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LITERATURBETRIEB/031: Theater 2 (SB)


Vom Protest gegen Gewalt in die gewalttätige Realität -

die Tournee der Volxtheaterkarawane no border no nation


Wenn eine Theatertruppe heute noch die ursprüngliche Idee des Straßentheaters ernst nimmt, nämlich während aktueller politischer Anlässe aufzutreten und durch Aufklärung und laute Protestkundgebungen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und das Publikum zu aktivieren, dann läuft sie Gefahr, gerade diese Gewalt, für die sie mit kreativen Mitteln und gewaltfrei ein Problembewußtsein schaffen will, unkontrolliert loszutreten und daran Schaden zu nehmen.

In diesem Sommer, genauer am 22. Juli 2001, machte die internationale "VolxTheaterKarawane noborder nonation" Bekanntschaft mit der polizeistaatlichen Strategie, politische Provokateure zu kriminalisieren. In der Öffentlichkeit entstand damit ungewollt ein Widerspruch zu dem demokratischen Anspruch von Veranstaltungen wie dem G8-Gipfel, nach dessem Ende die Akteure 20 km außerhalb des Stadtzentrums von Genua bei der Weiterreise zum Grenzcamp in Frankfurt/Main verhaftet wurden. Wie viele andere Gefangene während der Auseinandersetzungen in Genua wurden auch von sie von der italienischen Polizei mißhandelt.

Die Festnahme der 25 Mitglieder fand nicht im Zentrum der Vorgänge in Genua statt, sondern im Autobus der Karawane. Die Polizei unterstellte, daß die Gruppe sich habe still davonmachen wollen, nachdem sie zuvor an den "gewalttätigen Exzessen" gegen den G8-Gipfel und die Globalisierung in der ligurischen Hafenstadt beteiligt gewesen sei.

Die Karawane der Gaukler besteht aus 16 Österreichern, einem Australier, zwei Amerikanern, drei Deutschen und zwei Slowaken. Eine junge Schwedin war nur als Anhalterin in den Bus der Truppe zugestiegen und saß wie die Österreicher unter der Anklagedrohung ein, zum "Schwarzen Block der exzessiv gewalttätigen Globalisierungsgegner" zu zählen.

Die Absicht der Truppe war es gewesen, in diesem Sommer Orte politischer Auseinandersetzung miteinander zu verbinden, Inhalte wie die Abschottungspolitik Europas, die Asyl- und Migrationspolitik und die Globalisierungsproblematik mit künstlerischen Mitteln (artistischen Einlagen, Straßentheater) zu thematisieren. Ihre Route führte von Nickelsdorf zum WEF-Treffen nach Salzburg, dann weiter zum Grenzcamp in Slowenien und von dort nach Genua. Die Karawane ist Teil des europäischen "noborder"Netzwerks, einer Plattform gegen Rassismus, das von zahlreichen Organisationen, Parteien und Prominenten unterstützt wird.

Dreieinhalb Wochen später, am 15.8.2001, wurden die Aktivistinnen und Aktivisten der Karawane aus der Untersuchungshaft entlassen. Die italienischen Strafverfolgungsbehörden hatten sich auf mit Eifer zusammengetragenen Beweismittel berufen: Im Fahrzeug der Theaterleute seien Messer, schwarze Kleidung, undichte Gasmasken aus dem zweiten Weltkrieg und Fahnenstangen sowie Mobiltelefone sichergestellt worden. Das sollte auf den Besitz von Waffen und Mitgliedschaft im "Schwarzen Block" verweisen. Bei genauerem Hinsehen erwiesen sich die Messer dann aber neben Gabeln und Löffeln als Teil des Besteckkastens, Stangen als Jonglierstöcke, die für Theateraufführungen genutzt wurden und auch der Besitz eines Handys ist noch kein Straftatbestand. Bei den "Materialien zur Herstellung von Molotow-Cocktails" handelte es sich um klassisches Feuerschlucker-Besteck.

Den 16 Österreichern der Truppe werde außerdem vorgeworfen, "Mitglieder einer kriminellen Vereinigung", nämlich des "Black Block" bei den Anti-G8-Protesten in Genua gewesen zu sein, erklärte der Wiener Rechtsanwalt der Theatergruppe. Ihre Verhaftung wurde unterstützt von den unhaltbaren Aussagen österreichischer Sicherheitsorgane. Öffentlichen Unmut erregte die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, ÖVP, die sich eher belastend für die Truppe gegenüber der italienischen Polizei äußerte. Ferrero-Waldners Sympathiewerte haben sich laut Umfrage binnen weniger Tage in Österreich halbiert.

"Es gibt keinerlei Hinweise auf Gewaltakte oder sichtbare Verbrechen", die von den VolxTheater-Leuten begangen worden seien, betonte der Anwalt. Die italienischen Behörden wüßten nicht einmal genau, wie der Black Block funktioniere. Er bekräftigte die Vorwürfe gegen die italienische Polizei, daß die Österreicher bei und unmittelbar nach ihrer Festnahme Mißhandlungen ausgesetzt waren. Während bei den Männern "massive körperliche Gewalt" angewendet worden sei, seien die Frauen "psychischer Gewalt" ausgesetzt gewesen.

Das Bild vermummter, bis an die Zähne bewaffneter Autonomer hat sich aufgelöst, die zuvor pauschal verurteilten Artisten erweisen sich als identifizierbar: Die Truppe besteht überwiegend aus Laienspielern, Studenten, jungen Theatermachern, Jongleuren und Feuerschluckern. Und ihre symbolischen Aktionen - "no border/no nation" - lassen sich im Kern auf humanitäres Engagement zurückführen.

