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BERICHT/032: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (2) (SB)


Breite Bündnisse für antifaschistischen Widerstand

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wurde 1947 von Opfern des NS-Regimes mit dem Ziel gegründet, aus der erlittenen Unterdrückung zu lernen, um für eine antifaschistische Zukunft und damit "eine Welt ohne Rassismus, Antisemitismus, Nazismus und Militarismus, ohne Ausgrenzung, ohne Faschismus und Krieg" einzutreten. Weil die Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation tatsächlich aus der jüngsten Vergangenheit lernten und die Verwirklichung einer Gesellschaft, die jeden Rückfall in den Faschismus unmöglich machte, mit dementsprechenden Nachdruck anstrebten, wurden sie in der BRD massiv verfolgt. Aufgrund seiner bürgerlichen Mitgliederinnen und Mitglieder war der VVN auch in der DDR nicht wohlgelitten und wurde verboten, um allerdings durch eine kommunistischen Widerstandskämpfern gewidmete Organisation ersetzt zu werden. In der BRD geriet der Verein dauerhaft ins Kreuzfeuer antikommunistischer Bezichtigungen, die in den 1950er-Jahren zu Berufsverboten, der geheimdienstlichen Überwachung seiner Mitgliederinnen und Mitglieder und einem später wieder aufgehobenen Verbot in einigen Bundesländern führten.

Obwohl der Kalte Krieg mit dem Anschluß der DDR an die BRD endete, wurde die geheimdienstliche Observation des VVN-BdA nahtlos fortgesetzt. Trotz des altersbedingten Ausscheidens ehemaliger Funktionsträger des NS-Regimes aus Regierungs- und Richterämtern blieb der Verein, der den Schwur von Buchenwald zu seinem Credo erklärt und damit alten wie neuen Nazis unversöhnliche Feindschaft erklärt hatte, Ziel politischer Verfolgung. Der offene Antikommunismus der Blockkonfrontation hatte sich keineswegs erübrigt, soll sozialer antikapitalistischer Widerstand doch bis heute unterdrückt werden. Er lebt in Form der Extremismusdoktrin fort, die ihn nur scheinbar von dem Vorwurf befreit, Menschen lediglich aufgrund ihrer politischen Gesinnung zu verfolgen. Indem der rechte wie linke Rand der Gesellschaft als ein und dieselbe Bedrohung für Freiheit und Demokratie gehandhabt und auf ein Problem normativer Abweichung reduziert wird, enthebt sich der Staat der Notwendigkeit, politische Verfolgung auch politisch zu begründen. Die damit wirkmächtig gewordene Totalitarismustheorie feiert heute Urständ in der Parole der Pegidisten, sie seien weder links noch rechts. Eingebettet in eine politische Mitte, in der sozialdarwinistische Überlebenskonkurrenz und imperialistischer Krieg den Ton angeben, können sie ihren feindseligen Ausfällen gegen Migrantinnen und Migranten wie gegen linke Aktivistinnen und Aktivisten freien Lauf lassen.

Heute, da der Rassismus auf breiter Front marschiert und seine militante Fraktion täglich neue Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und geflüchtete Menschen begeht, findet der VVN-BdA zwar nur noch im Verfassungsschutzbericht Bayerns Erwähnung. Da sich der Sicherheitsstaat hinsichtlich der Praktiken seiner Geheimdienste bedeckt hält und die Verstrickungen der Verfassungsschutzämter in die Aktivitäten des NSU alles andere als aufgeklärt sind, gibt es letztlich keine Gewißheit darüber, inwiefern die Mitgliederinnen und Mitglieder des Verbandes weiterhin vom Staatsschutz observiert werden. Daß dies überhaupt der Fall war und ist, läßt erkennen, daß ein Antifaschismus, der sich nicht für die Ziele antiextremistischer Herrschaftsicherung einspannen läßt und von einer Gesellschaftsveränderung zur vollständigen Überwindung faschistischer Gewalt und Doktrin nicht ablassen will, kaum anders kann, als mit der herrschenden Ordnung auf Konfrontationskurs zu geraten.

Analyse rechter Bewegungen für wirksame Gegenstrategien

Mit dem Historiker und Lehrer Dr. Ulrich Schneider war der Bundessprecher des VVN-BdA an der Podiumsdiskussion auf der Linken Literaturmesse beteiligt, die sich aus aktuellem Anlaß dem Thema "Aufmärsche, Brandanschläge, Wahlerfolg" widmete. Er schickte seiner Stellungnahme voraus, für sich nicht in Anspruch zu nehmen, für die Antifa zu sprechen, wenn er seine antifaschistische Position erläutert. Er spreche für eine bestimmte Strömung innerhalb der antifaschistischen Bewegung, die sehr viel breiter ist und ganz unterschiedliche Facetten hat. Diese Strömung habe sich über Jahrzehnte mit der Bundesrepublik, dem Neofaschismus, aber auch den alten Nazis und dem wiedererstarkten Militarismus auseinandergesetzt. Um den Kampf gegen Renazifizierung, Remilitarisierung und Kriegspolitik erfolgreich führen zu können, sei es immer auch darum gegangen, integrative Bündnisse zu schmieden.

