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BERICHT/012: Buch trifft Bühne - gelesen, getanzt und gesungen (SB)


Karin Stahlhut und Vera Roedder inszenieren den Roman "Der geheime Salon" im Kulturcafé "Komm du" in Hamburg-Harburg

Von Rache und Vergebung



Für das, womit die Autorin Karin Stahlhut alias Karin Engel und die Sängerin, Pianistin und Komponistin Vera Roedder am Abend des 27. März 2013 im Kulturcafé "Komm du" in Hamburg-Harburg ihr Publikum über mehr als zwei Stunden fesselten, erwies sich die Bezeichnung "Musikalische Lesung", wie auf manchen Plakaten und Veranstaltungshinweisen angekündigt, untertrieben, handelt es sich bei dem, was die Künstlerinnen selbst auf ihrer Homepage 'ein Projekt in Wort, Klang, Bewegung und Bild' nennen, doch um ein komplettes kulturelles Menü in einer überaus unterhaltsamen und sorgsam aufeinander abgestimmten und ineinander greifenden Mischung aus Schauspiel und Tanz, Instrumentalmusik und Gesang, Rezitation und Erzählung, Tragödie und Komödie um Karin Stahlhuts soeben erschienenen, neuen Roman "Der geheime Salon".

Foto: © 2013 by Schattenblick

Vera Roedder (lks.) und Karin Stahlhut
Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Tod des mallorquinischen Mandelbaumplantagenbesitzers Umberto im Jahre 1905 hinterläßt seine Frau Charlotte, gebürtige Tochter einer angesehenen Bremer Kaufmannsfamilie und ehedem nach dem Süden zwangsverheiratet, um einem Skandal zu entgehen, in Trauer, Verzweiflung - und Wut. Nach mallorquinischem Recht ohne Anspruch auf ein Erbe und mittellos auf die Barmherzigkeit ihres Stiefsohns Alejandro angewiesen, kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück, um Rache zu üben an denjenigen, die sie in diese aussichtslose Situation brachten. Zu diesem Zweck gründet sie in der alten Familienvilla einen Sommersalon als Treffpunkt der Bremer Bourgeoisie und Bohème, um der damaligen Intrige und einigen anderen Verbrechen auf die Spur zu kommen. Unterstützung erhält sie von anderen Frauen, die, selbst in schwierige Lebenssituationen geraten, ihre eigenen Rachegründe haben und deren Lebenswege sich miteinander und mit dem Charlottes verknüpfen.

Der Tanz beginnt im Rücken der Zuschauer. Charlotte alias Karin Stahlhut, liegt am Boden. Auf dem Weg der Künstlerin durch das Publikum hindurch auf die Bühne erlebt dies die Wandlung der Tänzerin, gewandet in schwarz mit einem bunt-gemusterten mallorquinischem Tuch, von der verzweifelten Witwe zur kämpferischen, zur Vergeltung entschlossenen, selbstbewußten Frau, choreographiert in Zusammenarbeit mit der Heider Tanzpädagogin Jutta Warnecke.

In sparsamster, gleichwohl wirkungsvoller Kulisse wird vor einem seidigen Wandbehang, der das rote Sofa zeigt, das im Roman eine Rolle spielt, das inzwischen abgeworfene farbige Tuch getauscht gegen ein weißes Oberhemd. Zukünftig wird die Frau ihren Mann und für sich selber einstehen.

