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BERICHT/014: Vollkost im Komm du, die Texte schlagen aus (SB)


Lesung im Komm du am 10. Juli 2013

Gedichte und satirische Texte von Brigitte Plath

gelesen von der Autorin und von Astrid Buchholz


Eingang des Komm du mit Ankündigungstafel - Foto: © 2013 by Schattenblick

Mittwoch abends im Komm du ist Lesezeit
Foto: © 2013 by Schattenblick

Neulich im Komm du: Es ist Mittwoch abend. Etwa dreißig Personen haben sich in dem Harburger Kulturcafé versammelt, heute gibt es Lyrik und Satire, vorgestellt von der norddeutschen Autorin Brigitte Plath und einer Mitstreiterin. Schon der Einstieg macht klar, wohin die Reise gehen soll: Alltagsbetrachtungen, die ein klares Wort nicht scheuen. Die Autorin beginnt mit einem satirischen Gedicht, in dem sie ein Phänomen, das wohl die meisten im Publikum kennen, überzeichnet. Ein Nachbar achtet mit grenzwertigen Mitteln darauf, daß Ordnung und Sauberkeit im Mietshaus herrschen. Die boshafte Vorstellung, daß er einen Wildfremden in den Kohlenkeller steckt, um ihn zu bestrafen, gönnt man sich. Als er den Jungen, der nicht mehr in der Lage ist, selbst zu laufen, aus dem Haus schafft, hat er stolzerfüllt nur Blick für eines: "Gott, die Treppe, wie sieht die sauber aus!"

Man lacht, weil man diesen Schluß so nicht erwartet hat, aber die Szene ist dennoch beklemmend. Denn allzuweit von der Realität ist diese Zuspitzung nicht. Die Gedichte und Satiren dieses Abends schildern Situationen, die entweder jeder kennt oder sich zumindest vorzustellen vermag:
Sei es, daß Krankenpfleger ohne Mitleid gesucht werden oder Asylbewerber sich als Organspender anbieten, wenn der zum Organ dazugehörige Mensch eine Aufenthaltsgenehmigung erhält. Der Wurst- und Frühstückseiesser schwadroniert über Idioten, die nicht ohne Blutvergießen leben können, und vergißt dabei, was oder wen er da eigentlich gerade ißt. Mit diebischem Vergnügen lauscht man einer langen Ausführung über Büromöbelkultur und Effizienz, in der Manager affengleich ihrer wahren Natur entgegenschaukeln. Der Papst darf nicht als Bettler durch die Lande ziehen. Superhelden werden verboten, weil sie US-Bürger zu terroristischen Taten verleiten könnten... Satire, die man gehört haben muß, wenn man den bitterbösen Geschmack gründlichster Alltagsverdaulichkeit nicht scheut.

Die Autorin auf der Bühne - Foto: © 2013 by Schattenblick

Brigitte Plath
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Texte und Gedichte werden im Wechsel vorgetragen. Astrid Buchholz liest erstere und schlüpft überzeugend in jede Rolle. Hier wird konsequent weitergedacht und alltägliche Ignoranz entlarvt. Die Rede vor Parteigenossen über den Ausbau privater Sicherheitsdienste oder vor Staatsbeamten über den Umgang mit nörgelnden Bürgern, die die Demokratie gefährden, ist so satirisch aufbereitet wie entlarvend. Die Gedichte werden von der Autorin selbst mit soviel Ernsthaftigkeit und zugleich Lebensfreude erzählt, daß man sich als Zuhörer unwillkürlich hineingezogen fühlt. Was im einen - der Satire - die bitterbös-tiefsinnige Überspitzung, ist im anderen - dem Gedicht - der ungewöhnliche Blickwinkel, das Verweilen bei einem Thema, ohne jedoch in Stillstand zu verfallen, das konsequente Weiterspinnen eines Erzählfadens, der nicht in die sattsam bekannten Kreise zurückführt. Text und Gedicht sind beschönigungsfrei.

Viele Gedichte enden unerwartet. Eine Frau, die nach der Katastrophe mit ihrer Familie aus Fukushima nach Yokohama gezogen ist, berichtet, wie prima es dort ist. Sie hätten zwar alles verloren, aber das Wichtigste sei doch, daß es ihrer kleinen Tochter Yukio gutginge. Sie sei ein kleiner Wildfang. Am Ende ahnt man, daß das Kind krank wird und daß dieser Gedanke für die Mutter zu furchtbar ist, um ihn wahrhaben zu wollen.

Andere beleuchten Aspekte unseres Alltags, die nicht so sehr im Mittelpunkt stehen: die dickbauchige Kanne zum Beispiel, die seit Kriegszeiten ein treuer Begleiter ist und die man um nichts in der Welt für eine andere hergeben würde, weil sie zuverlässig immer Trost und Wärme spendete. "Alte Freunde" heißt das Gedicht. Ein weiteres thematisiert die Legebatterien und beschreibt das Elend der Hühner so hautnah, daß man das Fazit, daß sich das einmal bitter rächen könne, nicht mißversteht. Ein Gedicht über ein Paar Schuhe, die einem Kind besser von Krieg und Flucht erzählen als es Bücher können, ist ein Hinweis auf unseren achtlosen Umgang mit alltäglichen Dingen. Das Gedicht "Schnell, schnell", in dem man 'als nackter Zeitgewinn und lebende Sekunde' an allem vorübereilt, präzisiert diesen noch einmal.

Hier wird ein Gedanke weiterentwickelt und gehalten, eine Geschichte wird erzählt, die den Zuhörer auf eine Weise mitnimmt, die ihn für einen Moment lang alles andere vergessen läßt. In diesen Gedichten wird präzise gefaßt und formuliert, was im nächsten Moment zu entschwinden droht. So verweilt es schließlich in Wort und Reim gebändigt beim Zuhörer. In keiner Sekunde gibt es die Not für die allzu bekannte und leidliche Frage, die häufig beim Hören zeitgenössischer Lyrik entsteht: 'Was will der Dichter uns damit sagen?', und den verzweifelten Blick in die Runde, wieweit man sich hier wohl die Blöße geben darf, nicht zu verstehen.

Dieser Abend war sicherlich nicht nur ein Erfolg für das Komm du, die Autorin und die Mitvortragende, sondern auch eine Überraschung für die versammelten Zuhörer, die köstlich amüsiert, berührt, betroffen und am Ende ein wenig nachdenklich reagierten. So mancher nutzte in der Pause die Gelegenheit, mit seinem Stuhl- oder Tischnachbarn bei Kaffee und Kuchen oder draußen vor der Tür ins Gespräch zu kommen. Was kann einem Besseres passieren?

Besuchergruppe vor dem Komm du - Foto: © 2013 by Schattenblick

Pausengespräche
Foto: © 2013 by Schattenblick


Anmerkung:

Gedichte und Satiren von Brigitte Plath sind im Schattenblick nachzulesen
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15. Juli 2013