Dies sage er auch als Generalsekretär der Fédération Internationale des Résistants (FIR), unter deren Dach sich Verbände von Widerstandskämpfern gegen den NS-Staat in aller Welt versammelt haben, um das, was einmal als antifaschistischer Konsens der Nachkriegszeit entstand, auch für das politische Handeln der Zukunft fruchtbar zu machen. Die Mehrzahl der in diesem Dachverband organisierten Initiativen sei zusätzlich zum Erinnern und Gedenken seit Jahren im Kampf gegen Rassismus, Rechtsentwicklung, Geschichtsrevisionismus und andere Auswüchse der in einer ganz neuen Dimension wiedererstarkten Rechten aktiv. Man habe es bei Pegida und ihrem Anhang nicht mit einer neuen Bewegung zu tun, sondern es handle sich um die gleiche rassistische und neofaschistische Mobilisierung, die es in den letzten Jahrzehnten einschließlich der frühen 90er-Jahre gab. Dabei betonte Schneider, daß es nicht nur in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda zu Pogromen gekommen sei, sondern auch im Westen der Bundesrepublik.

Was sich im Zusammenhang mit Pegida als Schnittmenge zwischen Rechtspopulismus und offenen faschistischen Strukturen und Organisationen darstelle, sei zwar nicht durch die Debatten um Islamisierung und Flüchtlinge entstanden. Doch an diesem Punkt zeige sich die Mobilisierungsfähigkeit eines rechten Zusammenhangs, bei dem die Abgrenzung zu den verschiedenen Facetten extrem rechter Gruppierungen und Bewegungen immer schwieriger werde. Früher wußte man, mit wem man es zu tun hatte, wenn die freien Kameradschaften in Wunsiedel aufmarschierten oder das Netzwerk der NPD Aktionen gegen die Wehrmachtsausstellung in München organisierte. Heute träfen sogenannte besorgte Bürger und überzeugte Faschisten bei Protesten gegen ein regionales, lokales oder wie auch immer als Problem verstandenes Ereignis auf der Straße zusammen. Sei auch die Zuordnung der verschiedenen Strömungen der extremen Rechten innerhalb der aktuellen Aufmarschszene sehr viel schwieriger geworden, so plädiere er dringend dafür, weiterhin eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Spielarten der extremen Rechten vorzunehmen und nicht pauschal alles in einen Topf zu werfen, um es dann als "die Rechte" zu titulieren.

Dabei gehe es ihm keineswegs darum, zwischen vermeintlich guten und bösen Rechten eine Trennlinie zu ziehen oder irgendwelche persönlichen Präferenzen ins Spiel zu bringen. Vielmehr habe die Klärung der verschiedenen ideologischen und politischen Zugänge etwas mit der Möglichkeit zu tun, Gegenstrategien zu entwickeln. Spreche man pauschal vom "rechten Mob", dann schade das der Fähigkeit, gegen die von ihm verübten Gewalttaten wirksam vorzugehen.

Schneider geht von drei Handlungsebenen aus, gegen die es zu agieren gilt. Zum einen gegen die offen faschistischen Organisationen wie Kameradschaften und NPD, die versuchen, mit ideologisch durchdachten Strategien faschistisches und rassistisches Gedankengut zu verbreiten. Dagegen gerichtete Aktionen hätten in der Vergangenheit sowohl in Bayern als auch in Nordhessen, so der aus Kassel stammende Referent, gezeigt, daß man den Staat dazu zwingen könne, administrative Maßnahmen gegen diese Gewalttäter zu ergreifen. Schneider nannte als Beispiel das gerade wieder bestätigte Verbot der Kameradschaft Süd oder das endgültige Verbot von Sturm 18, einer gewalttätigen Neonazigruppe in Nordhessen. Damit würden nicht nur die betroffenen Nazigruppen in ihrem Handeln eingeschränkt, sondern auch prinzipielle Grenzen für jene vermeintliche Toleranz eingezogen, die sich analog zum vielzitierten Freibrief für rassistische Rhetorik, daß man so etwas doch mal sagen dürfe, entsprechende Übergriffe erlaubt.

Als zweite Handlungsebene antifaschistischer Aktion gelte es zu überlegen, wie man sich mit neuen Ideologiezirkeln wie den Identitären auseinandersetzt, die versuchten, über soziale Netzwerke Einfluß auf politische Bewegungen zu gewinnen. Diese wären in der Lage, mit drei Personen einen Shitstorm im Netz zu entfachen, der den Eindruck erweckt, dahinter stünden viele Tausend.

