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STICH-WORT/003: Sprachgeschichtliche Betrachtungen, "Hexe" (SB)


Hexe



Hallo [...] Heute meinen viele, daß "Hexe" sein damit zu tun hat, ein bisschen mit Magie rumzufuchteln ein paar Sprüche aufzusagen und gut ists! - Ich bin schon lange auf der Suche nach den wirklichen Hagedisen, aber es sieht so aus, als kenne das niemand mehr! Das Leben im Zyklus mit der Natur, das Wissen über das alte Wissen. - Wenn ich mal jemand kennen lerne der oder die sich Hexe nennen, dann sind es immer solche die meinen, Karten legen und ein paar Engel um Schutz bitten, das wars. [1]

Eine unbestimmte Ahnung oder Sehnsucht nach "altem Wissen", nach "mehr" als Blendwerk, nach heute nur noch unbekannten Möglichkeiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten spricht aus diesem Blogbeitrag - durchaus ein Anlaß, sich mit dem Wort "Hexe", das diese Wünsche auslöst, d.h. den sprachlichen bzw. gesellschaftlichen Deutungen, die in "ihr" mitschwingen, einmal gründlicher zu befassen. Und vielleicht gelangt der nimmersatte Neugierige ja wirklich an ein Tor oder eine Schwelle zu Gebieten, die gemeinhin der Zauberei vorbehalten zu sein scheinen, weil sie sich mit unseren alltäglichen Projektionen und Erwartungen nicht decken lassen?

Die beiden Fragen "Gab oder gibt es Hexen überhaupt wirklich?" und "Wer waren sie?" (..., wenn es sie gab!) sind wohl die am meisten gestellten zu diesem Wort. Und folgt man seiner Spur, dem sprachgeschichtlichen und gesellschaftlichen Bedeutungswandel der "Hexe", stellt sich heraus, daß diese Fragen bei der durch unterschiedliche Wortdeutungen hervorgerufenen Ungewißheit nur den oberflächlichsten Teil einer Problematik ansprechen, die mit den Bemühungen, eine Positionierung des Begriffs herzustellen, nur zu ihrem kleinsten Teil umrissen wäre. Was anders gesagt heißt, daß das Problem "Hexe" zu erfassen, nicht mit einer systematisierenden Herangehensweise bewältigt werden kann. Es bleibt, sich Gedanken darüber zu machen, was wohl das Wesen der "Hexe" ausmacht. Das ist Herausforderung genug, denn wir haben sie heute bestenfalls noch in unsere Träume verbannt, sie ist aus unserer Wahrnehmung verschwunden, sie ist nicht zu beschreiben und der Begriff nicht stringent herzuleiten. Aber sie ist da, das heißt, in unserer kulturellen Tradition vorhanden ...

Die verschiedenen Definitionen der "Hexe" haben alle gemeinsam, daß sie über die Grenzen normaler geistiger und körperlicher Effektivität hinausweisen, zudem gilt ihre gesellschafliche Stellung als ambivalent:

Eine Hexe ist eine Weissagerin und Zauberin, ein Weib, das mit Hilfe großer Geheimmittel und Geister etwas von der Zukunft weiß und übermenschliche Dinge zu Stande bringen kann, besonders durch einen Bund mit dem Teufel, wie es zur Zeit der Hexenverfolgung verbreitet wurde. [2]

Hexen wurden nicht nur als Anbeterinnen und Gehilfinnen des Teufels gefürchtet, sondern auch als Heilerinnen und Seherinnen geachtet. Sie hatten den Ruf, schrecklich und respekteinflößend, hinterlistig und gemein zu sein, aber auch wissend, helfend und beschützend. Gesellschaftlich gesehen galten sie also als in sich widersprüchliche Personen, was darauf hindeuten könnte, daß ihre Position nicht in dem sozialen Gefüge unterzubringen war. Ihre Mitmenschen waren verunsichert - vielleicht, weil sich die sogenannten Hexen in Kenntnisbereichen bewegten, die nicht auf gewohnte Weise zu erreichen waren und deshalb als Zauberei bezeichnet wurden.

