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GRENZEN/125: Flüchtlinge in Griechenland - Überwintern im Zelt (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Nachricht aus der Redaktion München vom 15. Januar 2017

Flüchtlinge in Griechenland: Überwintern im Zelt


München - 15.01.2017. Das Mobile Info Team for Refugees in Greece [1] ist eine Gruppe von internationalen Aktivisten, die Geflüchtete in Griechenland juristisch bezüglich ihres Asylverfahrens berät. Sie haben in Zusammenarbeit mit Traveling light - Legal Team for the Protection of Refugees' and Immigrants' Rights [2] einen Bericht über die aktuelle Situation in den Flüchtlingslagern in Griechenland erstellt, der uns von DiEM25 [3] weitergeleitet wurde und den wir hiermit publizieren:

Überwintern im Zelt

Am Ende des Jahres 2016 befinden sich mehr als 62.000 Geflüchtete in Griechenland, 33.650 davon leben in Lagern auf dem Festland. Die meisten von ihnen sind auf Grund von Krieg und Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen und eine erhebliche Anzahl von ihnen ist besonders schutzbedürftig: Mehr als 1.200 unbegleitete Minderjährige wurden während der von der griechischen Regierung durchgeführten Vorregistrierung von Asylsuchenden identifiziert und weitere 3.500 sind Härtefälle anderer Art.

Die meisten dieser Menschen stecken auf Grund von besonders langwierigen Asylverfahren in Griechenland fest und viele von ihnen wurden zudem falsch über die Dauer der Verfahren informiert, was die Frustration noch zusätzlich steigert. Der Zugang zum Asylsystem ist schwierig, da das derzeit vorherrschende System, einen Asylantrag über Skype vorregistrieren zu müssen, nur bedingt funktioniert und es sehr lange dauert, bis Anträge aufgenommen und bearbeitet werden. Das bedeutet, dass viele Menschen, die darauf warten, mit ihrer Familie in anderen EU-Ländern zusammengeführt zu werden, oder die am Umsiedlungsprogramm der Europäischen Union ("Relocation-Programm") teilnehmen, ein bis zwei Jahre in Griechenland bleiben werden. Asyl in Griechenland zu beantragen, dauert mindestens ebenso lang.

Da es keinen anderen Plan für staatlich organisierte Unterkünfte als die Lager gibt (außer für Antragsteller des Relocation-Programms), ist es für viele die einzig verfügbare Option, in den Flüchtlingslagern zu bleiben. Diese als vorübergehende Notlösung präsentierten Lager, sind zu einer dauerhaften und längerfristigen Nicht-Lösung geworden.

Trotz einiger ungenügender Versuche die Lager winterfest zu machen, frieren immer noch tausende von Menschen in Zelten ohne Heizung, die meisten davon sind Frauen und Kinder. Im Sommer litten sie in denselben Zelten oder in alten Fabriken mit Wellblechdach, die zu Lagern umfunktioniert wurden, unter unerträglicher Hitze, Moskitos, Schlangen und Bettwanzen. Die Essensversorgung wird an private Caterer outgesourct und ist in der überwiegenden Mehrheit der Fälle von schlechter Qualität, ohne ausreichende Abwechslung und oft zu wenig. Spezielle Ernährungsbedürfnisse werden nicht berücksichtigt (zum Beispiel für Säuglinge, Kleinkinder oder bei Krankheiten wie Diabetes). Warmes Wasser zum Duschen, Kleider waschen oder Geschirr spülen wird in den Lagern nicht oder nur in unzureichender Menge zur Verfügung gestellt. Unter diesen Umständen ist es nahezu unmöglich, eine angemessene Hygiene zu gewährleisten, was zusammen mit der unzulänglichen medizinischen Betreuung dazu führt, dass sich eigentlich leicht zu behandelnde Krankheiten wie Erkältungen oder Durchfall ungehindert ausbreiten können. Darüber hinaus haben die griechischen Behörden die Erteilung von Sozialversicherungsnummern für Asylsuchende gestoppt. Diese sind notwendig, um Zugang zu kostenfreier Gesundheitsversorgung zu bekommen. Die ungeeigneten und gefährlichen Lebensbedingungen in den Lagern zwingen die Menschen dazu, jede Form von Privatsphäre oder Freiraum aufzugeben, was gemeinsam mit der allgegenwärtigen Zukunftsunsicherheit und den bereits auf der Flucht und im Heimatland erlebten Traumata den Leidensdruck massiv steigern kann. Viele leiden unter Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken, während psychologische Betreuung nahezu nicht vorhanden ist.

