Schattenblick → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT


BERICHT/033: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (3) (SB)


Antifaschismus im Spannungsfeld widriger Interessen

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Sich in der Gemengelage ideologischer Wandlungsformen und Begriffsmutationen zurechtzufinden ist ohne historisch-materialistische Analyse immer weniger möglich. Nicht erst seit den Anschlägen von Paris ist zum Beispiel der Begriff des "Islamfaschismus" auf eine Weise salonfähig geworden, die Muslime generell dem Verdacht aussetzt, Feinde der liberalen westlichen Gesellschaftsordnung zu sein. Daß die Orientierung auf ein solches Feindbild keine genuin linke Errungenschaft ist, sondern Menschen auf den Leib geschneidert wird, deren optimale Verfügbarkeit für Staat und Kapital durch die Positionslosigkeit neoliberaler Apologie und den bloßen Schein einer Ideologiekritik gewährleistet wird, die im Endeffekt totalitarismustheoretische Affirmation produziert, ist keine Neuigkeit. Wie sich auch anhand durch die Cultural Studies inspirierter Identitätspolitiken zeigen läßt, werden klassenanalytische Fragestellungen und antikapitalistische Positionen häufig unter einen Ideologieverdacht gestellt, der sich an vermeintlich überkommenen Großkategorien wie Kommunismus und Sozialismus abarbeitet, um seinerseits herrschaftskonforme Interessen im Gewand postmoderner Subjektlosigkeit zu transportieren.

Auch wenn der gesellschaftliche Konflikt um geflüchtete Menschen bei oberflächlicher Betrachtung klare Frontlinien zwischen links und rechts aufweist, wird die Sache diffizil, wenn die grundlegenden Faktoren herrschender Vergesellschaftungs- und Subjektivierungsprozesse kritisch hinterfragt werden. So dringend antifaschistischer Aktivismus erforderlich ist, so unerläßlich ist die präzise Bestimmung dessen, was Faschismus ausmacht, welche Positionen unvereinbar mit ihm sind und welche nicht. Auch dieser Frage war die Podiumsdiskussion gewidmet, mit der die 20. Linke Literaturmesse eröffnet wurde. Nach den Stellungnahmen, mit denen Wolf Wetzel und Ulrich Schneider zur rechten Mobilmachung und dem dagegen gerichteten antifaschistischen Widerstand Position bezogen, folgt eine Zusammenfassung der Beiträge, mit denen sich die Autorin und Journalistin Susann Witt-Stahl zu Wort meldete.

"Neokonservativer Extremismus" kommt in den besten Kreisen vor

Für die Hamburger Aktivistin liegt das Hauptproblem des organisierten Antifaschismus dieser Tage in der weitgehenden Ausblendung des immanenten Zusammenhangs von Faschismus und Kapitalismus. War dieser in den Parolen der militanten Autonomendemos der 1980er Jahre allgegenwärtig, so scheint der Primat fundamentaler Gesellschaftskritik für die antifaschistische Bewegung dieser Tage kaum mehr zu gelten. Zugleich formiert sich um Pegida und AfD eine Rechte, die Züge einer Massenbewegung anzunehmen droht. Witt-Stahl hält es für wenig ratsam, all dies unter der Kategorie des Nazismus abzuhandeln, bedeute Faschismus doch viel mehr als Nationalsozialismus, der eine Erscheinungsform des Faschismus von diversen sei.

Heute ständen sich in der Bundesrepublik konkurrierende Kapitalfraktionen gegenüber, die ihre Interessen handfester als vor Beginn der manifesten Krise des Kapitals 2008 vertreten. Dies zeige auch die deutsche Beteiligung am aggressivem Expansionskurs von NATO und EU, die mit der Unterstützung militanter Nationalisten und Faschisten in der Ukraine durch die Bundesregierung einhergeht. Diese beschränke sich nicht auf politische und ideologische Rückendeckung, sondern gewähre den faschistischen Fußsoldaten dieser Kapitalfraktionen ganz materielle Handreichungen, die den Bürgerkrieg in der Ukraine anheizen.

Heute habe man es in der Rechten nicht nur mit Phänomenen wie den Reichsbürgern oder klassischen Konservativen zu tun, deren Nationalismus sich gegen die USA positioniert, als sei die BRD kein hegemonialer Akteur eigener Art. Witt-Stahl erwähnt auch die Kreise, die sich um Webseiten wie PI oder Achse des Guten scharen, oder die German Defence League, die auf jeder Pegida-Kundgebung mit ihren Fahnen präsent ist, ohne daß in den bürgerlichen Medien über sie berichtet wird. Es handelt sich um transatlantisch ausgerichtete Organisationen, die in der Mitte der Gesellschaft heimisch sind und großen Einfluß auf die bundesdeutsche Außenpolitik haben.

