Schattenblick → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT


BERICHT/080: Richtige Literatur im Falschen - Industrieästhetik ... (SB)



Das besondere an der "deutschen Arbeitswissenschaft" war der Versuch, "die Seele des Arbeiters" zu gewinnen, einen "Kampf um die Arbeitsfreude" zu führen, anknüpfend an Luthers Berufsbegriff "ein neues Arbeitsethos" ins Werk zu setzen, "soziale Betriebsgemeinschaften" herzustellen, gar das Ziel eines "neuen Menschengeschlechtes" anzustreben.
Wolfgang Hien: Die Arbeit des Körpers [1]

Das Jahr der Schließung der letzten Kohlebergwerke im Ruhrgebiet wird mit vielen Austellungen rund um das Thema Kohle begangen, allen voran die große Schau "Das Zeitalter der Kohle" auf der Zeche Zollverein in Essen und das Gemeinschaftsprojekt der 20 RuhrKunstMuseen "Kunst und Kohle". Bei allem, was dort im Rückblick auf 250 Jahre Kohlebergbau an Rhein und Ruhr präsentiert wird, fällt auf, daß die Unterdrückung und das Elend, mit denen die Lohnabhängigen im Kohlebergbau wie der daran angegliederten Stahl- und Eisenproduktion konfrontiert waren, wenig bis gar nicht gewürdigt werden. Wer auf eine Sozialgeschichte des Bergbaus und der metallverarbeitenden Industrie im Sinne einer Geschichte der Arbeit von unten gehofft hat, muß zwischen den vielen Exponaten zur Technik- und Gesellschaftsgeschichte der Region wie den ästhetischen Impressionen der Kulturschaffenden, die das Thema Kohle vor allem naturgeschichtlich wie anhand der sinnlichen Eigenschaft des fossilen Materials entwickeln, schon sehr genau hinschauen, um fündig zu werden.

Dabei besteht angesichts der reichhaltigen Zeugnisse literarischer und historischer Art, die zu den Kämpfen der ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung ihrer Physis unter Tage wie an den Hochöfen vorliegen, kein Mangel, um eine solche Sozialgeschichte dem breiten Publikum verfügbar zu machen. Doch Bereitschaft einer von staatlichen wie privatwirtschaftlichen Fördermitteln abhängigen Kulturproduktion, sich den Zwangsverhältnissen industrieller Lohnarbeit und der Einbindung der Kohle- und Stahlindustrie in politische Zwecke zuzuwenden, scheint aus naheliegenden Gründen wenig ausgeprägt zu sein. So ist die 2007 gegründete RAG-Stiftung in beiden genannten Kulturprojekten maßgeblicher Förderer. Die mit 12 Milliarden Euro Stiftungsvermögen ausgestattete Nachfolgerin der RAG Aktiengesellschaft, deren einstige Hauptaktionäre E.ON, RWE und ThyssenKrupp zu den führenden Unternehmen der Region gehören, ist für die sozialverträgliche Beendigung der subventionierten Förderung von Steinkohle in Deutschland und die Übernahme der aus dem Bergbau entstandenen Ewigkeitskosten zuständig.

Darüber hinaus wurde die RAG-Stiftung mit der Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur rund um den Steinkohlenbergbau betraut. Ihr Hauptsitz befindet sich auf der Zeche Zollverein, die als UNESCO-Welterbe und Ziel von rund 1,5 Millionen BesucherInnen im Jahr damit wirbt, das "kulturelle Herz des Ruhrgebietes" zu sein. Sicherlich gibt es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem wenig gesellschaftskritischen Geist, mit dem die Geschichte der Kohle in ihrem finalen Jahr gewürdigt wird, und dem Einfluß institutioneller Förderer, zu denen auch diverse staatliche und kommunale Akteure gehören. Bedenkt man jedoch die eminente Bedeutung, die die Montan-, Stahl- und Chemieindustrie des Ruhrgebietes für die wirtschaftlichen und militärischen Ziele des deutschen Imperialismus seit Beginn des Kaiserreiches 1871 gespielt hat, dann kann die affirmative Würdigung dieses so bedeutenden Sektors industrieller Produktion im Rahmen deutscher Industrie- und Wirtschaftsgeschichte nicht erstaunen.