Mit ihrer Entlassung konnten die italienischen Behörden nicht mehr vermeiden, daß zumindest Bruchstücke der polizeistaatlichen Absichten während des G8-Gipfels über die Medien ans Licht der Öffentlichkeit gelangten. Während man die Straßenschlachten in Genua noch als Reaktion der Polizei auf gewalttätige Provokationen interpretieren konnte, läßt sich die Öffentlichkeitsarbeit der VolxTheaterKarawane sowie ihre Behandlung während der Untersuchungen nicht mehr als Folge vorangegangener Gewalttätigkeit von Globalisierungsgegnern deuten.

Bei den diversesten Organisationen riefen die Vorgänge in Genua daraufhin öffentliche Reaktionen hervor. Auch die interessensgemeinschaft autorinnen autoren in Wien startete einen Aufruf, den mehr als 900 Personen unterschrieben, darunter der Literaturnobelpreisträger Dario Fo, Gerhard Ruiss, Lucas Cejpek, Margret Kreidl (IG Autorinnen Autoren), Hannes Hofbauer (Promedia Verlag), Marlene Streeruwitz, Elfriede Jelinek, Johanna Dohnal...


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Zudem wurde die Karawane von vielen Solidaritätskundgebungen unterstützt, was sie ermutigte, einen Kassiber zu versenden, der im folgenden im gesamten Wortlaut wiedergegeben wird, um letztlich noch einen authentischen Eindruck von der "Publixtheatrecaravan-Volxtheaterkarawane", wie sie sich selbst nennt, zu vermitteln. "Theater ist eine für uns wichtige politische Ausdrucksform", behaupten sie. Ob die einzelnen Mitglieder allerdings angesichts des sehr konkret erfahrenen Kontaktes mit politischer Gewalt immer noch von der Mitteilbarkeit und Wirkung ihrer Aktionen überzeugt sind, darüber schweigen sie sich zunächst aus.

Zitat:

Kulturkassiber 01, 29.07.2001

- freedom of movement - Freiheit der Bewegung - ist das Hauptanliegen des europäischen Noborder-Netzwerkes und der darin eingebetteten im Sommer 2001.

Wir sind auf Tour von Nickelsdorf über Salzburg, Lendava (Slo), Eisenkappel (A), Genova (I) nach Frankfurt/Main (D), wo wir allerdings aufgrund der Inhaftierung nach dem G8-Gipfel in Genua nie angekommen sind.

Bisher empfanden wir uns beispielsweise als LufburgingeneurInnen, CyberartistInnen, JontgleurInnen, hinterfragende NomadInnen.

Als Theatergruppe fühlen wir uns der Tradition der Improvisation verbunden und lassen uns nicht in Kostüme stecken, die versuchen aus Schminke Wollhauben zu stricken.

3 Stunden vor gezogenen Schußwaffen und auf uns gerichteten MG4s - Finger am Abzug!

ED-Behandlung Schläge, Tritte, Demütigungen - Schlafentzug unter Androhung von Gewalt

Später (nach 30 Stunden) im Gefängnis:

- Keine Telefonate

- Bis jetzt kaum oder kein Kontakt zu AnwältInnen

- schlechte DolmetscherInnen (während der Haftprüfung)

- kein Zugang zu Medien

- 6 Tage kein Schreibzeug

- nektor, z nas nemali ziaden kontakt s konzulatum

- kein Lesestoff und nichts zu jonglieren

Trotzdem wir grundlos seit einer Woche von den inhaftierten Frauen, von der Außenwelt und somit vom Informationsfluß abgeschnitten sind, versuchen wir mit folgenden Forderungen Stellung zu beziehen:

- Wir werden unserem Protest und politischen Anspruch - egal an welchem Ort und zu welcher Zeit - unseren spezifisch kulturellen Ausdruck verleihen und unsere kulturellen Ausdrucksformen weiterentwickeln.

- Wir fordern das sofortige Ende der Einteilung von Menschen in "erwünschte" und "unerwünschte", sowie das Ende der Einschränkung von Bewegungsfreiheit wie z.B. der Residenzpflicht von AsylbewerberInnen oder die Anfertigung von Listen politisch mißliebiger Personen.

- Wir verlangen die Einstellung aller im Zuge der G8-Proteste angestrebten Verfahren und die Freilassung aller Inhaftierten sowie die lückenlose Aufklärung der Ereignisse in Genova, insbesondere des Todes von Carlos Giuliani und der Erstürmung der "Scuola Diaz".

- Wir wollen die Gefängnisse mit unserem Hund Pogo, mit unseren Theaterrequisiten, unserer Küche, unseren Fahrzeugen, Computer, Kameras und unseren stinkenden Socken verlassen.

- Wir sind nicht SchwedInnen, AustralierInnen, AmerikanerInnen, SlovakInnen, Deutsche, ÖsterreicherInnen - Wir sind die Publixtheatre Caravan.

- Wir erarbeiten ein Theaterstück, in dem wir zu all den Vorfällen rund um diese Tour Stellung nehmen. Theater ist eine für uns wichtige politische Ausdrucksform. Dieses Stück soll der Ver- und Aufarbeitung der Ereignisse dienen, mit denen wir im Moment konfrontiert sind. - Arbeitstitel: Genova - Premiere: noch ungewiß!

PS: Grüße an das Grenzcamp am Flughafen Frankfurt/Main und an alle solidarischen Menschen da draußen!

Abschaffung von Internierung und Deportation - weltweit

Noborder - Nonation - NOone is illegal

Die Inhaftierten der Publixtheatre Caravan -
Volxtheaterkarawane... in Alessandria"

Zitat Ende

(aus Mitteilung von ABC - Anarchist Black Cross Luxembourg, vom 07.08.01)


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Erstveröffentlichung am 23. August 2001

29. Dezember 2006