher. "Und in vielen Häusern gibt es jetzt Hühnerställe. Meine Mutter ist in einer solchen Combo. Und ich helfe ihr gelegentlich dabei." Mit Hilfe der Combos können sich die Gemeinden nun besser selbst versorgen - und sind den Blockaden der Paramilitärs nicht mehr hilflos ausgeliefert.


terre des hommes fördert Justizia y Paz mit 10.000 Euro.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2009, S. 6
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2009