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SPRÜNGE/007: "Die Gartenlaube" - verdauliche Literatur in Fortsetzung (SB)


Die Gartenlaube

Der Fortsetzungsroman wird Mode


Diesmal soll in SPRÜNGE eine scheinbar ganz nebensächliche Entwicklung aus der Literaturgeschichte durch die Brille ins Auge gefaßt werden: der Fortsetzungsroman. Unberührt vom Literaturbetrieb, abseits der ihm verschlossenen heiligen Hallen der Hohen Literatur führt er ein Schattendasein - allerdings von gewaltigem Ausmaß.

Über die Frage seiner Existenzberechtigung, da "literarisch wertlos", ist der Fortsetzungsroman erhaben, denn seit seiner Entstehung straft ein großer, zuverlässiger Leserkreis jede vernichtende Kritik Lügen. Die Publikumswirksamkeit, behaupten böse Zungen, bestehe darin, dem Leser Ersatzerlebnisse zu bieten, eine Wirklichkeit fern der im Argen liegenden sozialen Realität aufzubauen, Probleme zu verharmlosen und somit die herrschenden Verhältnisse zu festigen. Zudem kämen Fortsetzungsromane dem Lesebedürfnis der Masse entgegen, die ein hohes Maß an Unterhaltung erwarte - und das gilt als verwerflich. Denn Konsum, heißt es, fördert eine unkritische Haltung und schaltet das Denken aus.

Sollte der Wirkung eines Romans oder den sprachlichen Fähigkeiten des Menschen hier so viel Bedeutung beigemessen werden, daß man allen Ernstes glaubt, der Leser würde sich von einer Romanhandlung manipulieren lassen? Kann ihm denn nicht zugetraut werden, die Romanwelt von seiner eigenen Realität so weit zu trennen, daß es nicht zu folgenschweren Verwechslungen kommt? Inwiefern man auf Dauer das Durchhaltevermögen aufbringt, immer wieder von Lebenszusammenhängen zu lesen, die nichts mit der eigenen Umgebung zu tun haben und bei der Beantwortung von Fragen und Problemen weder weiterhelfen noch Anregungen bieten, steht auf einem anderen Blatt. Darüber hinaus sei angemerkt, daß die Fragen, die im wesentlichen die hohe Weltliteratur bestimmen, genau die gleichen sind, wie die des sogenannten Schunds, und über die Qualität und Lebensnähe der Darstellung läßt sich mit Sicherheit streiten. Auch der eine oder andere wertgeschätzte Roman eines berühmten Autors erschien ursprünglich in Form eines Fortsetzungsromans.

Charakteristisch für den Fortsetzungs- oder auch Zeitschriftenroman ist, daß er dem Leser in kleineren Tagesrationen vorgesetzt und häufig zum Vorabdruck einer Buchausgabe wird. Er soll in den Illustrierten durch effektvolle, spannungserregende Kapitelschlüsse das Interesse an der nächsten Nummer erhöhen. Beim Schreiben beachtet der Autor das Grundprinzip: Jeder einzelne Teil bringt die Handlung um ein Stück weiter. Die gleich großen Folgen nehmen im Spannungsaufbau darauf Rücksicht.


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Die Zeitschriften, in denen er erscheint, sind meist Familienblätter, deren Konzept es ist, zum Beispiel halbwissenschaftliche Inhalte oder Themen aus sozialen Bereichen unter strenger Vermeidung des politischen Bereichs anzubieten.

Vorläufer des Familienblatts waren im frühen 18. Jahrhundert die 'Moralischen Wochenschriften' nach englischem Vorbild. Ihre Themen wurden hauptsächlich dem häuslichen und bürgerlichen Lebensbereich entnommen und hatten aufklärerischen Anspruch.

Die Familienblätter übernahmen die belehrende Absicht. Um Leser aller Stände und Altersklassen, Männer und Frauen anzusprechen, bemühte man sich bei der Themenauswahl um Volkstümlichkeit. So waren die Aufsätze über naturwissenschaftliche, historische, medizinische und technische Themen und Berichte aus der Länder- und Völkerkunde in schlichter Sprache und plauderndem Ton verfaßt. Der Unterhaltungsteil präsentierte Gedichte, Erzählungen und eben jene Fortsetzungsromane, um die es hier geht.


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Ein Blatt für die deutsche Familie

Das erste und gleichzeitig das bekannteste und erfolgreichste Familienblatt wurde "Die Gartenlaube". An einem solchen Blatt hatte es bisher in Deutschland gemangelt. Es gab zwar satirische Magazine und illustrierte Zeitschriften, aber es fehlte ein Blatt für die breite Mittelschicht und für alle Altersgruppen. Im Januar 1853 begann der liberaldemokratische Buchhändler und Publizist Ernst Keil mit der Herausgabe einer neuen, einmal wöchentlich erscheinenden Zeitschrift, dem Familienblatt "Die Gartenlaube". Entsprechend den Zensurzwängen der Zeit nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 wurde die in Leipzig erscheinende "Gartenlaube" ausdrücklich als unpolitisch bezeichnet. Keil definiert als Herausgeber in einem Grußwort das Programm, das zur Stärkung des bürgerlichen Selbstwertgefühls betragen sollte:

Ein Blatt soll's werden für's Haus und für die Familie, ein Buch für Groß und Klein, für Jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen ... fern von aller raisonnirenden Politik und allem Meinungsstreit in Religions- und anderen Sachen.