Schließlich sei zum dritten die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Bürgerbewegungen zu führen, die etwa gegen Flüchtlingsunterkünfte protestierten und häufig von neofaschistischen Funktionären mitgetragen würden. Er freue sich darüber, daß es nicht nur in Dresden eine starke Gegenbewegung gebe, die sich diesen Aufmärschen entgegenstellt, dokumentiere dies doch, daß es gemeinsame Möglichkeiten gibt, gesellschaftlichen Widerstand zu entwickeln. Die entscheidende Frage sei, die Situation nicht nur zu beschreiben, sondern herauszufinden, an welcher Stelle Widerstand möglich ist. Die an staatliche Institutionen gerichtete Forderung, ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschen nachzukommen, sei kein bloßer Appell. Der Staat habe die Aufgabe, Geflüchteten eine menschenwürdige Unterkunft bereitzustellen, und wenn er dies nicht tue, sei er auch an diesem Punkt zu kritisieren.

Gleichzeitig gelte es, Gegensignale gegen den rechten Mob zu setzen. Als Beispiel führt Schneider eine Bustour an, die der VVN gemeinsam mit antifaschistischen Strukturen durchführt, um in Orten wie Freital, Heidenau und Riesa Präsenz zu zeigen. Dieser Widerstand müsse möglichst breit angelegt sein und mache daher eine offene Bündnispolitik erforderlich, die viele gesellschaftlich relevante Bündnispartner, unter anderem politische Parteien und Gewerkschaften, einbezieht. Hier gelte es auch, eine gesellschaftliche Gegenbewegung gegen den Abbau demokratischer und sozialer Rechte zu formieren, denn konkreter Antifaschismus bedürfe einer demokratischen Perspektive.

Die Inanspruchnahme staatlicher Gewalt müsse nicht bedeuten, dessen grundsätzliche Stoßrichtung zu verkennen, so Ulrich Schneiders Entgegnung auf die im Rahmen der Podiumsdiskussion vorgebrachte Kritik an der Einbeziehung von Sicherheitsbehörden in den Kampf gegen Nazis. Der bürgerlich-kapitalistische Staat habe in erster Linie etwas dagegen, daß die herrschenden ökonomischen und politischen Verhältnisse in Frage gestellt werden. Pegida tue dies nicht, sondern reagiere affirmativ auf das System, und zwar mit Protesten, bei denen sozial schwächere Menschen denunziert werden. aber sie stellen das System nicht in Frage. Der Staat wende sich mit seinen Machtmitteln in erster Linie gegen systemkritische Kräfte, also Linke.

Gleichermaßen bezweifelt Schneider die Relevanz der These, bei Pegida handle es sich um Fußsoldaten konkurrierender Kapitalfraktionen. Er könne die Zwangsläufigkeit einer solchen Verbindung oder Instrumentalisierung so nicht nachvollziehen. Selbstverständlich gebe es unterschiedliche Fraktionen des Kapitals, die sich auch in gegenseitigen Auseinandersetzungen befänden. Dennoch glaube er, daß faschistische und extrem rechte oder rechtspopulistische Bewegungen eine größere Eigendynamik und ein größeres Eigenleben hätten, als die These ihrer Steuerung von außen nahelege.

In dem Disput um eine Beteiligung von Sozialdemokraten an antifaschistischen Bündnissen sprach Schneider sich klar dafür aus. Er halte es für wichtig, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte in breite Bündnisse zu integrieren. Die Frage der realen Bündnisarbeit sei sehr kompliziert und stelle auch ein Problem dar, wenn etwa antikapitalistische Forderungen aus dem gemeinsamen Aufruf herausgestrichen würden. Angesichts der realen Kräfte der politischen Linken sei es jedoch dringend nötig, mehr Menschen einzubinden, um öffentlich signalisieren zu können, daß Nazis bei uns keinen Platz haben. Es gelte, Raum zu schaffen für eine gemeinsame Aktion, in der Kritiker des Kapitalismus ebenso präsent sind wie andere, für die das nicht zur Voraussetzung gemacht werden kann, um die Chancen auf einen Erfolg zu erhöhen.

Insgesamt bestehe das Problem, daß viele der sich im Moment spontan entwickelnden Antifagruppen zwar eine große Bereitschaft hätten, etwas zu tun, aber über ein relativ geringes theoretisches Wissensfundament verfügten. Um diese Herausforderung zu bewältigen, müßten Theoriedebatte und Theoriebildung nicht nur im Sinne der Perspektive, was Antifaschismus sei, fokussiert werden. Vielmehr gelte es, sich zuallererst klarzumachen, weshalb und gegen wen wir hier eigentlich agieren. Hier erkenne er tatsächlich große Defizite, auch angesichts dessen, daß relativ viele Gruppen aus jungen Leuten bestehen, die sich zum Teil erstmals in politische Bewegungen begeben. Ihnen heute einen Weg zu eröffnen, wie sie sich theoretisch und organisatorisch einfinden können, sei eine Herausforderung, bei der es um nichts geringeres gehe, als antifaschistische Bewegungen wieder neu auf den Weg zu bringen.

(wird fortgesetzt)


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19. November 2015


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