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ITALIEN/404: "Linke Mitte" liegt nach Stichwahl der Bürgermeister- und Kommunalwahlen vorn (Gerhard Feldbauer)


Bei der Stichwahl der Bürgermeister liegt linke Mitte vorn

Niederlage für Faschisten in Verona

von Gerhard Feldbauer, 28. Juni 2022


Bei der Stichwahl der Bürgermeister und Gemeinderäte in noch 59 Städten am Sonntag liegt die linke Mitte vorn, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Montag und nannte als herausragendes Ergebnis die Niederlage der Faschisten der Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni in Verona. Die knapp 260.000 Einwohner zählende Industrie- und Handelsstadt am Gardasee wird in Zukunft von dem früheren parteilosen Fußballstar Damiano Tomassi regiert, der 53,4 % Stimmen erzielte. Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) hatte ihn aufgestellt und für ihn ein breites Mitte-Links-Bündnis zu Stande gebracht. Der bisherige Amtsinhaber Federico Sboarina von FdI verfehlte mit 46,6 % den Wiedereinzug ins Amt. Den Erfolg der linken Mitte charakterisiert, dass sie in fünf der acht wichtigsten Städten - Piacenza, Alessandria, Parma, Monza und Cuneo - die Stadtoberhäupter stellt, die Faschisten nur in Coma, Luca und Gorizia.

Neben dem PD gehört zu "Mitte links" die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), aus der vergangene Woche die von dem Anführer der Rechten, Außenminister Luigi Di Maio, mit über 60 Parlamentariern gegründete neue Partei "Insieme per il Futuro" (Gemeinsam für die Zukunft) ausschied. Di Maio hatte aufgerufen, nicht mehr für die Kandidaten des PD zu stimmen. Die Wahlergebnisse zeigen dagegen, dass sich das noch nicht auf die Stimmabgabe auswirkte.

PD-Sekretär Enrico Letta erinnerte daran, dass die linke Mitte nach 15 Jahren in Verona wieder eine Mehrheit im Rathaus und den Bürgermeistersitz errungen hat, was er als ein Ergebnis des von seiner Partei eingeschlagenen Bündnisses "der Weitfeldstrategie" bezeichnete. Übersehen wird hier, dass der PD in Verona davon profitierte, dass die gespaltene extreme Rechte Melonis Bewerber nicht gemeinsam unterstützte. Das wird angesichts eines drohenden Wahlsieges des PD bei den Parlamentswahlen kaum so bleiben. Auch dürfte der PD viele Stimmen aus der rechts orientierten Mitte erhalten haben, so aus der Forza Italia (FI) Berlusconis, die sich angesichts ihres Absinkens in Umfragen auf noch 8,7 % lieber dem PD als möglichen Sieger bei den Wahlen im Frühjahr 2023 (Prognose 21,3 %) anschließen will. Nicht zufällig jubeln die großen supranationalen Zeitungen - La Repubblica, La Stampa, Corriere della Sea - deshalb über den "Vormarsch der linken Mitte", vermerkte Contropiano am Montag auf seinem Online-Portal.

Das linke Magazin verwies auch auf die niedrige Wahlbeteiligung, die von 54,11 % beim letzten Urnengang 2017 auf 42,16 % sank. Dass drei von fünf Wählern kein Interesse an der Abstimmung hatten, ist Ausdruck der Resignation vieler Wähler, die, wie eine von der Basis-Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) in Rom am Samstag veranstaltete Nationalversammlung der Beschäftigten klarstellte, in den Parteien der so genannten "linken Mitte", die mit den Faschisten der Lega und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi in der Regierung koexistieren, keine Interessenvertreter ihres Kampfes gegen ihre soziale Misere sehen. Wie diese sich weiter rapide verschlechtern wird, erfuhren sie vor dem Urnengang aus einem Bericht der Agentur Nomisma Energia, der informierte, dass ab 1. Juli Strom um 17 % und Gas um 27 % teurer wird, was heißt, dass eine typische Familie am Jahresende 194,4 bzw. 462 Euro mehr zahlen muss. So verdeutlichten die Kommunalwahlen "die wachsende Kluft zwischen der herrschenden politischen Klasse und der Bevölkerung", seien Ausdruck, dass "fast niemand mehr glaubt, dass Gemeinden die Politik oder zumindest kleinere Verwaltungsentscheidungen beeinflussen können", so Contropiano.

FDI-Chefin Meloni machte für die Niederlagen vor allem Salvinis Lega verantwortlich, der ihren Kandidaten in Verona ins Leere laufen ließ. Laut ANSA will sie sich aber mit Salvini treffen, um das "künftige Regierungsprojekt gemeinsam vorzubereiten". Aus Furcht, der sozialdemokratische PD könnte weiter Auftrieb erhalten, hält sie an ihrer Forderung fest, Lega und FI sollen sofort die Regierung Draghi verlassen, um die im Frühjahr 2023 anstehenden Wahlen vorzuziehen. Noch prophezeien Umfragen ihr mit 21,5 % den ersten Platz.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 2. Juli 2022

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