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ITALIEN/419: Scharfer Rechtsruck - Melonis faschistische Brüder Italiens stärkste Partei (Gerhard Feldbauer)


Wahlen in Italien - Scharfer Ruck nach rechts

Melonis faschistische Brüder Italiens erste Partei

von Gerhard Feldbauer, 26. September 2022


Bei den Parlamentswahlen am Sonntag haben nach Schließung der 61.566 Wahllokale um 23 Uhr nach vorläufigen Ergebnissen die faschistischen Brüder Italiens (FdI) Giorgia Melonis mit 26,6 % (Mittel aus Abgeordnetenkammer und Senat) den ersten Platz belegt. Damit rückt die drittstärkste EU-Macht scharf nach rechts. Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) Enrico Lettas belegt mit 18,1 % Platz 2. Das faschistische Bündnis kommt zusammen auf 44,12 %. Davon entfallen auf Melonis Konkurrenten Lega-Chef Salvini 8,26 %, auf Ex-Premier Berlusconis Forza Italia (FI) 8,26 %. In Sizilien wurde gleichzeitig ein neues Parlament und der Regionalpräsident gewählt, den die FI stellen wird.

Erste Kommentare, so Manifesto, führen an, dass Melonis Wahlsieg durch die gespaltene Linke Mitte befördert wurde. Als Hauptverantwortlichen nennt die linke Zeitung PD-Sekretär Letta, der ein Wahlbündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Ex-Premier Giuseppe Conte abgelehnt hatte. Letta kündigte an, auf dem einberufenen Parteitag, der den Kurs der Partei nach der Niederlage beraten soll, nicht für eine Wiederwahl anzutreten.

Conte gelang es nach der Abspaltung einer Rechtsfraktion von über 60 Parlamentariern unter Außenminister Luigi Di Maio überraschend gut, das Chaos in der Partei zu überwinden. Mit der Ablehnung der Unterstützung des Krieges in der Ukraine bis zum Sieg über Russland gelang es ihm, der Sternepartei 15,3 % zu sichern. Parteigründer Giuseppe Grillo nannte das ein "zufriedenstellendes" Ergebnis. Die mit Kommunisten vom PRC und den Verdi (Grünen) angetretene Sinistra Italiana (SI) kam auf 3,55 %. Der von dem Chef der Zentrumspartei Azione, Carlo Calenda, mit Renzis Lebendiges Italien (IV) und + Europa gebildete "Dritte Pol", der Draghi wieder ins Amt bringen wollte, erreichte nur 7,81 %. Obwohl annähernd 400 namhafte Persönlichkeiten - Wissenschaftler, Schriftsteller, der Verband Demokratischer Juristen bis zu früheren EU-Parlamentariern - appelliert hatten, die von Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) mit Kommunisten und Linken gebildete Unione Popolare (Volksunion) zu wählen, schaffte sie mit 1,2 % den Sprung über die 3 %-Hürde nicht.


Foto: Paul Hermans, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Der Palazzo Madama in Rom, Sitz des italienischen Senats
Foto: Paul Hermans, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Nachdem Premier Draghi im Senat über keine regierungsfähige Mehrheit mehr verfügte und am 21. Juli zurückgetreten war, hatte Staatspräsident Mattarella das Parlament aufgelöst und für den 25. September vorgezogene Neuwahlen angesetzt. Planmäßig hätten sie im Frühjahr 2023 stattgefunden. Für das Votum waren fast 51 Millionen Wahlberechtigte, davon 51 % Frauen, aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 51 %. 4,7 Millionen waren im Ausland zur Wahl aufgerufen.

Gewählt wurde nach dem Mischsystem von zwei Dritteln Verhältnis- und einem Drittel Mehrheitsrecht, nachdem der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt. Nach der Parlamentsreform standen von bisher 630 Sitzen in der Abgeordnetenkammer nur noch 400 und im Senat statt bisher 430 noch 200 zur Verfügung. Dafür traten für die Abgeordnetenkammer 1.310 Kandidaten in Einmann-Wahlkreisen und 2.788 in Mehrmann-Wahlkreisen, für den Senat 693 und 1.418 an. Dieses paradoxerweise einst unter dem damaligen PD- und Regierungschef Renzi eingebrachte undemokratische Wahlgesetz begünstigt Bündnisse und verschaffte so jetzt der faschistischen Koalition ein Übergewicht in den meisten Einmannwahlkreisen und damit eine Mehrheit, mit der sie die Verfassung zur Durchsetzung ihres Präsidialsystem ändern kann. Die faschistische Allianz verfügt mit 235 von 400 Sitzen in der Kammer und 112 von 200 im Senat über die absolute Mehrheit und kann Verfassungsänderungen durchsetzen.