Es gibt hauptsächlich zwei übliche sprachgeschichtliche Erklärungen für den Begriff, die ebenfalls eine doppelte Bedeutung enthalten, wie aus den folgenden Zitaten hervorgeht:

Das Wort Hexe ist ahd. hagazussa, verkürzt hâzus, hâzis, hâzes, hâzissa, mhd. hecse, hexse, hesse; es ist jedenfalls ein Kompositum, dessen erster Teil hag ist [...], der zweite Teil noch nicht genau nachgewiesen. [3]
Das auf das Westgermanische beschränkte Wort (mhd. hecse, hesse, ahd. hagzissa, im nederl. haghetisse, angl. haegtes, verkürzt engl. hag) ist eine verdunkelte Zusammensetzung. Das Bestimmungswort ist wahrscheinlich das unter Hag "Zaun, Hecke, Gehege" dargestellte Substantiv, das Grundwort, das bis heute nicht sicher gedeutet ist, gehört vielleicht mit norw. tysia "Elfe" zusammen. Demnach wäre Hexe ein sich auf Zäunen oder Hecken aufhaltendes dämonisches Wesen, beachte aisl. tunrida "Hexe" eigtl. "Zaunreiterin". Im ausgehenden Mittelalter ging das Wort für einen dem Volksglauben nach bösen weiblichen Geist auf eine Frau über, die mit dem Teufel im Bunde steht und über magisch-schädigende Kräfte verfügt. [4]

Die Hexe als "Zaunreiterin" ist wohl die am weitesten verbreitete Deutung. Das sich auf dem Zaun aufhaltende dämonische Wesen wird andernorts noch weiter ausgedeutet. Die auf verschiedene Seiten herabhängenden Beine der "Zaunreiterin" werden als Metapher interpretiert, die für die Beschreibung einer Wesenheit steht, die mit einem Bein im Reich der Lebenden, mit dem anderen im Reich der Toten weilt. Die Hexe bilde die Grenze zwischen beiden Welten und könne zwischen ihnen vermitteln.

Wie es zu solchen ernst gemeinten Deutungen kommen konnte, läßt sich eigentlich nur aus nachträglichen Fehlinterpretationen ganz konkreter, aber später unvertrauter gesellschaftlicher Verhältnisse erklären: Die sogenannten "Hexen" oder auch Waldfrauen bzw. sogar Waldgöttinnen lebten wohl außerhalb ihrer Siedlungen im "hag", einem Gebüsch bzw. einer Umzäunung. [5] Die oben erwähnte Bezeichnung "haghetisse" besteht aus der Zusammensetzung von "hag" und "disen oder idisen" = "hagedissen", nämlich "Wald-Göttinnen" oder weisen ("dise" d.h. Wissen) Waldfrauen [6]. Sie hielten sich genau genommen innerhalb einer "Gebüsch-Umzäunung" auf, die einen inneren Raum von der Außenwelt trennte. Das ergibt eine andere Sichtweise auf die Hexe als die der Zaunreiterin, denn dieser Deutung des Namens entsprechend befand sich der Tätigkeitsbereich der Frauen vorwiegend in einem rechtsfreien Raum außerhalb der Siedlung, meist im Wald oder Ödland. Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, vielleicht im inneren Kreis nur unter Eingeweihten gepflegt und vor vernichtenden gesellschaftlichen Einflüssen des aufstrebenden Christentums geheim gehalten, machten ihre Lebensweise zu einem Tabu, so daß sie an die Grenze der gesellschaftlichen Realität bzw. "Normalität" gerückt wurden, wo der Bereich des Übernatürlichen und des Spuks beginnt. Das hatte gesellschaftlich gesehen Folgen für die betroffenen Frauen:

