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ITALIEN/163: Die Protestbewegung Fünf Sterne versinkt in Rom im Mafia-Sumpf (Gerhard Feldbauer)


Die Protestbewegung Fünf Sterne versinkt in Rom im Mafia-Sumpf

Aber sie mausert sich zur Partei des Establishment

von Gerhard Feldbauer, 10. Februar 2017


Verwicklungen in Mafia-Skandale, Korruptionsaffären oder Vetternwirtschaft gehören praktisch fast zur Normalität einer bürgerlichen Partei in Italien. So gesehen mausert sich die von dem Komiker Beppe Grillo 2007 gegründete kleinbürgerliche Fünf Sterne-Bewegung (M5S) zur ganz normalen Partei des Establishment. Sie, die einst das kapitalistische System gar nicht radikal genug attackieren konnte, ist jetzt selbst im tiefen Korruptionssumpf gelandet. Vergangene Woche wurde die von ihr gestellte Bürgermeisterin von Rom, die 38jährige Rechtsanwältin Virginia Raggi (nach Raggio, der Strahl), verheißungsvoll "die Strahlende" getauft, acht Stunden von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Amtsmißbrauchs und von Falschaussagen zu den Vorgängen verhört. Zuvor hatte die Polizei Dokumente beschlagnahmt, um ihre Personalpraktiken zu untersuchen. Nach Medien-Berichten, so La Repubblica und die Nachrichtenagentur ANSA, ging es um die Verwicklung von engsten Mitarbeitern der Chefin des Campidoglio in das Mafia-Netzwerk ihres Vorvorgängers Giovanni Allemano von der faschistischen Alleanza Nazionale (AN), eines früheren Ministers von Ex-Premier Berlusconi und von 2008 bis 2013 Bürgermeister.

Im Juni 2016 kam "die Strahlende" im zweiten Wahlgang nur mit 20 Prozent Stimmen der aus der AN hervorgegangenen faschistischen Fratelli (Brüder) Italiens ins Amt. Angesichts der bekannten Rechtslastigkeit des Partei-Chefs Grillo fragten Beobachter, ob sich Raggi gegenüber ihren Förderern erkenntlich zeigen wollte. Zumal, was sie zunächst verheimlicht hatte, sie ihr Anwalts-Praktikum in der Kanzlei von Cesare Previti absolvierte, einem früheren Minister Berlusconis, der 2006 wegen Bestechung zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, die er nach einer Amnestie Berlusconis nicht antreten musste. Schwerer wiegt, dass sie wenigstens drei Mitarbeiter aus dem Stab Allemanos übernommen hat, der wegen Mitbegründung des "Mafia Capitale"-Clans derzeit mit 46 weiteren Komplizen vor Gericht steht. So hat Raggi einen Raffaele Marra zum Vize ihres Kabinetts ernannt, der unter Allemano Personalchef war. Dann stellte sie auch noch dessen Bruder, Renato Marra, ein. Zum Chef ihres Sekretariats berief sie einen Salvatore Romeo, auch bereits unter Allemano im Amt. Er soll, laut ANSA, für Raggi und weitere M5S-Aktivisten hohe Lebensversicherungen abgeschlossen und finanziert haben.

Nachdem der der Korruption beschuldigte Raffaele Marra im Dezember verhaftet wurde, trat Romeo zurück. Auch gegen die frühere Assessorin für Umweltschutz, Paola Muraro, die Raggi ebenfalls übernahm, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verwicklung in Verbrechen der "Mafia Capitale". Mitglieder der Stadtverwaltung von Raggi werden beschuldigt, für Aufträge an Bauunternehmer zur Renovierung von Schulen Bestechungsgelder von bis zu 20 Prozent der vorgesehenen Mittel genommen zu haben. Raggi will, so ANSA, bei der Vernehmung, von all den Vorgängen "nichts gewusst" haben. La Repubblica kommentierte, in Rom zeige sich, die Protestbewegung "ist unfähig" zu regieren.

Parlamentsvizepräsident Luigi di Maio, der bei möglichen vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni als Spitzenkandidat von M5S gegen die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) antreten soll, versuchte die Presseberichte in La Repubblica als "feindselig" abzutun. Parteichef Grillo hat sich bisher hinter Raggi gestellt und ihren Rücktritt, der auch in der Partei gefordert wird, abgelehnt, denn das könnte bei Wahlen Stimmen kosten. Ob das durchzuhalten ist, bleibt abzuwarten, denn am Donnerstag meldete ANSA, dass der Assessor für Städteplanung, Paolo Berdini, nach Bekanntwerden der "schweren juristischen Anschuldigungen gegen Raggi" zurückgetreten ist. Grillo versucht gegenzusteuern. Die EU-Ablehnung wird aufgegeben. Wenn er Flüchtlinge pauschal unter "Terrorverdacht" stellt und sie rasch abschieben will, zielt das auf noch mehr rechte Wähler.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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