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ITALIEN/373: Jetzt sind die Rentner dran - 12 Prozent der Altersversorgungen unter 500 Euro (Gerhard Feldbauer)


Jetzt sind die Rentner dran

Nach Draghis Reform sinken die Altersversorgungen für 12 Prozent der Rentner unter 500 Euro im Monat

von Gerhard Feldbauer, 9. November 2021


Premier Draghi, der seit seinem Amtsantritt im Februar eine bis dahin beispiellose Ausbeutung der arbeitenden Menschen betreibt, plant einen neuen Coup. Mit Beginn 2022 soll eine Rentenreform in Kraft treten, nach der das bisherige Eintrittsalter von 62 Jahren bis 2024 auf 64 Jahre angehoben wird. Gleichzeitig sollen die Beitragsjahre von derzeit 38 auf 39 im Jahr 2023 und auf 40 Jahre 2024 steigen.

Bis jetzt gilt, dass, wer mindestens 62 Jahre alt ist und über 38 abgeschlossene Beitragsjahre verfügt, Rente erhält. Das Ganze wurde "Quota 100", die sich aus Alter und Beitragsjahren ergab, genannt. Dieses außerhalb Italiens gern "Rentnerparadies" genannte Zugeständnis verdeckte, dass angesichts der in Italien im Vergleich zu den anderen EU-Staaten besonders hohen Arbeitslosenrate und des Fehlens eines Sozialhilfesystems (wie in Deutschland) Millionen ältere Menschen nie eine Rente erhalten hätten und dass sie unter das ohnehin schon im sozialen Elend dahinvegetierende Millionenheer gefallen wären. Schon vor der Reform sind viele Menschen durch Arbeitslosigkeit etc. nie auf die erforderlichen 38 Beitragsjahre gekommen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 erhielten nach offiziellen Angaben von 268.599 Männern nur 124.246 eine "Frührente".

Ein weiterer Trugschluss besteht in der Annahme, dass die Altersversorgung in Italien höher läge als in anderen EU-Staaten oder gar die in Deutschland überträfe. Die Pläne Draghis betreffen 23,5 Prozent der 60,48 Millionen Italiener, die das Rentenalter erreichen. Nach Berechnungen des kommunistischen Online-Portals Contropiano werden 60 Prozent von ihnen weniger als 1000 Euro erhalten, davon 12 Prozent unter 500 Euro im Monat. Wenn jetzt Zahlen über eine Rentenhöhe von 1750 Euro herumgeistern, liegt das daran, dass es sich um Durchschnittswerte handelt, in die einfließt, dass bei 585.000 Rentnern (3,6% der Gesamtzahl) ein Einkommen von zusammengenommen über 40 Milliarden Euro die Basis bildet.

Mit der Rentenreform setzt der frühere EZB-Chef seine beispiellose Ausbeutung der arbeitenden Menschen fort. Sie wurde dadurch verdeckt, dass das Kapital während der Corona-Pandemie, um den Wirtschaftsrückgang aufzuhalten, gezwungen war, zum Erhalt der Arbeitskraft einige Zugeständnisse zu machen, so mit einem befristeten Entlassungsstopp. Er verhinderte nicht, dass u.a. 8.000 Beschäftigte der liquidierten Fluggesellschaft Alitalia auf die Straße gesetzt wurden. Laut dem staatlichen Statistikamt ISTAT wird im dritten Quartal 2021 mit einem Wachstum des BIP bis Jahresende um 6,1 Prozent gerechnet, während 53 Prozent der Beschäftigten neue Tarifverträge und Lohnerhöhungen verweigert werden. Und das, so das Amt, bei einer Preissteigerung, die im Oktober wieder 2,9 Prozent betrug.

Die großen Gewerkschaften GIL, CISL und UIL sind zwar dem von Draghi mit Confindustria-Präsident Bonomi verfolgten Sozialpakt für "Arbeit und Sicherheit" bisher nicht beigetreten, haben sich aber still verhalten. Während Draghi nun die "Frührente" streichen will, sieht der für 2022 vorgelegte Haushalt einer Forderung der faschistischen Lega Salvinis entsprechend für deren Unternehmer-Klientel mit der Streichung der regionalen Wertschöpfungssteuer (Imposta regionale sulle attività produttive - IRAP) ein Steuergeschenk von 8 Milliarden Euro jährlich vor. Das brachte das Fass zum Überlaufen.

CGIL-Generalsekretär Landini kündigte gegen die Rentenreform für Dezember einen Generalstreik an. Laut der Nachrichtenagentur ANSA hatte Bonomi die Stirn, das "Erpressungsschläge" zu nennen. Ein solcher Streik sei "nicht der Weg, die Probleme zu lösen", damit werde "das Gespenst eines Klassenkampfes" heraufbeschworen. Es sind, so Contropiano, "verdammte Gesetze, die viele Rentner ins Elend stürzen". Doch damit werden sich die Arbeiter nicht abfinden. Klassenkampf ist angesagt.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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