Zugang zur Zeche Zollverein - Foto: © 2018 by Schattenblick

Auf der Rolltreppe der Industriekultur
Foto: © 2018 by Schattenblick

So hat die mit Kohle befeuerte Schwerindustrie des Ruhrgebietes nicht nur das Rohmaterial für Kriegswaffen und Munition aller Art produziert. Die diesen fossilen Rohstoff einsetzende Chemieproduktion war auch für die Versorgung des Deutschen Reiches mit synthetischem Benzin, chemischen Kampfstoffen wie auch Stickstoffkunstdünger unentbehrlich. Anschließend war das schwerindustrielle Kapital maßgeblich am Aufstieg der NSDAP und der Etablierung des NS-Staates beteiligt. Die Dynastie der Essener Krupp-Familie war immer zentraler Zulieferer des deutschen Militarismus gewesen und zeigte als Nutznießerin von Sklavenarbeit im Zweiten Weltkrieg, daß die Ausbeutung durch Arbeit auch zur regelrechten Vernichtung von ArbeiterInnen gesteigert werden konnte.

Heute findet die Vertreibung, Ausbeutung und Vernichtung von Menschen durch den fossilen Extraktivismus vor allem im globalen Süden statt. Auch die fortgesetzte Verstromung von Steinkohle in der Bundesrepublik hat daran teil, wie insbesondere die Importe aus Kolumbien, aber auch auch der Türkei, China und Rußland belegen. Tausende von Menschen starben in Kolumbien an Konflikten, die in direktem Zusammenhang mit der Kohleförderung stehen. Im türkischen Soma starben 2014 über 300 Bergwerksarbeiter, und das war nur der Höhepunkt einer permanenten Gefährdung der Kumpel durch die reduzierten Sicherheitsmaßnahmen in den privatisierten Kohleminen des Landes [2]. In China wird ein Drittel der Kohle weltweit gefördert, doch die dabei gestorbenen Menschen machen mehr als zwei Drittel der im globalen Kohlebergbau gezählten Toten aus.


Auf der Bühne des Grup Yorum-Konzertes in Oberhausen am 28. Juni 2014 - Fotos: © 2014 by Schattenblick Auf der Bühne des Grup Yorum-Konzertes in Oberhausen am 28. Juni 2014 - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Den Bergleuten von Soma zum Gedenken ...
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Eine andere Sicht auf die Geschichte des Kohlebergbaus im Ruhrgebiet präsentiert der Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler Wolfgang Hien in seinem Buch "Die Arbeit des Körpers" [3]. Er berichtet über die erheblichen Gefahren der Arbeit im Bergwerk, die um die Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert bei 500.000 unter Tage arbeitenden Kumpeln jährlich etwa 1000 Todesopfer forderte. Die Unfallrate habe um ein Mehrfaches höher gelegen als in anderen Berufen, was zu zahlreichen Streiks führte, mit denen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen im Bergwerk protestiert wurde. Insbesondere staubbedingte Lungenerkrankungen wie Emphysem und Silikose waren weit verbreitet, wurden jedoch erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Berufskrankheit in der Bundesrepublik anerkannt.

Hien, der selbst umfassende Erfahrungen als Arbeiter in der Chemie- und Stahlindustrie gesammelt hat [4], weiß zudem von einer Kultur der Männlichkeit zu berichten, in der die Grenze individueller Belastbarkeit nach dem Motto "Gelobt sei, was hart macht" zu Lasten der davon betroffenen ArbeiterInnen ausgedehnt und überschritten wurde. Dieser maskuline Ethos brachte denn auch in den zuständigen Disziplinen der Arbeitsmedizin den Typus des "Schwächlings" hervor. Bis heute ist der proletarische Manneskult Quell gegen die Bestrebungen von Frauen wie LGBTIQ-Menschen, nicht nur mit Männern gleichzuziehen, sondern die patriarchale Geschlechterordnung grundsätzlich in Frage zu stellen, gerichteter Polemik.

So geht die im Ruhrgebiet zelebrierte Industriekultur konform mit einer Arbeitsgesellschaft, die insbesondere von der Sozialdemokratie mit einer Glorifizierung der Lohnarbeit befeuert wird, die das Problem kapitalistischer Entfremdung ebenso nachrangig behandelt wie die Zerstörung der Natur durch einen Produktivismus, der wie ein Motor, bei dem mit angezogener Handbremse Gas gegeben wird, immer heißer läuft. Der historische Niedergang der SPD gerade im Ruhrpott, wo die Partei in der alten BRD über ihre zuverlässigsten Stammwählerschaften verfügte, signalisiert, daß nach Aufkündigung des historischen Klassenkompromisses, der angesichts nicht mehr vorhandener Systemopposition gegenstandslos wurde, die Verhandlungsspielräume für sozialpartnerschaftliche Umverteilung immer enger werden.


Rights of Nature Tribunal im November 2017 in Bonn - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktion gegen fossile Energienutzung und Kohleförderung [5]
Foto: © 2017 by Schattenblick

Vor dem Hintergrund des neoliberalen Strukturwandels, der die Zentren der einst als "Arbeiteraristokratien" geltenden Kernbelegschaften der kohlefördernden und metallverarbeitenden Industrie mit sozialer Verelendung und prekärer Randständigkeit überzieht, macht es denn auch einige Mühe, die von Umweltgiften belastete und von der Schwerindustrie wie dem Kohlebergbau schwer gezeichnete Landschaft des Ruhrgebietes als Musterbeispiel kulturindustrieller Bewirtschaftung zu feiern. Zweifellos hat der Versuch, aus der Not der postindustriellen Arbeitsgesellschaft eine tourismusaffine Tugend zu machen, sehenswerte und kulturgeschichtlich bedeutsame Exponate hervorgebracht. Wenn die Musealisierung einer ganzen Region allerdings ein idealisiertes Bild der Vergangenheit hervorbringt, das insbesondere mit dem Mythos des sogenannten Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er Jahre den Anschein erweckt, in der BRD habe alles zum Besten gestanden, dann nimmt die systematisch erzeugte Geschichtsvergessenheit Formen einer kollektiven Amnesie an, die für das notwendige Umdenken in Richtung auf einen wachstumskritischen und sozialökologisch genügsamen Gesellschaftsentwurf wenig beizutragen hat.

Die vierte Ausgabe des Symposiums "Richtige Literatur im Falschen" fand in der Zeche Zollern in Dortmund statt, einem aufgrund seiner baulichen Beschaffenheit besonders sehenswerten Ort im Angebot des Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur. Um einen bildlichen Rahmen für das Bemühen um eine in sozialen Fragen fortschrittliche und den politischen Kämpfen der Zeit klar positionierte Literatur zu schaffen, werden die Beiträge des Schattenblicks zu diesem Treffen mit Aufnahmen von Orten im Revier illustriert, an denen die kulturelle Verwertung und künstlerische Ästhetisierung von Arbeit und Industrie beispielhafte Ergebnisse gezeitigt hat.


Industrieanlagen - Fotos: © 2018 by Schattenblick Industrieanlagen - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Blick auf die Zeche Zollverein
Fotos: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Wolfgang Hien: Die Arbeit des Körpers. Eine kritische Arbeitsgeschichte von der Hochindustrialisierung in Deutschland und Österreich bis zur neoliberalen Gegenwart, Wien 2018, S. 127

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1699.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar696.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0325.html und http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0418.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0109.html


6. August 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang