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LITERATURBETRIEB/007: Profil 2 (SB)


"Widerstand soll von uns erwartet werden dürfen."

Der Berliner Verleger Klaus Wagenbach (*11. Juli 1930)


Große Verleger sterben nicht aus, auch wenn das Buch eine Krise erlebt. Man erkennt sie zur Zeit eher daran, daß sie geschickt spekulieren, klein und beweglich bleiben und ihre Meinung nicht verkaufen oder aufgeben; so zum Beispiel Antje Kunstmann, Andreas Meyer, Elisabeth Raabe oder Klaus Wagenbach.

In den 70er Jahren war der Verlag Klaus Wagenbach als links- revolutionär verrufen - und gleichzeitig unentbehrlich für die linke Szene. Wagenbach verlegte Wolf Biermann und Rudi Dutschke, Ulrike Meinhof (Klaus Wagenbach war ihr Grabredner) und Pier Paolo Pasolini, Peter Brückner, Stephan Hermlin, Erich Fried und seinen Freund, den Lyriker Johannes Bobrowski, und er veröffentlichte das Manifest der RAF. Das Programm des Verlags, so hieß es provokativ, sei Anarchie und Geschichtsbewußtsein. Im Verlagsalmanach stand: "Widerstand soll von uns erwartet werden dürfen." Für die bei ihm herausgekommenen Titel wurde Klaus Wagenbach verantwortlich gemacht und laufend in Prozesse - oft gegen die Polizei - verwickelt, die er "ehrenhaft verlor" und zwar mit einem Verteidiger, den er heute "Polizeiminister" nennt, Otto Schily. Noch heute zählt Wagenbach zu den wichtigsten Literaturverlagen.


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Mit 19 Jahren begann Klaus Wagenbach eine Lehre beim Suhrkamp Verlag, vormals S. Fischer; gleichzeitig studierte er und schloß 1957 sein Studium inklusive Promotion ab - seinem Vater zuliebe, der sich als Bauernsohn unter großen Schwierigkeiten ein Studium der Nationalökonomie erarbeitet hatte.

Lange hielt er es im großbürgerlichen S. Fischer Verlag nicht aus und machte sich selbständig. Wegen der dafür nötigen umfänglichen Investitionen wurde ihm sofort das Scheitern angekündigt, aber Klaus Wagenbach war sparsam, geschickt und produktiv und reinvestierte alles in seinen Betrieb. Sein Verlag wurde zur gesuchtesten Adresse der außerparlamentarischen Opposition.

Die Entscheidung, selbst Verleger zu werden, begründete er damit, daß seine Interessen stark politisch-sozial ausgerichtet sind:

Kurt Wolff hat mal gesagt: "Es gibt zwei Sorten von Verlegern. Die einen machen das, wovon sie meinen, daß die Leser es lesen wollen. Und es gibt einen anderen Typ, der eben Bücher macht, von denen er meint, daß die Leser sie lesen sollen." Zu dieser zweiten Kategorie zähle ich mich.
(aus einem Interview mit DIE ZEIT Nr. 29 vom 13.7.2000)

Anfang der 70er Jahre versuchte er, den Verlag kollektiv zu führen:

Der Verlag befand sich in einer Achtzimmerwohnung. Ich wohnte da mit drei Kindern und stolperte morgens über die Genossen im Schlafsack, die mich fragten, was ich hier zu suchen habe. Es war eine schöne Zeit, voller Überraschungen. Aber auch anstrengend. [...]

Links bedeutet für mich die Anstrengung der Genauigkeit, der Sorgfalt, des Hinhörens, was Mitarbeiter sagen, was Autoren wünschen. Eine linke Haltung bedeutet, wenn jemand stürzt, nicht nachzutreten. Sondern zu gucken, warum ist der gestürzt; und wenn's geht, ihm irgendwie aufzuhelfen. Ganz einfache Sachen.
(DIE ZEIT Nr. 29 vom 13.7.2000)

Heute bezeichnet sich Klaus Wagenbach als "vollkommen altmodischen Verleger", denn er hält es für sinnvoll, daß ein Verlag Meinungen hat. Ein Buchmarkt müsse ein Produkt sein, das sich aus verschiedenen Meinungen zusammensetze, die sich in verschiedenen Verlagsprogrammen ausdrückten. Die derzeitige Entwicklung der Konzentration im Verlagswesen steht diesem Prinzip entgegen, weil "am Ende fünf Konzerne über das bestimmen, was in unseren Köpfen zu geschehen hat" (aus SWR2 "Interview der Woche" vor der Frankfurter Buchmesse 2000). Außerdem sei das Ziel die Marktführerschaft und dabei spielten Inhalte keine Rolle. Die Gesellschaft müsse einsehen, "daß Kultur etwas anderes sei als Eier" (aus SWR2 "Interview der Woche").

Klaus Wagenbach, Kafka-Forscher im Nebenberuf, ist am
11. Juli 2000 siebzig Jahre alt geworden.


Erstveröffentlichung am 25. Oktober 2000

5. Januar 2007