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ITALIEN/421: Eklat in der faschistischen Koalition - Streit um die Plätze an der Futterkrippe (Gerhard Feldbauer)


Eklat in der faschistischen Koalition

Streit um die Plätze an der Futterkrippe
Berlusconis Forza Italia gegen Wahl von Melonis Senats-Präsidenten

von Gerhard Feldbauer, 17. Oktober 2022


In der Kampagne zu den Wahlen am 25. September hatten die Parteichefs der Brüder Italiens (FdI), Giorgia Meloni, Ex-Premier Silvio Berlusconi von der Forza Italia (FI) und Matteo Salvini von der Lega herzliche Übereinstimmung mit Umarmungen demonstriert. Jetzt zeigt sich, dass das meiste pure Heuchelei war. Die römische Zeitung La Repubblica berichtete, mit Fotos belegt, dass Berlusconi in Notizen seine Verbündete Meloni "eigensüchtig, anmaßend, arrogant und beleidigend" nenne, "man mit ihr nicht zusammenarbeiten kann", was, so Befürchtungen in der Koalition, bedeuten könnte, dass er seine FI auffordert, nicht der Regierung beizutreten.

Den Hintergrund bildet, dass der FI-Chef im Gerangel um die Plätze an der Futterkrippe - sprich die Posten der Präsidenten von Senat und Abgeordnetenkammer und Ministersessel - den Kürzeren gezogen hat. Nachdem Meloni nicht nur die Wahl Berlusconis, sondern auch noch eines anderen FI-Bewerbers an die Spitze des Senats abgelehnt hatte, stimmte er mit seinen Senatoren gegen den FdI-Kandidaten Ignazio La Russa, mit Meloni 2012 Mitbegründer der FdI. Mit den Stimmen aus der Opposition wurde der dann mit 116 Stimmen von 186 anwesenden Mitgliedern dennoch zum Präsidenten des Senats gewählt. Es tröstete Berlusconi, unter dessen Regierung Mussolini als "größter Staatsmann des Jahrhunderts" verherrlicht wurde, auch nicht, dass der laut Verfassung zweite Mann im Staate als seinen zweiten Vornamen den Mussolinis (Benito) führt, in seinem Wohnzimmer stolz Mussolini-Statuen präsentiert, im Parlament mit dem römischen/Hitlergruß auftrat und in der Corona-Epidemie die Italiener aufrief, statt der untersagten Handberührung den "Duce"-Gruß zu zeigen.

Auch bei der Wahl des Vorsitzes in der Abgeordnetenkammer wurde Berlusconis Vertraute Licia Ronzulli mit den Stimmen der FdI durch den Lega-Bewerber Lorenzo Fontana ausgebootet. Der Streit eskalierte, als Meloni auch noch ablehnte, Ronzulli als Ersatz ein Schlüsselressort in ihrer Regierung zu überlassen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA ließ Meloni verlauten, die Chance dafür sei nach der Entscheidung der FI, gegen La Russas Wahl zu stimmen, "gleich Null". Das linke Manifesto sieht die Lage sehr ernst, Berlusconi gehe aufs Ganze und es gehe um "den Tod der Mitte-Rechts-Partei-Koalition und auch um die Spaltung von FI".

Inzwischen versuchten "Meloni und Berlusconi, die Wogen zu glätten", um eine Spaltung der Mitte-Rechts-Koalition zu vermeiden" schreibt der Mailänder Corriere della Sera. Es sei ein Treffen vereinbart, wozu sich der FI-Chef aber zum Parteisitz Melonis begeben müsse. Laut ANSA werde Meloni, die erklärt hatte, nicht erpressbar zu sein, wohl doch nachgeben und der FI zum Ausgleich ein zusätzliches Ministerium geben. Die Zeit dränge, denn Staatspräsident Mattarella beginne am Montag seine Konsultationen zur Regierungsbildung mit den im Parlament vertretenen Parteichefs und Meloni müsse ihm dann ihre Ministerliste vorlegen, die er bestätigen muss.

Manifesto berichtet, dass in Mailand auf der Piazzale Loreto Antifaschisten gegen die Wahl La Russas protestierten und auf Plakaten an die unter dem Faschismus Mussolinis begangenen "Eroberungen, Massaker und Morde" erinnerten. Auf dem Platz waren am 29. April 1945 die Leichen von Mussolini und weiteren mit ihm von einem Partisanenkommando hingerichteten Faschisten mit den Köpfen nach unten aufgehängt worden. An demselben Ort hatten die Mussolinifaschisten am 12. August 1944 15 ermordete Geiseln so zur Schau gestellt.

In Rom ist in einem Büro der Brüder von Italien im links dominierten Garbatella-Viertel eine Inschrift gegen La Russa angebracht worden, die mit dem fünfzackigen roten Stern der Brigate Rosse unterzeichnet war. "Ein klarer Hinweis auf dramatische Jahre, die wir nicht noch einmal erleben wollen", so Manifesto.

Erwartungsgemäß haben laut ANSA Meloni und Berlusconi den Streit beigelegt. Der FI-Chef habe "einen Beinahe-Waffenstillstand mit der Anführerin der Fratelli d'Italia erreicht" und sie kündigten "gemeinsam an, dass die Mitte-Rechts-Partei an den Beratungen zur Bildung der neuen Regierung im Quirinale teilnehmen wird".

Manifesto dazu: "Silvio il Galante gibt sich leutselig, zeigt die verführerische Art und alles läuft reibungslos, bis zum letzten Hochglanzfoto, eloquenter als jede Pressemitteilung. Das glückliche Paar." Manifesto kommentiert: "Die Rechte konnte sich keinen weiteren Kampf leisten." Aber es ist "Berlusconis Kapitulation", der dass "akzeptieren muss", weil er "nicht länger der Souverän ist", auch wenn sein Widersacher in der FI, Antonio Tajani, als Außenminister und Vizepremier im Gespräch sei. Obendrein sei es ein Sieg der Lega, "die singt und feiert". Meloni könne nun beruhigt zu Mattarella gehen und ihre Ministerliste präsentieren.

Vor dem Gang zu Mattarella versucht Giorgia Meloni, mit ihrer Verurteilung der "Nazifaschisten" die Proteste gegen ihre Regierung zu unterlaufen. Die Ministerpräsidentin in spe distanziert sich von den historischen Wurzeln ihrer Partei: Sie hat die Deportation der Juden Roms im Oktober 1943 als "dunkle Stunde" bezeichnet und von einer "Furie der Nazifaschisten" gesprochen. So wird sie in Medien, darunter Südtirols, zitiert. Damit ziehe sie aber nun "den Zorn der Mussolini-Verehrer auf sich".

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 18. Oktober 2022

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