Die Grundlagen des Hexentums stammen aus dem germanischen Altertum. Mit dem Emporkommen des Christentums wuchs wie der Glaube an die Hexe so auch die Verfolgung derselben. Die Kirchenväter verwiesen die alten heidnischen Götter als wirklich bestehende Wesen in das Reich der Dämonen. Den ersten Hexen der christlichen Ära, so 1230-40 in Trier, wurde von der mönchischen Phantasie vorgeworfen, sich in Kröten verwandelt zu haben. Die Hexenverbrennungen gehen auf die Bulle Papst Innozenz VIII. "Summis desiderantes" vom 3.12.1484 zurück. [...] Bei den Heiden waren jedoch die Hexen als "weise Frauen" bekannt, bis dann die Kirche das Gesetz Mose übernahm, welches jede Hexe oder Zauberin zum Tode verdammte. [7]

Die Priester konnten sich nur mit Gewalt bzw. Schreckensherrschaft durchsetzen. Sie rotteten alles aus, was sich ihrem auf christlichen Argumenten aufbauendem Zugriff entzog wie zum Beispiel andere oder ältere Konzepte der Lebensbewältigung. So ging das alte Wissen nach und nach verloren - wenn man den fragmentarischen Überlieferungen glauben darf. Wer sich heute "Hexe" nennt, kann nichts mehr bewirken.

Gehen wir auf die suche, zu unseren wurzeln, damit wir ein wenig mehr werden wie sie. wir werden nicht mehr wirklich verfolgt von der kirche, aber auch nicht mehr gefürchtet von anderen, es ist viel verloren gegangen. schade! [8]

Fazit: Es gibt (noch) das Wort "Hexe" samt einem ihm innewohnenden Geheimnis, aber es gibt keine Hexen (mehr?). Und doch leben sie gerade heute in der Idee weiter, der herrschenden Gesellschaftsordnung ihre Lebensform, Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. andere Möglichkeiten zu denken entgegenzusetzen.


DICHTERSTUBE/026: Hexen (SB)
Man sagt, sie seien Märchenwesen
und Dummheit habe sie erfunden,
der Volksmund hätt' sie aufgelesen,
sein armes Weltbild abzurunden.
Folklore, sagt die Wissenschaft,
und Kirchenrechtsintrigen
und Hexenhammer, Sippenhaft,
damit die Priester siegen.
Es war doch nur die dunkle Zeit,
und ist nicht längst bewiesen,
daß die Vernunft den Geist befreit,
von Hexen, Zwergen, Riesen.
Wichtigtun und Spiegelfechten,
Hilfsmotiv der Literaten,
was auch immer sie erdächten,
wiederholt nur alte Daten.
Skeptiker und Realisten
liefern sich die heiße Wette
mit den Teufelsfetischisten
so, als ob es Aussicht hätte,
jemals mehr herauszufinden,
als daß schließlich beide Seiten
sich im gleichen Irrtum winden
endlos daraus herzuleiten.
Entscheidend ist doch, kein Gericht
nahm je ein Hexenleben,
es gab sie nie, es gibt sie nicht,
es wird sie aber geben.
Erstveröffentlichung am 5. August 1999 [9]

Anmerkungen:

[1] Arkona, http://www.nexusboard.net/sitemap/6724/wer-waren-die-hexen- wirklich-t256674/
[2] http://www.deutschland-im-mittelalter.de/hexenprozesse.php
[3] Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 407-410. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20002773120
[4] Duden, das Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, 2. übearb. Aufl. Mannheim 1989, S. 283
[5] ahd. "Einhegung", mhd. "hac" - Dorngesträuch, Gebüsch, Umzäunung", schwed. "hage" - Gehege, Hain. Aus: Duden, das Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, 2. überarb. Aufl. Mannheim 1989, S. 262f.
[6] siehe auch Horst E. Miers: Lexikon des Geheimwissens, Goldmann Verlag, München 1979, Stichwort "Hexen", S. 193)
[7] Horst E. Miers, Lexikon des Geheimwissens, ebd.
[8] konstantin, http://www.nexusboard.net/sitemap/6724/wer-waren-die- hexen-wirklich-t256674/
[9] Dieses Gedicht findet sich im Schattenblick auch als Tonbeitrag unter:
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LEICHTE KOST UND SCHWARZES BROT/0024: Hexen (SB)

5. September 2012