In Großbritannien, wo die Journalistin eigene Recherchen angestellt hat, ist in den Auseinandersetzungen um antimuslimischen Rassismus für diese Formation der Begriff des neokonservativen Extremismus entstanden. Ausgehend von einer Mittelschicht, die in der Krise des Kapitalismus um Klassenerhalt bangt, habe sich mit der English Defence League eine schlagkräftige militante Rechte gebildet, die kein Problem mit dem aggressiven Neoliberalismus US-amerikanischer Prägung hat. Im Umfeld der von neoliberalen Vorreitern wie Friedrich August von Hayek, Milton Friedman und Maggie Thatcher propagierten Marktwirtschaftsdoktrin entstanden in den Eliten neokonservative Netzwerke, deren Gedankengut nun in Großbritannen auf der Straße angekommen sei. Als deutsche Exponenten dieser transatlantischen Doktrin nennt Witt-Stahl im bürgerlichen Mainstream hochangesehene wie auch auf antifaschistischen Hochschultagen gerngesehene Prominente wie die Publizisten Henryk M. Broder oder Hamed Abdel-Samad.

Zu der in der Ankündigung der Podiumsdiskussion aufgeworfenen Frage nach den großen Spielräumen, die die Staatsorgane faschistischen Demokratiefeinden immer wieder einräumen, meint Witt-Stahl, daß dies deren Betriebszweck im postfaschistischen Deutschland sei. So habe die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen Pegida ihre Pforten geöffnet, und letztes Jahr hätten Politiker Schlange gestanden, um Pegida-Anhänger zu "verstehen". Bei Pegida versammelten sich Leute, deren politische Positionen so weit von denen der Regierungsparteien nicht entfernt seien. Es handle sich eben nicht um den rechten Rand, sondern die bürgerliche Mitte, die es wiederum nicht gebe, weil sie rechts stehe.

Für die antifaschistische Sache sei es auch wenig förderlich, die Klientel rechter Demagogen mit beleidigenden Parolen herabzusetzen und so den Nazis erst recht in die Arme zu treiben. Anstatt im Proletarier den Arier zu suchen gelte es, klassenanalytisch zu erfassen, daß der bürgerliche Mittelstand mit Teilen der Unterklasse ein Bündnis eingegangen ist, und den Klassenkampf wieder zur politischen Praxis zu machen. So sei jener Teil der Linken, der den Islamhaß mit übelsten kulturkämpferischen Parolen befeuert und sich dem neokonservativen Extremismus anbiedert, zu einem Teil des Problems geworden. Auch wer in islamfeindlichen Gruppen aktiv ist, könne sich Antifaschist nennen, daher bedürfe der Begriff der Präzisierung. Antifaschismus sei eine Bewegung, die die Ursachen des Faschismus im Blick hat und die bürgerliche Herrschaft als das erkennt, was den Faschismus immer wieder hervorbringt. Manche bürgerlichen Nazigegner hingegen wollten nur bestimmte Auswüchse des Faschismus bekämpfen, während sie vor anderen die Augen verschließen.

Als Ausdruck eines Paradigmenwechsels wertet Witt-Stahl das Phänomen, daß sich reaktionäre Bewegungen wie AfD und Pegida die antifaschistische Parole "Nazis raus" aneignen und sie auf Antifaschisten anwenden. Man dürfe nicht den Fehler machen, diese Bewegungen mit dem Blut-und-Boden-Denken der alten Nazi-Ideologie und einem Rassismus, der vor allem die Hautfarbe stigmatisiert, gleichzusetzen. Hier herrsche ein hochmoderner Kulturrassismus vor, dessen Aufkommen Adorno vor Jahrzehnten prognostiziert habe. Der Rassismus sei so in Verruf geraten, daß er neue Strategien entwickeln müsse, um massenfähig zu werden, lautete seine Analyse schon damals.

So komme der Kulturbegriff dem auch in den Medien anzutreffenden neokonservativen Extremismus sehr entgegen. Diese seien für diese Doktrin nicht nur anschlußfähig, sondern propagierten und produzierten sie sogar, etwa mit der unwidersprochenen Verwendung des Begriffs "Islamfaschismus". Wie sich die Nazis einst den Begriff Sozialismus zu eigen gemacht und gegen Sozialisten gewendet haben, so bemächtige sich die Rechte heute des Faschismusbegriffs und bringe ihn gegen Minderheiten und Linke in Stellung.

Hinsichtlich der Frage eines drohenden Faschismus in der Bundesrepublik ist Susann Witt-Stahl der Ansicht, daß es derzeit kein genuines Interesse des Staates an einer solchen Entwicklung gibt. Allerdings bestehe Interesse daran, den Faschismus am Leben zu halten, was in der postfaschistischen Genese der BRD angelegt sei, die sich fundamental von einer antifaschistischen Gesellschaft unterscheide. Die Autorin geht von einer historischen Kontinuität nach 1945 aus, in der man Faschisten und andere Rechtsradikale ab und zu von der Leine lasse, um bestimmte Politiken durchzusetzen.

