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ITALIEN/182: Italiens vereinte Linke schrieb einst ruhmreiche Seiten der Geschichte (Gerhard Feldbauer)


Italiens vereinte Linke schrieb einst ruhmreiche Seiten der Geschichte

Die Revisionisten trieben sie in eine bis heute anhaltende Krise

von Gerhard Feldbauer, 21. Juni 2017


Vor dem G20-Gipfel in Hamburg stehen auch die Linken in Italien vor der Frage, wie sie in der Lage sind, sich dem Treiben dieses Staatenkartells, das in den eigenen Ländern und weltweit Hunderte Millionen Menschen in tiefstes Elend stürzt, den Frieden bedroht, Fortschritt und Demokratie untergräbt, entgegenzustellen. Einst schrieben sie mit den Kommunisten an der Spitze ruhmreiche Seiten der Geschichte. Sie bewirkten 1943 den Sturz Mussolinis und leisteten den entscheidenden Beitrag im Nationalen Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland. Die IKP stellte fast drei Fünftel der 256.000 Kämpfer der Partisanenarmee und die meisten der 206.000 örtlichen Partisanen (GAP). Mit über zwei Millionen Mitgliedern Führer der Arbeiterklasse und einflussreichste Kraft der Linken war sie für zwölf Millionen Italiener (34,4 Prozent Wahlberechtigte) 1976 die Verkörperung einer sozialistischen Zukunft.

Die Umwandlung der IKP durch die Revisionisten auf dem letzten Parteitag im Januar/Februar 1991 in einen sozialdemokratischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) stürzte die Linke in eine heillose Zersplitterung. Heute existieren drei Parteien mit kommunistischem Anspruch: Rifondazione Comunista (PRC), eine den Namen PCI (der alten IKP) führende und eine trotzkistisch orientierte Kommunistische Arbeiterpartei (PCL), daneben weitere kommunistische Gruppen, darunter die Zeitschrift Contropiano.

Die erste Spaltung war im März 1955 die Aufkündigung des 1934 mit der IKP geschlossenen Aktionseinheitsabkommens durch Pietro Nenni. Als die ISP 1963 in die Regierung der Democrazia Cristiana (DC) eintrat, gründeten Linke Sozialisten, darunter Lelio Basso und Emilio Lusso, eine Sozialistische Partei der Proletarischen Einheit (PSIUP). Aus Protest gegen die von IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer verfolgte Regierungszusammenarbeit mit der DC (Historischer Kompromiss) bildeten im November 1969 Dissidenten mit Rossana Rossanda die Zeitung Manifesto (die heute noch besteht). 1972 trat ein Teil der PSIUP der IKP bei, andere gründeten eine Partei der Proletarischen Einheit für den Kommunismus (PdUP), der 1974 Manifesto beitrat. Den Historischen Kompromiss lehnten anarchistische und APO-Organisationen wie Lotto Continua (20.000 Mitglieder) ab. Sie führten teilweise den bewaffneten Kampf gegen die faschistische Gefahr, distanzierten sich aber vom linksextremen Terror der Roten Brigaden.

Die 1991 formierten Linksdemokraten landeten im tiefsten Sumpf des Opportunismus. 2007 fusionierten sie mit der katholischen Zentrumspartei "Margherita" zum sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der sich zum "demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und der Bourgeoisie" bekannte. Der frühere rechte Christdemokrat Matteo Renzi, seit 2013 PD-Chef, versicherte dem Industriellenverband Confindustria, dass der Pakt "kein Gegenstand von Verhandlungen mit den Gewerkschaften" sein werde. Aus Protest dagegen verließen etwa 100.000 Mitglieder die PD. Ein Teil schloss sich der im Februar 2017 von der "Linken für Umwelt und Freiheit" (SEL) gebildeten "Sinistra Italiana" (SI) an. Die SEL war 2009 aus einer Abspaltung von der PRC entstanden.

2007 gründete der Ex-Komiker Giuseppe "Beppe" Grillo die als Protestpartei agierende Fünf Sterne-Bewegung (M5S). Mit ihrem demagogischen Auftreten gegen alle Parteien des Establishment gewann sie viele unzufriedene linke Wähler und erreichte bei den Parlamentswahlen 2014 25 Prozent.

Gegen Renzis autoritären Kurs wenden sich ein "Fortschrittslager" (Campo progressista) des ehemaligen Bürgermeister von Mailand, Giuliano Pisapia und eine "Demokratische und fortschrittliche Bewegung" (Movimento Democratico e Progressista) des früheren Premiers Massimo D' Alema.

Die Volksmassen Italiens beugten sich nicht der Repression. Im Juli 2001 vereitelten rund 300.000 Globalisierungsgegner während des G8-Gipfels in Genua den Versuch des faschistoiden Premiers Silvio Berlusconi, mit der blutigen Niederschlagung der Proteste ein offen terroristisches Regime zu errichten. Ihre Proteste zwangen Berlusconi im November 2011 zum Rücktritt. Im Dezember 2016 bereiteten sie Premier Renzi in einem Referendum zur Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer mit 68,5 Prozent Nein-Stimmen eine Niederlage, nach der er zurücktrat.

Was den Massen fehlt, ist, dass die Kommunisten zur Einheit zurückfinden und von ihren reichen Erfahrungen ausgehend ihren Beitrag zum gemeinsamen Handeln der Linken für demokratische und soziale Veränderungen leisten. Um dem zu entsprechen haben 2015 Hunderte Kommunisten appelliert, langfristig eine einheitliche Kommunistische Partei als Basis einer gemeinsam handelnden Linken zu schaffen. Den Aufruf unterzeichneten über 1.500 Kommunisten und Sympathisanten. Auf einer Tagung im Juni betonten sie, wir befinden uns nicht "auf einem triumphalen Marsch, aber wir schreiten voran".

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2017

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