Foto: Vlad Lesnov, CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0], via Wikimedia Commons

Der Palazzo Montecitorio, seit 1871 Sitz der Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments
Foto: Vlad Lesnov, CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0], via Wikimedia Commons

Meloni trat mit einer unterschiedlich breit gefächerten, demagogisch verbrämten Strategie an. Unter der Flamme Mussolinis sammelte sie die fanatischen Hardliner der Bewegung. Mit vorsichtigem Antieuropäismus, mit ja zur Souveränität der Völker, nein zu den europäischen Bürokraten lockte sie M5S-Wähler an ihre Seite und mit ihren Slogans "Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin", mit "ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby" wurde sie zu einem regelrechten Hort des italienischen Katholizismus.

Auf einer Pressekonferenz hat Meloni ihre grundsätzliche Linie nochmals bekräftigt: "Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby! Ja zur sexuellen Identität, nein zur Gender-Ideologie! Ja zur Kultur des Lebens, nein zum Abgrund des Todes! Ja zu den universellen Werten des Kreuzes, nein zur islamistischen Gewalt! Ja zu sicheren Grenzen, nein zur Masseneinwanderung! Ja zur Arbeit unserer Bürger, nein zur großen internationalen Finanzwirtschaft! Ja zur Volkssouveränität, nein zur Brüsseler Bürokratie! Ja zu unserer Zivilisation, nein zu denen, die sie zerstören wollen." Mit der Bemerkung, die Verfassung sei "schön, aber 70 Jahre alt" deutete sie ihre Absicht an, sie zu ändern, um den Weg für ein Präsidialregime frei zu machen.

Mit einer Verurteilung der Beteiligung Italiens an der chinesischen Seidenstraße als "einen Fehler" stellte sich Meloni in einem Interview für die Nachrichtenagentur CNA von Taiwan zwei Tage vor der Wahl zur Beruhigung der Atlantiker unter ihren Wählern schnell noch an die Seite der USA. Und sie fügte hinzu, für eine Mitte-Rechts-Regierung werde "Taiwan ein grundlegendes Thema sein", nannte "Chinas Gewaltdemonstrationen gegen Taiwan inakzeptabel" und forderte, die Europäische Union müsse "alle ihr zur Verfügung stehenden politischen und diplomatischen Waffen einsetzen" und "so viel Druck wie möglich ausüben", um zu verhindern, dass China einen militärischen Konflikt in der Meerenge "provoziert". Sie verfolge "mit Unbehagen" Chinas Vorgehen gegen Aktivisten in Hongkong, die Diskriminierung von Uiguren und anderen Minderheiten, die zweideutige Haltung gegenüber der russischen Invasion in der Ukraine. "Das ist ein inakzeptables Verhalten, das wir gemeinsam mit allen Demokratien der freien Welt auf das Schärfste verurteilen." Es werde für ihre Regierung "eine Priorität sein, dem Einfluss der autoritären Führer Russlands und Chinas auf dem Westbalkan und in Teilen Afrikas, des Indo-Pazifiks und Lateinamerikas entgegenzuwirken". Außerdem forderte Meloni mehr Unterstützung für die Ukraine. "Wenn die Ukraine verliert, werden die Folgen für uns alle sehr schwerwiegend sein."

Es sei jedoch nicht zu übersehen, dass die Wahl Melonis das "Ergebnis der gegenwärtigen und komplementären Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitskrisen" ist, in der sich der italienische Postfaschismus als "alternatives System" vorschlägt. Und die linke Zeitung warnte, nicht zu vergessen, dass die Postfaschisten immer danach strebten, der nach dem 25. April 1945 (Tag des bewaffneten Aufstandes) entstandenen konstitutionellen Demokratie den "endgültigen Stoß" zu versetzen.

Zu Argumenten, Meloni verkörpere keinen Faschismus mehr, äußerte die preisgekrönte sardische Schriftstellerin Michela Murgia, Mitbegründerin der "Initiative zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot", dass wir in Italien "schon mitten drin im Faschismus" sind: "Es ist ein Faschismus, der neue Formen entwickelt, die wir nur schwer durchschauen." Und der "Übergang" müsse gar nicht mehr mit "klassischer Waffengewalt erfolgen", denn "durch Manipulation der demokratischen Instrumente kann man ein ganzes Land faschistisch machen, ohne auch nur einmal das Wort 'Faschismus' auszusprechen". Das begann bekanntlich mit der von Berlusconi begründeten "Videokratie" und wurde von Salvini im digitalen Zeitalter auf Facebook, Instagram, Twitter, in Talkshows, in den klassischen Medien, den Sendungen des Rundfunks perfektioniert und für Meloni in den Mainstreammedien mit der stereotypen Voraussage ihres Wahlsieges fortgesetzt.

Laut Verfassung müssen bis spätestens 13. Oktober beide Kammern des Parlaments zur Wahl ihrer Präsidenten zusammentreten. Danach wird Staatspräsident Mattarella seine Konsultationen mit den Parteien zur Berufung des neuen Premiers beginnen, der generell der Partei auf dem ersten Platz zusteht.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 27. September 2022

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