Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/440: Zweierlei Maß - Freispruch für Berlusconi, Anarchist Cospito in verschärfter Haft (Gerhard Feldbauer)


Italiens Justiz mit zweierlei Maß

Freispruch für Melonis Koalitionspartner Ex-Premier Berlusconi
Anarchist Cospito bleibt in verschärfter Haft

von Gerhard Feldbauer, 16. Februar 2023


Mit dem Freispruch des früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im so genannten Ruby-ter-3-Prozess von der Anklage des Sex mit minderjährigen Prostituierten und der Zeugenbestechung, erlebt Italien wieder einmal, dass seine Justiz mit zweierlei Maß urteilt. Denn zur selben Zeit lehnt der Justizminister der faschistischen Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Carlo Nordio, die Aufhebung der verschärften Haft nach dem "Artikel 41-bis" für den seit über 110 Tagen dagegen mit einem Hungerstreik protestierenden Anarchisten Alfredo Cospito ab.

Das Verfahren gegen Berlusconi lief unter dem Namen der damals minderjährigen marokkanischen Prostituierten Ruby Rubacuori, die mit weiteren 20 Frauen an Bunga Bunga-Partys genannten Sex-Orgien des amtierenden Premiers teilgenommen hatte. "Ruby Ter drei" war, wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Donnerstag berichtete, bereits das dritte Verfahren in Folge des 2010 publik gewordenen Skandals. Die Anklage hatte für Berlusconi 6 Jahre Haft gefordert. Berlusconi war vorgeworfen worden, mehrere Zeugen mit Geld, Schmuck und Gütern mit einem Wert in Millionenhöhe dazu gebracht zu haben, vor Gericht über die Partys in seiner Villa zu schweigen. Laut der Mailänder Staatsanwaltschaft gab Berlusconi für das Schweigen der Zeugen zwischen 2011 und 2015 zehn Millionen Euro aus. In ihrem Plädoyer forderten die Staatsanwälte in Mailand, Vermögen des Medienunternehmers in Höhe von 10,8 Millionen Euro zu beschlagnahmen.

Zum Hintergrund: Bei seinem ersten Regierungsantritt 1994 war Berlusconi nicht nur bereits vorbestraft, sondern gegen ihn waren von 13 bis dahin durchgeführten oder eröffneten Strafverfahren fünf noch im Gange. In einem Fall ging es 1998 darum, dass er seinem Busenfreund, dem Sozialisten-Chef Bettino Craxi, mit dem er zusammen im Dreierdirektorium der faschistischen Putschloge P2 Licio Gellis, eines aktiven Mussolini-Faschisten, saß, immense Geldsummen zugeschoben hatte. Er wurde in erster Instanz zu 28 Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Jahr vorher waren wegen Bilanzfälschungen 16 Monate gegen ihn verhängt worden. Mit der "Lex Berlusconi", die untersagte, gegen ihn zu ermitteln, verhinderte er die Fortführung der Verfahren wegen Bestechung, Führung von Tarnfirmen und illegalen Geldtransfers, sie wurden wegen Verjährung eingestellt oder kassiert. Auch gegen Berlusconis Klientel wurden 5.000 Strafverfahren eingestellt, in Hunderten von Fällen ging es auch um Mafiaverbrechen, illegalen Waffenhandel, Drogengeschäfte und Bandenkriminalität.

Senator Marcello Dell'Utri, die Nummer drei in der Geschäftsleitung der Fininvest Berlusconis, wurde in erster Instanz wegen Vertretung der Mafia-Interessen zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Im Prozess kam zur Sprache, dass die Mafia in den 70er Jahren in Mailand Berlusconis Personenschutz ausübte. Am 12. Mai 2014 wurden gegen ihn in letzter Instanz sieben Jahre Haft verhängt, die er im Sozialdienst verbüßte. Die Regierung des Ministerpräsidenten Gentiloni (PD) trat 2017 mit der Begründung, der viermalige Premier (zwischen 1994 und 2011) habe mit seinem Verhalten dem Ansehen der italienischen Regierung geschadet, als Zivilklägerin auf. Meloni, die von 2008 bis zu Berlusconis Fall 2011 Ministerin in seiner Regierung war und an deren jetziger Regierung die Forza Italia Berlusconis beteiligt ist, revidierte diese Entscheidung. In der Wahlkampagne war ihr vorgeworfen worden, diese Korruptions- und unmoralische Haltung ihres Regierungschefs nicht nur mitgemacht, sondern ihn mit seiner FI auch in ihre jetzige Koalition aufgenommen zu haben.

Alfredo Cospito lehnte als Anführer einer Gruppe "Federazione Anarchica Informale - Fronte Rivoluzionario" nach den Lehren Michael Bakunins (1814-1876), des Begründers des Anarchismus, in Italien Bakunismus genannt, jede Form von Macht ab und war der Meinung, dass Staat und Kapitalismus zu bekämpfen seien, auch mit Gewalt. 2012 hatte er den italienischen Manager des Atom- und Rüstungsunternehmens Ansaldo nucleare, Roberto Adinolfi, aus Protest gegen die Verwendung der Atomenergie überfallen und ihm dabei als Drohung bzw. Warnung gezielt in die Beine geschossen. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe zu den Bedingungen des "Artikels 41-bis" des italienischen Strafvollzugsgesetzes verurteilt. Mit einem "Sonderüberwachungssystem" ist es das härteste Gefängnisregime in Italien, das bis dahin nur für die Bestrafung von schweren Mafia-Verbrechen oder Terroranschlägen angewendet werden sollte. Die Ursprünge gehen auf ein Gesetz zurück, dass am 26. Juli 1975 - während der Spannungsstrategie, in der die CIA die radikalen Linken für den Terror manipulierte, während sie die IKP dafür verantwortlich machte, was heute auf den PD ausgedehnt wird - angenommen wurde.

Melonis Justizminister Carlo Nordio stuft laut ANSA zur gleichen Zeit, da Berlusconi freigesprochen wird, den Anarchisten Cospito als "gefährlich", orientiert an der "anarchistischen Galaxie", ein. Wenn seine Haft gemäß Artikel 41-bis "widerrufen wird", stehe der Mafia "der Weg offen". Deshalb "lehne ich den Widerrufsantrag von 41-bis ab". Diese Einschätzung werde durch die Stellungnahme des nationalen Staatsanwalts zur Bekämpfung von Mafia und Terrorismus bestätigt, "der die von Cospitos Verteidiger vorgebrachten rechtlichen Gründe für unbegründet hielt", erklärte Nordio in der Abgeordnetenkammer. Die Gefährlichkeit von Alfredo Cospito werde "durch die Vervielfachung von Einschüchterungsaktionen durch anarcho-aufständische Gruppen bestätigt. Seine Fähigkeit, die Kampfinitiativen der anarchistischen aufständischen Galaxie zu lenken, bleibt bestehen", sagte Nordio im Bericht an die Kammer.

*

Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. Februar 2023

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang