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ITALIEN/123: Proteste gegen Auszeichnung eines in Italien verurteilten SS-Kriegsverbrechers in Deutschland (Gerhard Feldbauer)


Proteste gegen Auszeichnung eines in Italien verurteilten SS-Kriegsverbrechers in Gemeinde Baden-Württembergs

Von Gerhard Feldbauer, 8. März 2016


Das antifaschistische Italien protestiert gegen die Ehrung eines SS-Kriegsverbrechers in seiner Heimatgemeinde Engelsbrand in Baden-Württemberg. Der mit der Medaille "Ehrenvoller Bürger" ausgezeichnete W. K. hat im Herbst 1944 als Angehöriger der Aufklärungsabteilung der 16. SS-Panzer-Grenadierdivision "Reichsführer SS" an dem in der Apenningemeinde Marzabotto an insgesamt 1830 Zivilisten verübten barbarischem Massaker teilgenommen. 2008 hat ihn ein Militärgericht in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Kommandeur der Abteilung, SS-Sturmbannführer Walter Reder, wurde 1951 in Bologna zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Jahr 1985 wurde er aus der Haft entlassen. Feldmarschall Kesselring, der als Oberbefehlshaber im Mittelmeerraum die Massenmorde anordnete, verurteilte ein britisches Gericht u. a. wegen der Kriegsverbrechen in Italien zum Tode. Das Urteil wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Im Rahmen der Einbeziehung des Wehrmachtspotenzials in die Nato wurde der Kriegsverbrecher 1952 begnadigt.

Die Proteste kommen vom Präsidenten der Regionalregierung der Emilia Romagna, Stefan Bonacchini, vom Vorstand des regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), von Parlamentariern, Bürgermeistern, den Partisanenverbänden, Parteien, Gewerkschaften und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur. Sie sind an Schärfe kaum zu überbieten. Die Bundeskanzlerin wird aufgefordert, einzuschreiten, von der deutschen Regierung Handeln verlangt, der deutsche Botschafter in Rom angeschrieben. Der Kultur-Assesor der Regionalregierung, Massimo Mezetti, schrieb, die "ungeheuerliche Ehrung" sei "eine Beleidung aller Italiener, die sich für die Überwindung der nazifaschistischen Vergangenheit einsetzen". Der Präsident des Komitees zur Ehrung der Opfer von Marzabotto, Walter Cardi, hat von Kanzlerin Merkel gefordert, diese "Ehrung" unverzüglich zurückzuziehen und erwartet, dass sie dieses Jahr einer Einladung zu den Ehrungen nach Mazabotto folgt.

Die römische Repubblica stellte einen mehrspaltigen Bericht unter die Schlagzeile "Deutsche Medaille für einen der Henker von Marzabotto ruft Empörung und Bestürzung hervor". Der "geehrte" SS-Mann sei an "einem der schlimmsten blutigen Verbrechen der Nazifaschisten in Italien beteiligt gewesen". Das Blatt erinnert daran, was vor 72 Jahren vom 29. September bis zum 5. Oktober in der Marzabotto geschah. Sie SS-Leute durchquerten die Ortsteile, brannten die Häuser nieder, töteten die Tiere und alle Einwohnern. Nur zwei sechs und acht Jahre alte Kinder haben das Massaker unter den Leichenbergen überlebt. Unter über 770 Opfern eines Ortsteils befanden sich 213 Kinder unter 12 Jahren, Einige waren nur wenige Wochen alt. 142 Personen über 60 Jahre, 316 Frauen und fünf Priester. Alles Zivilisten, es befand sich kein einziger Partisan in Marzabotto. Ein Pfarrer und die Gläubigen wurden während des Gottesdienstes in der Kirche eingeschlossen und mit Handgranaten getötet.

Es waren Vergeltungsakte für neun Deutsche, die in Gefechten mit der Partisanenbrigade Stella Rossa (Roter Stern) gefallen waren. Die deutschen Truppen wichen in diesem Gebiet vor den nach Norden gegen die Gotenlinie vorrückenden alliierten Truppen zurück. Die SS-Division zog nach der berüchtigten Taktik der verbrannten Erde quer durch die Toskana und massakrierte Tausende von Zivilisten.

La Repubblica erwähnt den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau, der sich 2002 in Marzabotto für das Kriegsverbrechen entschuldigte und erklärte: "Wenn ich an die Kinder und Mütter denke, an die Frauen und an die ganzen Familien, die Opfer des Mordens geworden sind, dann ergreifen mich Trauer und Scham". Auch Martin Schulz habe als Präsident des EU-Parlaments die Gedenkstätte für die Opfer besucht und sei erschüttert von der Brutalität der Nazi-Verbrechen gewesen.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2016

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