Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → FINANZEN

SCHULDEN/024: Das Grünbuch der EU-Kommission zu Eurobonds (spw)


spw - Ausgabe 6/2011 - Heft 187
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Das Grünbuch der EU-Kommission zu Eurobonds

Von Arne Heise


Die Eurozone kommt nicht zur Ruhe: Kaum sind Maßnahmen zur Aufstockung des Europäischen Finanzmarktstabilisierungsfonds (ESFS) und die Konditionen für Griechenlands Beteiligung daran beschlossen, wird bereits darüber spekuliert, der ESES könnte zu klein sein, wenn weitere EU-Staaten Hilfen benötigen. Die weiterhin hohen Risikoprämien, die Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal zahlen müssen, wenn sie sich am internationalen Kapitalmarkt verschulden wollen, zeigen ebenfalls, dass die Finanzmärkte keineswegs beruhigt sind bzw. weiterhin die Bereitschaft zur Verteidigung der Eurozone anzweifeln und entsprechend testen. Erst wenn es keine berechtigten Zweifel mehr daran gibt, dass die EU-Staaten in Solidarität zueinanderstehen, wird die Spekulation auf ein Auseinanderbrechen der Europäischen Währungsunion (EWU) aufhören und alle EU-Länder sich wieder zu vernünftigen Konditionen verschulden können. Dazu allerdings müsste die Kakophonie der Stimmen handlungsmächtiger Akteure innerhalb von EU-Regierungen bzw. Regierungsparteien aufhören, die offen über den Ausschluss einzelner Länder aus der EWU nachdenken und zumindest die Solidaritätsbereitschaft innerhalb der Eurozone klar begrenzen wollen.


Das EU-Grünbuch 'Über die Durchführbarkeit der Ausgabe von Stabilitätsbonds'

Vor diesem Hintergrund, also der einzigen Chance zur Überwindung der Eurokrise mittels glaubwürdiger Solidarität, schlägt nun die EU-Kommission in ihrem neuesten Grünbuch die Ausgabe von Eurobonds vor, die sie 'Stabilitätsbonds' nennt. Merkmal dieser Stabilitätsbonds ist die Haftung mehrerer oder aller Staaten der Eurozone, womit einerseits eine starke Konvergenz der Risikoprämien aller beteiligten Länder auf dem durchschnittlichen oder einem gewichteten Risikoniveau (je nach Ausgestaltung) zu erwarten wäre, andererseits aber auch ein Anreiz zu unsolidem Haushalten (Moral Hazard) gegeben wird.

Die EU-Kommission schlägt 3 verschiededene Varianten vor: In der 1. Variante werden alle Schulden in der Eurozone vergemeinschaftet, indem alle EWU-Mitgliedsländer ihre nationalen Schuldverschreibungen in Stabilitätsbonds umtauschen, für die mehrere oder gar alle EWU-Mitgliedsländer gemeinsam haften. Künftig würden alle weiteren Schulden - entweder durch eine EU-Institution oder die nationalen Finanz- bzw. Vermögensbehörden - in Form der Stabilitätsbonds ausgegeben. Es wird erwartet, dass sich in dieser Variante die Risikoprämie auf ein gewichtetes Durchschnittsniveau aller Länder der Eurozone einpendeln wird - was offensichtlich jenen Ländern zu Gute kommt, die gegenwärtig überdurchschnittliche bzw. exorbitant hohe Zinssätze zahlen müssen. Andererseits müssten die Länder mit überdurchschnittlicher Bonität - wie z. B. Deutschland - höhere Zinssätze und damit eine höhere Zinslastquote und geringere Handlungsspielräume hinnehmen. Da diese Variante ein gewichtiger Schritt in Richtung einer Fiskalunion wäre, müsste natürlich auch die Koordinierung der Haushaltspolitik weiter fortschreiten. Die EU-Kommission betont deshalb, dass Variante 1 nur mit starker Einschränkung der nationalen Haushaltsspielräume vorstellbar wäre, da sich ansonsten alle beteiligten Regierungen misstrauen und ein solcher Vorschlag politisch kaum umsetzbar wäre. Klar ist, dass 'Koordinierung' in diesem Zusammenhang immer nur 'Restriktion' in Richtung eines ausgeglichenen Haushalts bzw. einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild impliziert - was eine gestaltende Finanzpolitik jenseits des Krisenvorbereitungsparadigmas institutionell verunmöglicht. Klar ist auch, dass diese Variante eine Änderung der Europäischen Verträge voraussetzt, was einen längeren Prozess erfordert und deshalb kaum als kurzfristige Lösung der Eurokrise erscheint.

In der 2. Variante werden nationale Schuldverschreibungen in Stabilitätsbonds nur bis zu einer vorher festgelegten Grenze der Schuldenstandsquote - z. B. die im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) festgelegten 60 Prozent des BIP - umgewandelt. Alle darüber hinausgehenden Schulden müssten weiterhin als nationale Schuldverschreibungen ohne gemeinschaftliche Haftung auf den internationalen Finanzmärkten aufgenommen werden. Es ist offensichtlich, dass nun das 'Moral Hazard'-Problem wesentlich geringer ist, weil die Gemeinschaftshaftung an Grenzen gebunden ist und darüber hinaus wieder die nationale Haftung mit entsprechend nationalen Risikoprämien zum tragen käme - und bei einer Haushaltspolitik jenseits der europäischen Koordinierungsvorgaben (z.B. des SWP) könnte als Bestrafung die festgelegte Grenze der Gemeinschaftshaftung sogar reduziert und damit die Sanktionswirkung des SWP erhöht werden. Andererseits dürfte diese Variante aber jenen Ländern kaum helfen, die bereits heute auf 'Eurobonds' des ESFS zurückgreifen müssen: Griechenland beispielsweise wird Ende 2011 eine Schuldenstandsquote von etwa 160 Prozent des BIP aufweisen. Selbst wenn durch die Stabilitätsbonds die eigenverantwortliche Schuldenstandsquote auf etwa 100 Prozent des BIP zurückgehen würde, würde dies die Risikoprämie Griechenlands kaum auf ein Maß reduzieren, dass von Griechenland nachhaltig getragen werden könnte.

Die 3. Variante der Stabilitätsbonds verabschiedet sich von der Gemeinschaftshaftung und ersetzt sie durch die gemeinsame Haftung mehrerer Länder nach einem vorher festgelegten Haftungsschlüssel. Abhängig davon, ob diese Stabilitätsbonds Haftungspriorität vor nationalen Schuldverschreibungen haben oder vielleicht durch weitere Sicherheiten unterlegt werden (z. B. Goldbestände), sinkt die Risikoprämie auf das durchschnittliche Risikoniveau der haftenden Länder oder nur auf das Niveau des haftenden Landes mit dem höchsten Risiko. Andererseits wäre das Moral Hazard-Risiko gering, da die Haftungsübernahme nicht automatisch erfolgt, sondern an feste Konditionen gebunden wird. Im Grunde können die vom ESFS bzw. dem später zu schaffenden Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ausgegebenen Schuldverschreibungen als Stabilitätsbonds nach Variante 3 angesehen werden - es zeigt sich, dass diese Variante sehr viel schneller - ohne Vertragsänderungen - umgesetzt werden kann bzw. eigentlich bereits heute verwendet wird.


Der Vorschlag des Sachverständigenrats

Auch der deutsche Sachverständigenrat (SVR) hat sich mit der Eurokrise und der Notwendigkeit befasst, die internationalen Finanzmärkte mit Blick auf die Zahlungsfähigkeit von Mitgliedsländern der Eurozone zu beruhigen. Anders als die EU-Kommission in Variante 2 wird hier aber die Vergemeinschaftung aller nationalen Schulden vorgeschlagen, die über die im SWP genannte Verschuldungsgrenze von 60 Prozent des BIP hinausgehen. Gekoppelt wird diese Schuldenvergemeinschaftung an einen verbindlichen Rückzahlungsplan, der einen Zeithorizont von 2-3 Dekaden haben kann. Dieser Vorschlag umgeht einerseits das angesprochene Problem der Variante 2 des EU-Grünbuchs, indem es effektiver die hohen Risikoprämien der 'Problemländer' in der Eurozone reduzieren würde. Andererseits ist es kein dauerhafter Governance-Mechanismus, sondern ausschließlich auf die gegenwärtige Krise bezogen.


Eine kurze Bewertung

Ohne glaubwürdige Signale an die internationalen Finanzmärkte, dass die EU unter allen Umständen bereit ist, die Zahlungsfähigkeit seiner Mitgliedsstaaten zu erhalten und die Europäische Währungsunion zu verteidigen, wird die Eurokrise nicht zu überwinden sein. Nach der Kakophonie der politischen Stimmen dürften nur Taten diese Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Die Vorschläge der EU-Kommission greifen diesen Tatbestand auf und gehen deshalb grundsätzlich in die richtige Richtung.

Alle Euro- oder Stabilitätsbonds-Modelle, die eine Gesamthaftung beinhalten - die Kommissionsvarianten 1 und 2 und der Vorschlag des SVR - leiden allerdings unter dem Problem, dass es zu einer effektiven Belastung jener Mitgliedsländer kommt, die von den Märkten als unterdurchschnittliches Risiko betrachtet werden. Ist dieser Umstand tatsächlich das Verdienst (der Regierungen) der entsprechenden Länder, wäre die in den Euro- bzw. Stabilitätsbonds enthaltene Bestrafung kaum zu rechtfertigen. Tatsächlich aber ist die Bildung der Risikoprämien an den internationalen Finanzmärkten nur schwer nachvollziehbar - die exorbitant hohe griechische Risikoprämie dürfte sich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der Unsicherheit über das Fortbestehen der EWU (ein Gemeinschaftskostenanteil) erklären, wie die niedrige und in den letzten Jahren sogar noch gesunkene Risikoprämie Deutschlands auch darauf zurückzuführen ist, dass verunsicherte Anleger 'sichere Häfen' suchen und somit der deutsche Finanzminister sogar noch von der Eurokrise profitiert. Dennoch lässt sich natürlich nicht bestreiten, dass unterschiedlich solide öffentliche Haushaltsführungen auch zu einer Differenzierung in den Risikoprämien führen sollen, die durch Euro- oder Stabilitätsbonds leicht eingeebnet werden können. Die Rechtfertigung gesamthaftender Stabilitätsbonds hängt deshalb von möglichen Alternativen ab: Das Auseinanderbrechen der Eurozone ist sicher keine akzeptable Alternative, die Nutzung von Eurobonds ohne Gesamthaftung oder auch die Finanzierung öffentlicher Defizite über die Europäische Zentralbank müssten sicher noch eingehender geprüft werden.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2011, Heft 187, Seite 46-48
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Wesfälische Straße 173, 44309 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de

Die spw erscheint mit 6 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-
Auslandsabonnement Euro 42,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2012