Trotzdem spricht die Person des Herausgebers Keil, der wegen seines politischen Engagements von den Behörden verfolgt worden war, dagegen, daß die "Gartenlaube" ein vollkommen unpolitisches Blatt werden konnte, auch wenn sie sich mit Rücksicht auf die Pressezensur ausdrücklich so bezeichnete. Schon in den ersten Nummern ergriff Keil entschieden Partei für die Ideen der deutschen Nationalbewegung. Für ein Engagement in dieser Richtung sprachen auch die vielen gelegentlichen Mitarbeiter des Blattes, zum Beispiel der 48er Revolutionär Gottfried Kinkel, der Dichter Ferdinand Freiligrath und der Förderer der Genossenschaftsidee Hermann Schulze-Delitzsch. Politisch vertrat "Die Gartenlaube" im allgemeinen eine nationale und liberale Grundhaltung. Sie brachte neben Beiträgen, die in verständlicher Form die technischen und wissenschaftlichen Fortschritte der Zeit zu erklären versuchten (zum Beispiel stellte "Die Gartenlaube" dem Zoologen Alfred Brehm Mittel für seine Unternehmungen zur Verfügung, und er unterrichtete regelmäßig über seine Expeditionen, womit er einem breiten Leserkreis die Tierwelt näherbrachte), auch Berichte über Tagesfragen und Reportagen über aktuelle Ereignisse sowie Zeitglossen und übte zumindest vorsichtige Kritik an sozialen Mißständen. Aufsätze über Kunst und Literatur beeinflußten Bildung und Zeitgeschmack ebenso wie Plaudereien über Mode und gute Sitten - oft mit ironischen und satirischen Mitteln.

Die attraktive Mischung aus Unterhaltung und leicht verständlicher Belehrung führte zu einer steigenden Nachfrage und rief die Konkurrenz auf den Plan. Nach dem Konzept der "Gartenlaube" gründeten sich eine große Zahl ähnlicher Zeitungen, die jedoch nicht annähernd so erfolgreich waren wie das Original.


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Erfolg mit Fortsetzungsromanen

Seit 1866 erschienen in der "Gartenlaube" die Fortsetzungsromane der Schriftstellerin Eugenie Marlitt. Sie sorgten für eine enorme Steigerung der Auflage: von 6.000 im Januar 1853 auf 382.000 im Jahr 1875.

Ihre Familiengeschichten spielen im großbürgerlichen und aristokratischen Milieu. Die Frauengestalten haben gegen Standes- und Besitzunterschiede anzukämpfen. Die Marlitt (5.12.1825 bis 22.6.1887) war Tochter einer verarmten Kaufmannsfamilie und wurde Gesellschafterin der Fürstin Mathilde von Schwarzburg- Sondershausen. Ihre Romane wurden als Fortsetzungen vorabgedruckt, ehe sie als Buch erschienen, wie zum Beispiel "Goldelse" (1867), "Das Geheimnis der alten Mamsell" (1868), "Reichsgräfin Gisela" (1869), "Im Hause des Kommerzienrates" (1877) und "Amtmanns Magd" (1882). Sie waren so erfolgreich, daß sie in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Im trauten Familienleben war der Ausweg aus den Unannehmlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Armut oder Spekulantentum zu finden. Eugenie Marlitt ging dabei einem gewissen Maß an Wirklichkeitsnähe nicht aus dem Weg. Ihre Themen waren aktuell, die Ausgänge nicht immer das beliebte "Happy End", sondern zum Teil auch unglücklich und tragisch, mündeten jedoch in herkömmlichen bürgerlichen Vorstellungen. Insofern paßte das Konzept der "Gartenlaube" zur inhaltlichen Richtung ihrer Romane.

Klopft nicht auch die Gartenlaube in dem Sinne an die Menschenherzen? Weht nicht aus ihr der weiche Odem der Menschenliebe, und zürnt sie nicht mit denen, die um ihres persönlichen Vorteils willen nach der Wiederkehr alter, verrotteter, menschenfeindlicher Institutionen ringen?
(aus: E. Marlitt, Vorwort zur "Reichsgräfin Gisela", in Otto F. Best: Handbuch Literarischer Fachbegriffe, Definitionen und Beispiele, überarbeitete Auflage März 1994, Ffm., S. 569,)


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Später veröffentlichte auch Hedwig Courths-Mahler (18.2.1867 bis 26.11.1950) ihre in adligem Milieu angesiedelten Liebesgeschichten in der "Gartenlaube". Sie schrieb insgesamt 208 Unterhaltungsromane und hatte anhaltenden Erfolg. Die Handlung ihrer - nach eigenem Bekenntnis - "harmlosen Märchen" bezieht sich auf die Bereiche Heirat und sozialer Aufstieg. "Hedwig" stellt eine gefühlvolle Wirklichkeit vor, in deren Zentrum die heile Familie steht mit starren geschlechtsspezifischen Normierungen. Die Gesamtauflage ihrer Romane erreichte 50 Millionen Exemplare, sie wurden schon in den 20er Jahren 21 Mal verfilmt.


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Heute gilt "Die Gartenlaube" (deren Erscheinen 1944 eingestellt wurde) mit ihren Fortsetzungsromanen von Marlitt und Courths- Mahler als Stellvertreterin dieses kleinen literarischen Genres. Sie ist nicht in Vergessenheit geraten, denn wenn man wirklich auf den sogenannten "stilechten" Familien- oder Frauenroman zurückgreifen will, ist er bis heute samt seinen liebevollen Illustrationen von unerreichbarer Qualität, sozusagen mit Herz und Verstand verfaßt. Einer Reaktion auf diese gekonnte Unterhaltung kann sich kaum jemand entziehen, ob nun naserümpfend in Ablehnung der Idylle oder seufzend vor Sehnsucht. Selten hat Literatur solch einen starken Widerhall bewirkt.

Erstveröffentlichung im Herbst 1999

5. Januar 2007