Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → FINANZEN

SCHULDEN/041: Die EZB als Nothelfer - aber kein Ausweg aus der Krise (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 37 vom 14. September 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die EZB als Nothelfer - aber kein Ausweg aus der Krise
Gegensätze in der EU werden stärker, aber sie bleiben sich einig: bezahlen sollen die "kleinen Leute"

von Georg Polikeit



Einundzwanzig zu eins - so lautete das Abstimmungsergebnis am 6. September im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) über den von EZB-Präsident Mario Draghi vorgeschlagenen unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder. So isoliert wie Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, war ein Vertreter Deutschlands in EU-Gremien bisher noch nie. Die großbürgerliche französische Tageszeitung "Le Monde" meinte, das sei auch eine "Missbilligung für Angela Merkel" gewesen.

Der Vorgang verdeutlicht die Tiefe der Meinungsverschiedenheiten und der dahinter stehenden Interessengegensätze, die sich mittlerweile zwischen den führenden Kapitalkreisen der verschiedenen EU-Staaten und ihrem jeweiligen politischen Personal entwickelt haben. Offensichtlich widerspiegelt sich darin eine breite Front gegen die von den Machthabern Deutschlands beanspruchte Führungsrolle und Deutungshoheit über den Kurs von EU und Euro-Zone. Das "deutsche Europa" das manche deutsche Politiker freudig propagierten, stößt auf Schwierigkeiten.

Zugleich werden in dem vieltönenden gegensätzlichen Echo auf den EZB-Beschluß auch in Deutschland selbst anhaltende Differenzen zwischen verschiedenen Kapitalgruppen und Politik-Clans sichtbar. Aus CSU und FDP und einem Teil der CDU gab es heftigen Widerspruch weil durch den EZB-Beschluß mit einem "ehernen Gesetz" deutscher Währungspolitik, nämlich dem absoluten Vorrang der "Geldwertstabilität" gebrochen worden sei. Sie fürchten, dass damit die Dogmen des monetären Neoliberalismus preisgegeben oder zumindest aufgeweicht werden. Demgegenüber erklärten Merkel und Schäuble und eine Reihe anderer Politiker und Medienmacher, wenn auch in gedämpfter Tonart und mit großen Einschränkungen, ein gewisses Einverständnis mit dem EZB-Beschluß, weil sonst "die Tage des Euro gezählt" gewesen wären, und damit auch die der EU insgesamt (Leitartikel der "Frankfurter Rundschau" v. 7.9.). Richtig begeistert zeigten sich hingegen die Börsianer, die mit einem wahren "Kursfeuerwerk" reagierten und den DAX-Index der deutschen Aktienkurse "auf Jahreshoch" hinaufkatapultierten. Sichtbar wird in dem Getöse erneut, dass es in den führenden Kapitalkreisen und politischen Machtzirkeln Deutschlands weiterhin zwei Linien gibt: eine, die den Euro auf jeden Fall "retten" will, weil sie ihn als Instrument ihres globalen Expansionskurses braucht und darauf nicht verzichten will, und eine andere, die befürchtet, dass das Risiko und der dafür zu zahlende Preis schließlich doch zu hoch werden könnte.

Bei all dem Mediengetöse darf aber nicht übersehen werden, dass hinter dem vom EZB-Rat abgesegneten Draghi-Vorstoß vor allem zwei Absichten stehen: erstens soll der Euro tatsächlich um fast jeden Preis gerettet werden - und zweitens sollen die Kosten dafür nicht die Profiteure dieses Kurses tragen; sie sollen weiterhin mit aller Entschiedenheit auf die arbeitenden Menschen in allen EU-Staaten und auch auf die Mittelschichten abgewälzt werden. Darin sind sich Draghi und Merkel auch mit ihren diversen "Widersachern" aus CSU und FDP oder den Kreisen hinter Herrn Weidmann völlig einig.

Das zeigt sich insbesondere an der "Konditionalität", an die Draghi und der EZB-Rat den vorgesehenen Aufkauf von Staatsanleihen aus den Euro-Staaten gebunden haben. Voraussetzung dafür, dass die Zentralbank in dieser Richtung in Aktion tritt, ist nämlich, dass die Regierungen, die das in Anspruch nehmen wollen, sich den gleichen Bedingungen wie bei einem Hilfeersuchen an den Euro-"Rettungsschirm" unterwerfen. Also einem von EU-Kommission, EZB und IWF diktierten "Sanierungsprogramm" zum Abbau von Haushaltsdefiziten mit entsprechenden Sparzwangs- und Privatisierungsvorgaben. Draghi betonte das ausdrücklich mehrfach auf seiner Pressekonferenz: die "Politik" also die Regierungen der Euro-Staaten müssten "mit großer Entschlossenheit die haushaltspolitische Konsolidierung, strukturelle Reformen zur Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und den Ausbau der europäischen Institutionen" vorantreiben. Ohne dies könne es keine Hilfe durch Anleihekäufe von der EZB geben.

"Haushaltspolitische Konsolidierung" heißt Abbau von Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Kulturausgaben. "Strukturelle Reformen" und "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit" heißt Ausbau von prekären Niedriglohn-Arbeitsverhältnissen, Deregulierung der Tarifverträge, Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Abschaffung von Kündigungsschutz, Durchsetzung von Lohndumping mit einem Lohnniveau, das sich dem Niedriglohnniveau in konkurrierenden Ländern aus der EU-Peripherie oder anderen Teilen der Welt "anpasst". Und "Ausbau der europäischen Institutionen" heißt Stärkung der Macht der Euro- und EU-Zentralen gegenüber den Mitgliedsstaaten, also weiterer Abbau von nationalen Souveränitätsrechten und Demokratie - der EU-Fiskalpakt lässt grüßen!

Es ist absehbar, dass die Ursachen der Euro-Krise auch mit dem unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Staaten durch die EZB nicht beseitigt werden. Bestenfalls können damit die Folgen der Krise für einige Euro-Staaten in Finanzierungsnöten vorübergehend etwas gedämpft und Zeit gewonnen werden - der Geld- und Zinsrückfluss aus Schuldenstaaten an Banken und Finanzhaie wird gesichert. Zuzustimmen ist deshalb der stellvertretenden Parteivorsitzenden der Linken, Sarah Wagenknecht, die sagte: "Mit dem frischen Zentralbankgeld wird im aufgeblähten Finanzsektor der Anreiz zum Zocken erhöht, und die EZB mutiert zur Giftmüllhalde für toxische Wertpapiere. Neuen Finanzkrisen wird damit Vorschub geleistet."

Natürlich steht dies im fundamentalen Gegensatz zu den Erfordernissen einer sozialen und ökologischen Wirtschaftsentwicklung in der EU. Für eine Bewältigung der Krisenfolgen unter Respektierung der Interessen der europäischen Völker ist ein ganz anderer Kurs erforderlich. Zu den wichtigsten Forderungen in diese Richtung gehört ein drastischer Schuldenschnitt, also Schuldenerlass für hochverschuldete Euro-Staaten, und zwar auf Kosten der Finanzkonzerne, die aus ihren Kreditgeschäften schon in den vergangenen Jahren Milliarden Profit gescheffelt haben. Erforderlich ist der Stopp der von EU und Euro-Zentralen vorangetriebenen unsozialen Kürzungs-, Privatisierungs- und Deregulierungsprogramme. Wer die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff bekommen will, muß sich für die Vergesellschaftung der Großbanken und Finanzkonzerne engagieren, die strikter demokratischer Kontrolle unterstellt werden müssen.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 37 vom 14. September 2012, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2012