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ITALIEN/144: Verlischt in Rom ein Stern von M5S? (Gerhard Feldbauer)


Verlischt in Rom ein Stern von M5S?

Ihre Bürgermeisterin Raggi steckt in einer tiefen Krise

Von Gerhard Feldbauer, 20. September 2016


Das bisherige Scheitern ihrer Bürgermeisterin Virginia Raggi in Rom droht, sich zur Krise der Fünf Sterne-Bewegung (M5S) auszuweiten. Bei Meinungsumfragen ist die Protestpartei, die bei den nächsten Parlamentswahlen die Regierung stellen will, mit 28,8 Prozent über drei Punkte hinter Renzis Partito Democratica (PD) zurückgefallen. Vor drei Monaten war es noch umgekehrt. Am Wochenende hat Parteichef Grillo Forderungen nach einem Rücktritt Raggis zurückgewiesen und appelliert "die Reihen fester zu schließen".

Im Wahlkampf versprach die 38jährige Rechtsanwältin so gut wie alles, was in Rom nicht funktioniert, zu ändern: Eine effiziente Verwaltung herzustellen, mit der Korruption aufzuräumen, die vom Müll stinkende Stadt zu säubern, Ordnung im Verkehrschaos zu schaffen. Nichts hat sich bisher verändert, fast täglich melden sich enttäuschte Bürger zu Wort. Ihr Haushalts-Stadtrat und ihre Kabinettschefin sind zurückgetreten. Der von ihr eingesetzte Chef der Müllabfuhr und zwei Leiter der städtischen Verkehrsbetriebe ATAC haben aus Protest gegen ihren "Dilletantismus" den Hut genommen.

Gegen ihre Assessorin für Umweltschutz, Paola Muraro, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstosses gegen Umweltgesetze, Betrug und Verwicklung in organisiertes Verbrechen bei der Müllentsorgung. Sie habe "Verträge mit dubiosen Müllentsorgungsfirmen" geschlossen und über eine Million Euro "Beraterhonorare" kassiert, berichtete La Repubblica. Zur Schlüsselfigur des aufgdeckten Verbrecherkartells "Mafia Capitale", einem Salvatore Buzzi, der derzeit vor Gericht steht, soll Muraro Kontakte unterhalten haben. Obwohl der Slogan von "Legalität und Transparenz" ihre ganzen Wahlversprechen überlagerte, hat Raggi die Ermittlungen zunächst vertuscht und nur Luigi di Maio von der M5S-Leitung und Vizeparlamentspräsident informiert. Nach Bekanntwerden bezeichnete Di Maio, der bei den nächsten Parlamentswahlen gegen Premier Renzi antreten soll, das als eine von der PD in Szene gesetzte "unglaubliche Montage des Parteiensystems und der damit verbandelten Presse", musste dann aber laut der Hauptstadtzeitung Messaggero zugeben, die Verheimlichung der Ermittlungen auch erstmal gedeckt zu haben.

Dann kam ans Licht, dass Raggi in ihrer Biografie ihr Jura-Praktikum in der Anwaltskanzlei von Cesare Previtti, einem früheren Minister Berlusconis und Mitglied der berüchtigten faschistischen Putschloge P2, verschwieg. Previtti wurde 2006 wegen Bestechung von Richtern rechtskräftig zu sechs Jahren Haft verurteilt, die er durch eine Amnestie Berlusconis jedoch nicht antreten musste. In Previttis Kanzlei war es Praxis, wegen diverser krimineller Delikte Angeklagte wider besseres Wissen vor Verurteilungen zu bewahren. Hat sich das vielleicht auf Raggis Rechtsempfinden ausgewirkt, wird in Rom gefragt?

Ins rechtsextreme Rampenlicht geriet die M5S-Bürgermeisterin auch, als sie einen Raffaele Marra als Vize ihres Kabinetts übernahm. Der war schon unter Giovanni Alemanno von der faschistischen Alleanza Nazionale (AN) 2008-2013 Bürgermeister von Rom und auch mehrfach Minister Berlusconis, im Amt. Auch Alemanno steht als Mitglied der "Mafia Capitale" vor Gericht. Die AN aber hat sich inzwischen in Fratelli Italiens (FdI) umgetauft und mit über 20 Prozent ihrer Stimmen im ersten Wahlgang beim zweiten Votum Raggi zum Sieg verholfen, was den Verdacht nährt, ob sie sich erkenntlich zeigen wollte. Sie habe sich, so zitierte La Repubblica am Sonntag den von der M5S-Leitung zurückgetretene Roberto Lombardi, jedenfalls "mit zweilichtigen Gestalten eingelassen", die die Bewegung "infizierten".

Wie die Nachrichtenagentur ANSA am Montag berichtet, ist sich M5S auch bei der Bewerbung für die Olympiade 2024 nicht einig. Grilli hat Raggi, die bisher unentschlossen war, nun aufgefordert, im Stadtrat noch in dieser Woche ein klares "Nein" durchzusetzen.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2016

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