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SEEGRENZE/004: Boats4people zeigt Flagge - Seefront Europa (4. Teil) (B4p)


4. Juli 2012: Die "Oloferne" erreicht Sizilien

Boats4people Kommuniqué Nr. 3 und Bericht über Palermo vom 5. Juli 2012



Nach mehr als zwei Tagen Schifffahrt hat die Oloferne - unsere erste Mission auf See - die Küsten Siziliens am 04.07.2012 um 23:00 Uhr erreicht. Es wurde von Boats4people-AktivistInnen vor Ort begrüsst. Mit dieser Ankunft beginnt die zweite Etappe unserer Aktion, mit der wir die europäische Migrationspolitik öffentlich kritisieren wollen, die für den Tod von Boat-people im Mittelmeer verantwortlich ist.

An Bord sind zwei Dokumentarfilmende, zwei Journalisten, ein Vertreter von Angehörigen verschwundener Boat-people und drei internationale AktivistInnen, die sich für Reise- und Bewegungsfreiheit einsetzen. Die Ankunft in Sizilien ist für uns von grosser Bedeutung, denn hier sind nach wie vor Hunderte Flüchtlinge und MigrantInnen interniert, und hier wurden die Seeleute von Cap Anamur sowie die tunesischen Fischer Zenzeri und Bayoudh verurteilt, weil sie Boat-people gerettet haben.

Diese inhumanen und absurden Fakten versinnbildlichen den Widerspruch zwischen der Pflicht zur Rettung auf Meer, wie sie das internationale Recht fasst, und die Kriminalisierung der Hilfe für Boat-people.

Morgen abend ab 20:00 Uhr wird auf dem Foro Italico in Palermo eine Demonstration am Meer stattfinden, im Gedenken an die MigrantInnen, die auf dem Weg nach Europa gestorben oder verschwunden sind.

Die Oloferne wird am 7. Juli nach Tunesien aufbrechen, und gleichzeitig werden zahlreiche AktivistInnen die Fähre nach Tunis nehmen, um so die Forderungen von Boats4People weiterzutragen.

Nicanor Haon
Coordinateur de projet

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Bericht über den Aufenthalt in Palermo am 5. Juli 2012

Am 05.07.2012 hat ab 17 Uhr die angekündigte Veranstaltung (siehe Programm) mit ca. 100 Anwesenden stattgefunden - mehr als von den lokalen Leuten erwartet und bunt gemischt: b4p-AktivistInnen, JournalistInnen, lokale Leute und ein paar Flüchtlinge und MigrantInnen aus Palermo.

Der heutige Tag (5. Juli) hat auf Versammlungen einen Überblick zu den Abschiebeknästen auf Sizilien gebracht: Es gibt zwei Abschiebeknäste in Trapani, in der Nähe von Palermo: Vulpitta und Milo. Das sind die sogenannten Centro di Identificazione ed Espulsione (C.I.E.). Milo gilt als die "Mutter der C.I.E.", weil es das erste Modell gewesen war. Die Anstalten sind geschlossen konzipiert, die Leute sind also eingesperrt. Es sind kaum oder gar keine Flüchtlinge mehr untergebracht, die gerade in Italien angekommen sind, sondern vor allem TunesierInnen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben. Nach Verbüssen einer Haft z.B. wegen Drogenvergehen sollen sie abgeschoben werden, und dafür werden sie in der C.I.E. inhaftiert. Dort bleiben sie ohne Perspektive, da die tunesische Regierung nicht einwilligt, sie "zurückzunehmen". Vor allem diese wegen Straftaten Verurteilten gehen immer wieder auf die Barrikaden. Das ist der Hintergrund der regelmäßigen Aufstände in Vulpitta und Milo. Vulpitta ist derzeit wegen Bauarbeiten geschlossen.

Ein paar Details:

  • Nur 47% aller Insassen der C.I.E. werden abgeschoben, alle anderen bleiben mit ungewissem Ausgang drin.
  • Das größte Lager ist Mineo mit 1.600 Leuten, im Süden Siziliens. Mineo ist eine Sammeleinrichtung für diverse Haftanstalten, es gibt auch ein C.I.E. darin. Die anderen Anstalten unterstehen teilweise dem Zivilschutz, teilweise dem Innenministerium. Im Gegensatz zu Vulpitta gibt es aber auch Insassen, die das Lager verlassen können. Die nächste Stadt, Catania, ist 12 Kilometer entfernt.
  • Es gab in Italien eine grosse Debatte, ob z.B. JournalistInnen das Recht haben, Knäste und Lager zu aufzusuchen. Das wurde jetzt theoretisch gestattet.
  • Morgen geht eine Delegation von hier nach Milo. Es wird ein Abgeordneter reingehen, der zwei BegleiterInnen dabei hat. R. wird mitgehen, da dort fast nur TunesierInnen sind.
  • Die Bevölkerung hier ist eher teilnahmslos, was die Kämpfe um Migration angeht. Das betrifft auch unsere Aktivitäten. - Es gibt in Palermo diverse migrantische Communities, z.B. aus dem Sudan oder Bangladesh. Die sind hier seit Jahren und haben eine Aufenthaltserlaubnis, arbeiten prekarisiert oder sind selbständig.

Heute morgen um halb 10 Uhr kam das Boot "Oloferne" im Hafen an. Die Aktion ist angemeldet, die Hafenverwaltung hat einen besseren Liegeplatz nicht am Steg, sondern am Kai locker gemacht. Uns, die wir schon hier sind, haben sie mit zwei Transpis und Gerufe empfangen - klein und unspektakulär, aber nett.

Es fahren etwa ein Dutzend Leute mit. Heute Abend sind wir an der Piazza Santa Chiara in einer ehemaligen kirchlichen Notaufnahmestelle für MigrantInnen. Den ganz ruhigen, zentralen Ort haben wir vorher mit Ausstellung und Transpis verschönert. Es sollen am Abend acht Leute reden, darunter zwei für migrantische Gruppen, ansonsten JuristInnen aus Italien oder AktivistInnen. Morgen Abend gibt es eine Veranstaltung am nahen, städtischen Strand mit vielen vielen Kerzen, um auf die Ertrunkenen aufmerksam zu machen. Wegen des peacigen Charakters ist die nicht angemeldet. Neben zwei weiteren Booten sollte auch die "Oloferne" dafür in Sichtweite herausfahren. Wegen der Hafenregeln wird das aber nix.


Kontakt: contact@boats4people.org

Aufruf und Zeitplan der Kampagne (1. bis 19. Juli 2012)
siehe: www.boats4people.org

Mehr Infos unter:
http://www.boats4people.org
http://ffm-online.org/blog-2
http://www.afrique-europe-interact.net

Twitter und Facebook: Boats 4 People
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http://twitter.com/#!/ae_interact

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Quelle:
Presseerklärung der Boats4people vom 5. Juli 2012
und Bericht der Boats4people über Palermo vom 6. Juli 2012
E-Mail: contact@boats4people.org
Internet: www.boats4people.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012