Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


FRAGEN/020: Nach "Brexit" - "Noch mehr Konfliktpotenzial in der EU" (idw)


Universität Leipzig - 14.06.2016

Nach "Brexit": "Noch mehr Konfliktpotenzial in der EU"


Am 23. Juni werden die Briten darüber abstimmen, ob ihr Land Mitglied der Europäischen Union bleiben soll. Welche Auswirkungen hätte ein EU-Austritt ("Brexit") des Vereinigten Königreichs auf das Land selbst und auf die verbleibenden EU-Länder? Welche wirtschaftlichen Folgen könnte dieser Schritt haben? - Diese Fragen beantwortet Prof. Dr. Gunther Schnabl, der Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.

1. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Landes ein, wenn die Briten für den "Brexit" stimmen sollten?

Das hängt sehr davon ab, wie Großbritannien und die EU reagieren werden. Behalten beide Seiten die Freiheiten bei Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehr bei, dann wären die Auswirkungen für beide Seiten kontrollierbar. Ist der Brexit hingegen der Startschuss für einen Wettlauf für den gegenseitigen Aufbau von Handels- und Kapitalverkehrsbeschränkungen, dann wird das Wachstum im Vereinigten Königreich gebremst werden. Dies könnte die politischen Kräfte in Großbritannien weiter stärken, die für mehr politische Eigenständigkeit und wirtschaftlichen Nationalismus eintreten.


2. Welche Auswirkungen könnte ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union für Europa und Deutschland haben?

Würden sich das Vereinigte Königreich und die Europäische Restunion immer stärker voneinander abschotten, würde der Wohlstand auf beiden Seiten leiden. Zudem war das Vereinigte Königreich meist zusammen mit Deutschland - und einigen kleineren nordeuropäischen Ländern - ein Verfechter einer liberalen Wirtschaftsverfassung. Dies hat das Wachstum in Europa und damit die Akzeptanz des Europäischen Integrationsprozesses befördert. Tritt das Vereinigte Königreich aus der Union aus, würden sich im Europäischen Rat die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Länder verschieben, die für eine Zentralisierung von Macht im bürokratischen Brüssel und für eine Transferunion stehen. Damit kämen Themen wie die Vergemeinschaftung von Schulden und Einlagenversicherungen oder die gemeinsame Arbeitslosenversicherung wieder aufs Tapet. Das würde die Lasten für Deutschland nochmals erhöhen.


3. Was würde dies für den europäischen Integrationsprozess bedeuten?

Es besteht schon jetzt die Tendenz in Europa, Risse in der Europäischen Währungsunion dadurch zu kitten, dass die Europäische Zentralbank in sehr großen Mengen Staatsanleihen kauft. Dies hilft überschuldeten Ländern wie Italien oder Griechenland - aber auch allen anderen Regierungen - notwendige, aber politisch unliebsame Reformen zu vertagen. Ich würde erwarten, dass sich mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU eine großzügige Ausgabenpolitik, die mit der Geldpresse finanziert wird, noch stärker etablieren würde. Da die ultralockere Geldpolitik aber auch sehr unliebsame Nebeneffekte wie die versteckte Enteignung der Sparer, Blasen auf den Finanz- und Immobilienmärkten und ungerechte Umverteilungseffekte zugunsten der reichen Bevölkerungsschichten hat, dürfte es dann noch mehr Konfliktpotential in der EU geben. Die Errungenschaften des Europäischen Integrationsprozesses würden weiter untergraben und neue Exit-Diskussionen (Finxit, Czexit, Italexit etc.) würden folgen.

Weitere Informationen unter:
www.uni-leipzig.de/experten
www.uni-leipzig.de/~wipo

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution232

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Susann Huster, 14.06.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang