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NEUES/003: 7. Festival "Politik im Freien Theater" - Zähne ohne Biß (SB)


7. Festival "Politik im Freien Theater" in Köln


Vom 13. bis 23. November 2008 findet das 7. Festival "Politik im Freien Theater" in Köln statt, das seit 1988 alle drei Jahre in verschiedenen deutschen Städten zu Gast ist und nun seinen 20. Geburtstag feiert. Der Begriff "echt" ist das Leitmotiv. Was ist "echt"?

Wie viel Authentizität kann man dem vermeintlich "Echten" zugestehen? Wie viel konstruierte Wirklichkeit lässt sich im "Realen" finden? Unsere Wahrnehmung wird im Angesicht moderner Massenmedien, die unseren Alltag durchdringen, vor neue Herausforderungen gestellt.

Viele der bei "Politik im Freien Theater" präsentierten Produktionen folgen dieser Fragestellung. Dabei verlieren sie nicht das Spielerische aus den Augen, im Gegenteil, sie suchen theatrale Fantasie mit inhaltlichen Anliegen zu verbinden, um das Mehr, das Kunst der reinen Analyse voraushat, entstehen zu lassen. Und sie sind entstanden im selbstverständlichen kritischen Bewusstsein, dass das Publikum - ebenso wie die Macher - einer Mediengesellschaft entstammen.

Die Inszenierungen greifen komplexe Themen wie Krieg, Migration, Integration, nationale Identität, Globalisierung und Wirtschaft auf und machen ihre Vielschichtigkeit erfahrbar. Statt die Welt mit Simplifikationen und Mustern zu deuten und zu beschreiben, wird versucht die Verflechtungen dieser Konstruktionen mit den Mitteln des Freien Theaters greifbar zu machen.
(aus: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, www.bpb.de)

Politisches Theater hat eine lange Tradition und ist heute wieder gefragt. In seiner aktualisierten Erscheinungsform wird es gerne auf Straßenfestivals, bei Protestaktionen oder im Bildungsbereich (Schulen, Universitäten) verwendet, wenn es um die Bewußtmachung gesellschaftlicher oder politischer Mißstände geht. Allerdings ist seine inhaltliche Ausdruckskraft inzwischen durch kulturpolitische Maßnahmen weitgehend entschärft. Zurechtgestutzt zu übersichtlichen, durchorganisierten Veranstaltungen oder Events und die künstlerisch-ästhetische Seite betont, ist die ursprüngliche Absicht, aufzuklären oder wachzurütteln eher zum Gegenteil verkehrt.

Vor allem wird es in die Hände entsprechender administrativer Institutionen gelegt:

Rahmenprogramm: Gespräche, Foren und Diskussionsrunden mit Künstlern, Theatermachern, politischen Bildnern und Experten. In Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung wird es darüberhinaus mit Workshops, Unterrichts-Leitfäden, Lehrerfortbildungen sowie Vor- und Nachbereitungsgesprächen ein breitgefächertes, theaterpädagogisches Angebot für Schülerinnen und Schüler geben.
(aus: www.bpb.de)

Und so entwickelte sich das Politische Theater zu seiner heutigen Form: Seit der Theaterbewegung in der Weimarer Republik gibt es Agitprop-Gruppen (Agitationspropaganda-Gruppen), die auf Versammlungen, Straßen und Hinterhöfen "Theater" spielten. Diese Praxis erlebte wieder neuen Aufschwung seit der Protestbewegung Ende der 60er Jahre als Straßentheater (auf Straßen und Plätzen), sogenanntes politisch-agitatorisches Theater. Straßentheater war Teil eines breiten Spektrums politischer Aktionsformen (zum Beispiel Happenings oder Formen des gewaltfreien Widerstands wie Sit-ins und Teach-ins oder Demonstrationen und Besetzungen von öffentlichen Ämtern), mit denen sich die Studentenbewegung öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte. Es wurde überwiegend von Laienspielern in Szene gesetzt, die während aktueller Kampagnen und Initiativen auftraten und aufklären, protestieren und ihr Publikum aktivieren wollten. Theatergruppen entstanden vielerorts aus der Studentenbewegung und der Neuen Linken, die gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze protestierten oder regionale Themen wie Stadtsanierung, Betriebsschließungen usw. aufgriffen und sich zum Ziel gemacht hatten, über Bewußtseinsbildung zur Aktion zu führen. Ihre Darstellungstechniken waren so gewählt, daß die persönliche, verinnerlichte Unterdrückung deutlich gemacht wurde und konkretes Handeln zur Veränderung der Realität eingeübt werden konnte.