So wurde gegen die Proteste, mit denen die Einführung des Arbeitsregimes Hartz IV bekämpft wurde, nach allen Regeln der Kunst der Kriminalisierung massiv vorgegangen. Ansonsten hätte sich eine Massenbewegung gegen eine zentrale Säule der Agenda 2010 formieren können, bei der es um Sozialkürzung, Deregulierung und Privatisierungspolitik ging. Während dies durchgeknüppelt wurde, ging die Polizei gegen rechte Pogrome mit angezogener Handbremse vor. Man brauche die Straßenpräsenz dieser Kräfte noch, um bestimmten Dingen wie dem Ausbau des autoritären Sicherheitsstaates Nachdruck zu verleihen. Dieser schreite auch im Schatten der Kämpfe gegen Nazis voran, wie die Repression gegen Linke zeigt, die vor dem antifaschistischen Aktivismus nicht Halt macht.

Faschismus als brutalster Form bürgerlicher Herrschaft könne man nicht entgegentreten, wenn die Integration des Antifaschismus in die Agenda des Neoliberalismus und die sich daraus ergebende Staatsfrömmigkeit nicht kritisiert und verhindert werde. Die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder und Fischer habe es geschafft, viele revolutionäre Impulse in der Antifabewegung schlichtweg zu neutralisieren. Zugleich seien neoliberale Ideologeme in die Linke implantiert worden, so etwa die Ablösung des Klassenkampfes durch den Kulturkampf. Die dabei tonangebende Totalitarismustheorie resultiere auch in einem aggressiven Antikollektivismus, der schon eine rechte Volksgemeinschaft wittert, wenn drei unzufriedene Menschen gegen Hartz IV protestieren. Die Diskreditierung des Kollektivismus, die, wie Witt-Stahl erläutert, in den neoliberalen Think Tanks der 1930er, 1940er Jahre zeitgleich mit dem Völkermord in Osteuropa erfolgte, sei eines der Ideologeme, die die linke Bewegung einfach durchgewunken und in ihre Strukturen habe einsickern lassen. Während das Kollektive dämonisiert wird, wird im Neoliberalismus das angeblich freie Individuum abgefeiert, also der verkümmerte, atomisierte und vereinzelte Mensch. All dies halte davon ab, Klassenanalyse zu betreiben und herauszufinden, wo eigentlich Freund und wo Feind steht.

In diesem Zusammenhang geht Witt-Stahl auch auf die heiß diskutierte Frage der Bündnispolitik ein. Strategische Bündnisse hält sie für absolut notwendig und unverzichtbar zur Abwehr akuter Gefahren für Menschen, die von Pogromen oder anderen Gewalttaten bedroht sind. Dabei könne man sich nicht den Luxus erlauben, erst einmal Grundsatzdiskussionen zu führen. Aber perspektivisch sehe sie die Praxis, Bündnisse desto mehr zu bejubeln, je breiter sie sind, durchaus kritisch. In Hamburg beispielsweise sei bei der Bildung eines Bündnisses gegen rechts im Vorwege vieles aus dem Aufruf zur Antifademo herausgefallen, was wie die Kritik an der NATO oder am Kapitalismus eigentlich unverzichtbar ist, aber die Freunde von der SPD oder den Gewerkschaften stören könnte. Was bliebe, seien von antikapitalistischer Grundsatzkritik bereinigte sozialdemokratisierte Bündnisse, in denen auch noch ein ausgeprägter Sozialchauvinismus vorherrsche.

Witt-Stahl spricht sich dafür aus, wieder unabhängige Kampforganisationen aufzubauen, was auch für die Gewerkschaften gelte, für die es an der Zeit sei, sich von der Arbeiteraristokratie der Sozialdemokratie zu emanzipieren. Wenn die antifaschistische Linke nicht die Kriege der NATO kritisieren und die Frage danach, wie die Bundesregierung faschistische Mordbrenner in der Ukraine unterstützen könne, stellen wolle, um niemanden zu verschrecken, dann werde sie irgendwann an ihrer eigenen Lebenslüge ersticken, so Witt-Stahl zum Abschluß ihrer erfrischend offensiven und mit viel Beifall quittierten Interventionen.


Berichte und Interviews zur 20. Linken Literaturmesse im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/030: Links, links, links - Getrennt publizieren, gemeinsam agieren ... (SB)
BERICHT/031: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (1) (SB)
BERICHT/032: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (2) (SB)
INTERVIEW/027: Links, links, links - strukturell faschistoid ...    Wolf Wetzel im Gespräch (SB)
INTERVIEW/028: Links, links, links - Neue Pläne ...    Susann Witt-Stahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/029: Links, links, links - Familiendämmerung ...    Gisela Notz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/030: Links, links, links - vom fernen Verwandten ...    Peter Betscher im Gespräch (SB)

23. November 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang