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ITALIEN/209: Die Fünf Sterne-Bewegung will vom Protestieren ans Regieren (Gerhard Feldbauer)


Italiens Fünf Sterne-Bewegung will vom Protestieren ans Regieren

Doch für wen? Die Macht des Kapitals hat Beppe Grillo nie in Frage gestellt

von Gerhard Feldbauer, 30. Januar 2018


Die kleinbürgerliche Fünf Sterne-Bewegung (M5S), die der Komiker Beppe Grillo vor 9 Jahren als Oppositionspartei gründete, hat genug vom Protestieren und will jetzt regieren. Die Chancen dafür stehen gut und sind steigend. Seit November hat sie in den Umfragen um gut vier Prozent zugelegt und könnte mit 28 Prozent stärkste Partei werden. Eine Partei aber und nicht eine Koalition (bei der Berlusconi mit derzeit 35,7 Prozent vorn liegt) kann geltend machen, den Premier zu stellen, um eine Regierungsmehrheit zu finden. Die Entscheidung trifft Staatspräsident Sergio Mattarella. Was die Partito Democratico (PD) Matteo Renzis betrifft, ist die gegenwärtig mit 22,3 Prozent hoffnungslos zurückgefallen.

M5S-Chef Grillo, kann, da er wegen eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge verurteilt wurde, selbst nicht kandidieren. Ins Rennen geht sein Favorit, der 31jährige Journalist mit nicht abgeschlossenem Jurastudium, Luigi Di Maio. Die Fäden und auch alle Register zieht weiterhin Grillo, um an die Macht zu kommen. Gleich nachdem zu Jahresbeginn der Wahltermin 4. März bekannt gegeben worden war, erklärte Di Maio die Partei offen für Koalitionen mit allen Parteien. Wir werden "einen Appell an alle politischen Kräfte richten und Konsultationen einleiten", um "Italien nicht dem Chaos zu überlassen", so der Spitzenkandidat. Da die PD davon explizit weiter ausgeschlossen bleibt, bezieht sich das vor allem auf die rassistische Lega Matteo Salvinis und seine Verbündete, die Führerin der faschistischen Fratelli (Brüder) Italiens (FdI), Giorgia Meloni. Mit deren 20 Prozent Wählerstimmen kam im Juni 2016 bereits Virginia Raggi von M5S ins Bürgermeisteramt von Rom. Ein Absatz im Statut, der Koalitionen bisher untersagte, wurde gestrichen. Gleichzeitig öffnete M5S seine Kandidatenliste für Nichtmitglieder der Partei. Über Bord geworfen wurde auch die EU-Opposition. Es gehe nicht darum, "den Euro zu verlassen, sondern die Regeln zu ändern", gab Di Maio kund.

Aus Protest gegen den Wandel von der Protestbewegung zur systemintegrierten Partei haben in den letzten fünf Jahren (der Legislaturperiode) 40 Abgeordnete (19 im Senat, 21 im Parlament) M5S verlassen. Um einem weiteren solchen Abdriften entgegen zu wirken, hat Parteichef Grillo in der vergangenen Woche sogenannte "Ethikregeln" erlassen, die alle Kandidaten unterschreiben und sich verpflichten müssen, für eine M5S-Regierung zu stimmen. Wenn nicht, droht ihnen nicht nur der Parteiausschluss, sondern sie müssen, auch wenn sie die Fraktion verlassen, sich verpflichten, eine Geldbuße von 100.000 Euro zu zahlen. Das verstößt gegen Art. 67 der italienischen Verfassung, der lautet: "Jedes Parlamentsmitglied repräsentiert die Nation und erfüllt seine Aufgaben ohne imperatives Mandat". Grillo, der das ohne einen Leitungsbeschluss festlegte, stört das nicht im Geringsten. Ähnlich wie in der Bundesrepublik halten jedoch auch in Italien Verfassungsrechtler am "Grundsatz der Gewissensfreiheit" fest.

Die Mailänder Wochenschrift L'Espresso fragte am 8. Januar nach den Beweggründen der M5S-Bildung und im Interesse welcher Machtgruppen sie erfolgte. Die Zeitumstände sind aufschlussreich. Zwei Jahre vor der Gründung am 4. Oktober 2009, hatten sich die aus der IKP 1991 hervorgegangenen Linksdemokraten mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zur PD mit sozialdemokratischem Anstrich zusammengeschlossen. Ziel war eine Partei, die die Mitte besetzt. Die Kommunisten waren bei vorgezogenen Parlamentswahlen 2008 aus dem Parlament geflogen. 2006 hatten sie noch rund acht Prozent Stimmen erhalten. Etwa zeitgleich entschlossen sich führende Kapitalkreise, den abgewirtschafteten Regierungschef Berlusconi fallenzulassen, schrieb die Financial Times am 6. April 2010. Es wurde befürchtet, die PD könnte das entstehende Vakuum nutzen, um an die Regierung zu kommen. Nicht zufällig entstand als Gegengewicht M5S. Der Gründer Beppe Grillo, Schauspieler, Satiriker und Komiker hatte eine eigene TV-Show "Grillometro" mit zuletzt 16 Millionen Zuschauern moderiert. Wegen seiner scharfen Attacken auf Politiker aller Parteien flog er aus der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI. Es konnte kaum einen Besseren als Grillo geben, die von der PD-Fusion 2007 und der Niederlage der Kommunisten 2008 enttäuschten Millionen Linken aufzufangen. Unter dem Slogan "Vaffanculo", den man mit dem "Götz von Berlichingen"-Zitat übersetzt, startete er eine V-Day-Kampagne mit der er im Geburtsland des Begründers des Anarchismus, Michael Bakunin, auch Anhänger aus dieser Bewegung anzog. Sein täglich auf Italienisch, Englisch und Japanisch aktualisierter Blog "Technorati" war zeitweise in den Top Ten, der weltweit am meisten gelesenen wurde. Schon kurz nach der Gründung zählte M5S mehr als 50.000 Mitglieder, heute geschätzte 500.000. Bei der Teilnahme an Regional- und Kommunalwahlen 2010 bis 2012 belegte die Partei zahlreiche Sitze in den Gemeindevertretungen, stellte vier Bürgermeister, darunter in Parma, und zog in die Regionalparlamente in Piemont, Regio Emilia und Sizilien ein. Grillo gelang es, schrieb L'Espresso, "die Frustration und Wut der Bürger zu vertiefen, im Interesse einiger Machtgruppen (die nicht immer klar sind) und so die wichtigste politische Revolution in den letzten Jahren" zu starten. Dass er nie das kapitalistische System in Frage stellte, fiel kaum auf. Heute ist, so L'Espesso, M5S "ein Instrument, das für jeden Zweck und in jede Richtung manövriert werden kann".

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2018

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