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ITALIEN/387: Gas-Abkommen mit Algier soll russische Importe ersetzen (Gerhard Feldbauer)


Gas-Abkommen mit Algier soll russische Importe ersetzen

Experten: das dürfte Jahre dauern

von Gerhard Feldbauer, 12. April 2022


Premier Mario Draghi und Außenminister Luigi Di Maio haben in Algier ein "Kooperationsabkommen für Energie und Gas unterzeichnet", berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Dienstag. Der staatliche Erdöl- und Energie-Konzern (ENI), der durch seinen CEO Claudio Descalzi vertreten war, habe mit dem staatlichen algerischen Mineralölkonzern Sonatrach vereinbart, die Gas-Lieferungen nach Italien auf "bis zu 9 Milliarden Kubikmeter Gas" zu erhöhen. "Italien verringert damit die Abhängigkeit von russischem Gas", erklärte Draghi nach einem Treffen mit dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune. Er bezeichnete die Vereinbarungen als eine wichtige Antwort auf "den Einmarsch in die Ukraine", der weitere folgen werden. Italien und Algerien wollen "die Zusammenarbeit auch in anderen Sektoren verstärken". Dazu werde auch der vierte Regierungsgipfel am 18. und 19. Juli in Algier stattfinden. Italien sei bereit, "mit Algerien zusammenzuarbeiten, um erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff zu entwickeln", um die "Energiewende zu beschleunigen".

Mit den Abkommen möchte die Regierung, wie Draghi beteuerte, "Bürger und Unternehmen vor den Folgen des Konflikts schützen". Dabei hatte auch der wirtschaftserfahrene frühere EZB-Chef Draghi noch im März eingeräumt, dass die Sanktionen schwere Auswirkungen auf Unternehmen und "vor allem auf die Aufrechterhaltung ihrer Produktion haben". Angesichts des Risikos, das dem Wirtschaftssystem "ein Protektionismus aufgedrängt" werden könnte, hatte er noch appelliert, die Ukraine und Russland sollten miteinander sprechen. Er ist offensichtlich inzwischen von Brüssel auf Linie gebracht worden. Ob das Gas-Abkommen die mit den Sanktionen auch in Italien ausgelöste Energiekrise mildern, geschweige denn lösen wird, ist mehr als fraglich. Der mit in Italien weilende Minister für ökologischen Wandel, Professor Roberto Cingolani, vermerkte zurückhaltend, von den von Algerien zugesagten neun Milliarden Kubikmetern Gas werden sofort nur drei Milliarden kommen, sechs erst 2023.

Führende Wirtschaftskreise sind nicht bereit, die von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen, zumindest was Gas betrifft, mitzutragen. Selbst der Präsident des Industriellenverbandes Confindustria, Carlo Bonomi, befürchtet, dass die Auswirkungen der Sanktionen die italienische Industrieproduktion zum Erliegen bringen könnten. Sie erlitt im ersten Quartal des Jahres bereits einen Rückgang um 2,9 % im Vergleich zum vierten Quartal 2021. Infolge der explodierenden Rohstoff- und Energiekosten mussten 16 Prozent aller Unternehmen bereits die Produktion reduzieren oder ganz einstellen. 30 Prozent drohe das gleiche Schicksal. In Russland habe die Einhaltung der Sanktionen zur Schließung von 447 italienischen Unternehmen, "die einen Umsatz von 7,4 Milliarden eingefahren haben", geführt. Deren Anlagenbestand betrage über 11 Milliarden Euro.

In seiner Regierung hat Draghi Mühe, die Proteste gegen seine Waffenlieferungen an die Ukraine und die Erhöhung der Militärausgaben, die von dem Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), seinem Vorgänger Ex-Premier Giuseppe Conte, kritisiert werden, im Zaum zu halten. In La Repubblica warnte Conte vor der Gefahr eines "hemmungslosen Wettrüstens" der westlichen Länder und erklärte, man müsse sich davor hüten, "in der Hoffnung, Russland zu bezwingen, die Beendigung des Konflikts hinauszuzögern". Conte zeigte sich besorgt, "ein Atlantismus alter Prägung mit Bekenntnischarakter" könne sich breitmachen, mit großem Schaden für Italien und Europa. Damit nicht genug, hat auch noch Ex-Premier Silvio Berlusconi, dessen faschistische Forza Italia in der Regierung sitzt, die Hypothese eines Embargos für russisches Gas zurückgewiesen mit den Worten: "Wir können es uns nicht leisten." Auch Lega-Chef Matteo Salvini ist im Interesse seiner Unternehmerklientel gegen harte Sanktionen und bremst bei Waffenlieferungen.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. April 2022

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