Inzwischen ist diese Form des sogenannten Politischen Theaters ergänzt und reflektiert, analysiert und gebändigt:

Viele Theatermacher im Alter zwischen 30 und 50 haben ein entspanntes Verhältnis zur Politik. Also nicht den Anspruch, zum Protest aufzurufen und die Gesellschaft verändern zu können. Die Haltung ist: Ich beobachte und stelle zur Verfügung, ich zeige etwas, habe aber ein diskretes Verhältnis dazu, was das Publikum damit anfängt. Es gibt natürlich Ausnahmen wie Samuel Schwarz, der einen starken politischen Furor hat. Doch die meisten Theatermacher wollen nicht agitieren, sondern lassen mir als Zuschauer einen großen Spielraum und Möglichkeiten des Denkens. Einerseits ist jede Dokumentation immer eine ästhetische Konstruktion von Wirklichkeit. Andererseits droht die Gefahr, faktische zu subjektiven Wahrheiten herunterzudividieren.
(aus www.Freitag.de, 13.11.2008, "Mangel macht manches auch leichter", Im Gespräch, Der Theaterkurator Rainer Hofmann über die Renaissance des Politischen, die Kraft von ästhetischer Selbstreflexion und Lokalpolitik auf der Bühne)

Größte Bedeutung erlangte das Straßentheater zu Zeiten der Protestbewegungen als Mittel der Provokation. Oft wurde der Truppe vorgeworfen, sie vernachlässige den ästhetischen Anteil zugunsten der tendenziösen Botschaft und sei unkünstlerisch, denn die Dichtung werde dem Kampfwert geopfert. Heute hat diese Diskussion den nahezu umgedrehten Schwerpunkt und wird äußerst vorsichtig angegangen. Dieses Jahr ist sie mit dem Motiv "echt" zum Thema gemacht worden - bezeichnend dabei, daß inhaltlich der Diskussionsbegriff "Politik" durch "Realität" ersetzt wird:

Die Gruppen haben ein hohes Bewusstsein über das Gemachtsein von Theater, und gleichzeitig wissen wir alle um das Inszenierte von Politik oder dem, was wir als Realität wahrnehmen. Die neueren Theaterformen sind auf eine intelligente Weise selbstreflexiv, stellen ihr Konstruiertsein immer wieder zur Debatte und bieten sich selbst als Gegenstand der Diskussion an. Viele Produktionen fragen danach, wie Wirklichkeit überhaupt repräsentiert werden kann. Das würden ältere Theatermacher möglicherweise als unpolitisch empfinden. Ich glaube, es wird unseren komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen eher gerecht. Die Gefahr dabei ist, so selbstreflexiv zu werden, dass man die Referenz nach außen verliert.
(Theaterkurator Rainer Hofmann im Interview, www.Freitag.de, 13.11.2008)

Die Probleme, die mit dem Anliegen des Politischen Theaters entstehen, sind komplex. Eine Renaissance des Politischen im künstlerischen und literarischen Bereich hat bei dem momentanen Zulauf auf jeden Fall Chancen und ist durch seine subversiven Elemente sozusagen eine der letzten Gelegenheiten zivilen Ungehorsams. Unter anderem durch die große Anziehungskraft von Theateraktivitäten könnten seine unkontrollierbaren künstlerischen Freiräume zum Beispiel der Auftrittsorte genutzt und viele Menschen erreicht und aufgeklärt werden, ohne daß sie gleich spürbare Konsequenzen erleiden zu müssen. Ist dies das "Mehr, das die Kunst der reinen Analyse voraushat"?

18. November 2008