Charlotte krempelt die Ärmel auf - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Karin Engel erzählt, nein spielt mit wechselnden Rollen Schlüsselszenen des Romans, die sie geschickt für eine Präsentation auf der Bühne ausgewählt hat und die sie mit Zusammenfassungen der Geschehnisse verknüpft, so daß jeder Zuschauer im Publikum dem Handlungsstrang des fast 500 Seiten starken Romans folgen kann. Natürlich ist jeder Autor in seiner Geschichte zuhause. Dennoch ist es eine beachtliche und in diesem Fall äußerst gelungene Leistung, den eigenen Text ohne jede Vorlage und ohne jedes ‹Halteseil‹ nicht nur frei zu sprechen, sondern dabei schauspielerisch gekonnt in Szene zu setzen. Die Autorin erweist sich als eine vielseitige Künstlerin, die nicht nur schreiben, sondern auch tanzen und schauspielern kann. Und auch dabei fehlt nicht jenes Quentchen ironischen Augenzwinkerns, das schon im Roman tragische Ereignisse und große Gefühle auf den Boden zurückzubringen vermag.

Vera Roedder singt - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Zu den Schlüsselfiguren des Buches hat die Komponistin Vera Roedder eigene Liedtexte geschrieben, sie selbst vertont und musikalisch begleitet. Was die Autorin auf vielen Seiten beschreibt, hat die Musikerin in wenigen Worten aufs atmosphärisch Wesentliche gebracht, schwärmt Karin Stahlhut von der kreativen Zusammenarbeit der beiden Künstlerinnen, die die Frage "Wollen wir nicht mal was zusammen machen?" vor über einem Jahr in diesem Projekt zusammengebracht hat. Der Zuschauer erlebt die Verschiedenartigkeit der Kunstformen mit ihrer je spezifischen Herangehensweise, die jede für sich steht und die sich im Zusammenspiel doch wunderbar ergänzen.

Von starken Frauen singt Vera Roedder, von Liebe und von Rache, die als blinder Passagier unser Leben vergiftet, vom Egowahn, vom Leben in der Möglichkeit und der Möglichkeit in uns, von der Kraft des Andersseins und vom Humor als einem Schlüssel zum Glück. Laute und leise Töne, eine starke Stimme, spanische Rhythmen.

Während der Lieder in einer Modulation, die jedes Wort mühelos verstehen läßt, tritt die Autorin in den Hintergrund, das Gesungene mit unterstreichender Mimik und Gesten begleitend, während der Erzählung geht es umgekehrt, bis das Spiel beide Künstlerinnen am Ende in einem temperamentvollen Flamenco zusammenbringt.

Die Künstlerinnen beim Flamenco - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Auch die Kostümierung ist aufs Wesentliche reduziert und unterstreicht die Wandlung und die Wandlungsfähigkeit der Charaktere mit sparsamen Mitteln: ein Tuch, zwei Hüte, ein Hemd und ein Sakko, ein Paar Stiefel.

Besonders gelungen ist der Versuch der Frauen, in Vorbereitung auf die Durchführung ihrer detektivischen Pläne als Männer aufzutreten. Das ist so komisch wie gut beobachtet, ein bißchen Shakespeare, und auch zu diesem Rollenspiel gibt es einen Song.

Natürlich wird der Roman nicht zu Ende erzählt. Doch soviel verrät die Autorin am Schluß: Es geht gut aus - was das auch für jeden Einzelnen heißen mag - und die Liebe siegt. "Das tut sie eigentlich immer", meint Karin Stahlhut, "auf die eine oder andere Weise."

Die Sängerin in Männer-, die Autorin in Frauenpose - Foto: © 2013 by Schattenblick

Männer-Frauen-Rollenspiele
Foto: © 2013 by Schattenblick

Das Publikum honorierte diese künstlerische Ausnahmeleistung mit lang anhaltendem Applaus, Bravo-Rufen und der unabweisbaren Bitte um eine Zugabe. Und so erklingt am Ende noch einmal Charlottes Lied vom Karma.

Mit ihrer Literaturinszenierung, mit der die beiden Künstlerinnen zweifellos ein ganz neues Lesungsformat kreiert haben, wollen Karin Stahlhut und Vera Roedder demnächst auf Tour gehen. Absolut erlebenswert!


Anmerkung:

Weitere Informationen unter
http://www.der-geheime-salon.de

3. April 2013