Zudem liegt die überwältigende Mehrheit der Lager in Industriegebieten, abgeschnitten von Wohngebieten, mit stark eingeschränktem Zugang zu medizinischer, rechtlicher oder sonstiger Hilfe, zu Arbeitsmöglichkeiten oder Gelegenheiten, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen, was für eine gelingende Integration zwingend notwendig wäre. In vielen Fällen gibt es zudem keine regelmäßig fahrenden öffentlichen Verkehrsmittel von und zu den Lagern. Diese befinden sich meist an viel befahrenen Straßen, was die ständige Gefahr, von einem Auto überfahren zu werden, mit sich bringt. Durch die große räumliche Distanz zu Unterstützer_innen, die Geflohenen solidarisch beistehen, sind die Lager ein leichtes Ziel für rassistische und rechtsradikale Angriffe, wie den im November verübten Brandanschlag in Chios, bei welchem die Polizei Berichten von Al-Jazeera zufolge kaum einschritt. Die Lager haben sich somit als unangemessene Art der Unterbringung erwiesen, in denen die Bewohner_innen verschiedenen Gefahren ausgesetzt sind, wo schutzbedürftige Personen wie alleinreisende Mütter oder unbegleitete Minderjährige sich unbeschützt und nicht sicher fühlen, wo Menschen ihr Leben verloren haben - wie vor kurzem, als beim Versuch das Zelt zu heizen, ein Mensch verbrannte.

Vor einigen Monaten räumte und zerstörte die griechische Regierung gewalttätig Unterbringungen für Migrant_innen in besetzten Häusern in Thessaloniki, mit der Begründung, Menschen vor dem Aufenthalt in gefährlichen Räumlichkeiten "beschützen" zu wollen. In derselben Zeit wurden "unregistrierte" Gruppen wie wir und Einzelpersonen, die Geflüchteten in Solidarität beistehen wollen (viele von ihnen waren die ersten, die sich engagierten, lange bevor die Behörden schließlich entschieden "einzusteigen"), aus den Lagern verbannt, angeblich auf Grund von "Sicherheitsbedenken". Ironischerweise sind diese "sicheren" und staatlich überwachten Lager die einzigen Orte, in denen Menschen tatsächlich sterben.

Trotz großer Mengen von Hilfsgeldern zur Lösung der "Flüchtlingskrise" (die Europäische Kommission beispielsweise hat seit April dem griechischen Staat, internationalen Organisationen und NGOs 198 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Lebensbedingungen zu verbessern) ist der Betrag, der bei den Betroffenen tatsächlich ankommt, völlig unzureichend. Geflüchtete werden gezwungen, unter unerträglichen Bedingungen auszuharren, entweder in einer ewigen Warteschleife auf dem Festland oder im Niemandsland der griechischen Inseln. Hilfsgelder könnten stattdessen dazu verwendet werden, Geflüchtete direkt zu unterstützen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst eine angemessene Unterkunft zu suchen, für sich selbst zu kochen und ein Leben in Eigenständigkeit und Würde zu führen.

Wegen all der aufgeführten Gründe und vielen, vielen mehr:

SCHLIESST DIE GRIECHISCHEN FLÜCHTLINGSLAGER

Traveling light - Legal Team for the Protection of Refugees' and Immigrants' Rights
Mobile Info Team

Einige Impressionen von der Situation in Griechenland, darunter auch Fotos von vergangenem Sommer unter
https://www.facebook.com/mobileinfoteam/


Anmerkungen:
[1] https://www.facebook.com/mobileinfoteam/
[2] https://www.facebook.com/Legal-Team-for-the-Protection-of-Refugees-and-Immigrants-Rights-734706123340688/
[3] https://diem25.org/home-de/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2017

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