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ITALIEN/299: 631 Tote durch Corona-Epidemie - 60 Millionen Einwohner faktisch unter Quarantäne (Gerhard Feldbauer)


Mit 631 Toten dramatische Ausbreitung der Corona-Epidemie in Italien
Regierung ergreift rigorose Maßnahmen

60 Milionen Einwohner faktisch unter Quarantäne

von Gerhard Feldbauer, 11. März 2020


In Italien hat sich die Corona-Epidemie dramatisch ausgebreitet. Nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur "ANSA" vom Mittwochmorgen ist die Zahl der Toten auf 631 angestiegen. Im Vergleich sind weltweit bisher 4000 Menschen der neuen Seuche zum Opfer gefallen. Über 10.000 Italiener sind infiziert, 877 auf Intensivstationen. 1064 Patienten befinden sich auf dem Weg der Erholung, berichtet "ANSA". Allein 168 neue Tote gab es am Dienstag, davon in der am schwersten betroffenen Lombardei 135. Am Montag waren es 97 gewesen und am Sonntag vorher 133. Gemessen an der Bevölkerungsdichte von 1,3 Milliarden in China und 60 Millionen in Italien, liegen die Opferzahlen in dem Mittelmeerland inzwischen höher. Unter den Infizierten befinden sich hohe Politiker wie die Präsidenten der Regionen Piemont, Alberto Cirio, und des Lazium, Nicola Zingaretti, gleichzeitig Chef der sozialdemokratischen PD.

Die Wirtschaft wird von Produktionseinbrüchen betroffen. Der Verkehr, vor allem der Air-Lines, unterliegt Einschränkungen. Internationale Zug- und Flugverbindungen sowie der öffentliche Nahverkehr sollen jedoch nicht unterbrochen werden. Laut "ANSA" kündigte Österreich allerdings an, ab Mittwoch die Brennergrenze zu schließen, nach Angaben Wiens bleibe sie nur für den Güterverkehr offen. Der Tourismus liegt am Boden. "ANSA" berichtete weiter, dass in ganz Italien aus Angst, die Nahrungsmittelversorgung könnte zusammenbrechen, Supermärkte gestürmt wurden. Die Regierung lehnte eine Schließung ab und teilte mit, die Lebensmittelversorgung sei gesichert. Nachdem der Insasse eines Gefängnisses im Modena infiziert wurde, kam es dort sowie in Frosinone, Neapel und insgesamt 27 Anstalten zu Häftlings-Revolten, bei denen 12 Insassen laut "ANSA" unter zum Teil noch nicht geklärten Umständen ums Leben kamen. Aus der Anstalt in Foggia flohen 50 Gefangene, aber dreißig von ihnen wurden in unmittelbarer Nähe von der Polizei gestoppt.

Die Regierung aus der PD und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) des parteilosen Premiers Giuseppe Conte hat rigorose Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Epidemie beschlossen, die vorerst bis Mitte März gelten, aber verlängert werden können. Die zunächst über Norditalien verhängte Quarantäne ist seit Dienstag auf ganz Italien ausgedehnt worden. Die rund 60 Millionen Einwohner sind aufgerufen worden, möglichst zu Hause bleiben und ihre Wohnungen nur verlassen, wenn sie sich zur Arbeit begeben, einkaufen gehen, einen Arzt besuchen oder alten und kranken Menschen helfen. Besuche von Freunden, Spaziergänge an andere Orte sind faktisch untersagt. Universitäten, Schulen und Kindergärten sind bis mindestens zum 3. April geschlossen. Landesweit mussten auch Kinos, Theater und Museen den Betrieb einstellen. Die Besuche bestimmter Fußballspiele wurden untersagt oder eingeschränkt, die Öffnungszeiten von Läden begrenzt. Restaurants und die bei Italienern beliebten Bars müssen um 18 Uhr schließen. Justizminister Bonafede teilte mit, dass auch laufende Prozesse bis Ende Mai verschoben werden können.

Zur Verstärkung der medizinischen Betreuung sind zahlreiche Ärzte im Ruhestand aktiviert worden. Insgesamt sollen 5000 spezialisierte Ärzte sowie 15.000 Krankenpflegekräfte zusätzlich eingestellt werden. Zur Sicherung der Maßnahmen, darunter zur sozialen Absicherung, kündigte die Regierung an, 7,5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. "Es gebe keine Zeit zu verlieren, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen", sagte Premier Conte am Montag auf einer Pressekonferenz zur Begründung der einschneidenden Maßnahmen. Am heutigen Dienstag soll per Dekret auch ein Versammlungsverbot in Kraft treten. Es werde "nicht nur eine rote Zone geben", sondern "es wird ganz Italien sein." Der Leiter der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat die Maßnahmen "kühne, mutige Schritte" genannt, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und das Land und die Welt zu schützen.

Der Vatikan teilte am Sonntag mit, dass er sich den Maßnahmen der Regierung anschließt und ließ die Vatikanischen Museen und auch die Sixtinische Kapelle schließen. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, ließ sich der Papst zum traditionellen Angelusgebet, das er sonst am Fenster des Apostolischen Palastes hält, nur kurz sehen und seine Predigt per Video auf dem Petersplatz übertragen. Auch die privaten Morgenmessen des Papstes werden vorerst nur noch per Video übertragen, teilte ein Sprecher mit. Im Kirchenstaat wurde bisher eine infizierte Person gemeldet.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2020

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