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SICHERHEIT/065: Rüstungskonzerne bemühen sich um EU-Zuschüsse für die Erforschung neuer Waffen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2010

Rüstung:
Konzerne wollen EU-Quellen anzapfen - Brüssel soll Forschungen finanzieren

Von David Cronin


Brüssel, 17. Dezember (IPS) - Rüstungskonzerne bemühen sich derzeit um EU-Zuschüsse für die Erforschung neuer Waffen. EU-Beamte und Vertreter der Waffenindustrie beraten Beobachtern zufolge hinter verschlossenen Türen darüber, ob ein milliardenschweres wissenschaftliches Rahmenprogramm auch militärische Projekte einschließen kann.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bemühen sich hochrangige Mitglieder der Europäischen Kommission darum, Rüstungsunternehmen stärker in das Forschungsprogramm einzubeziehen. Da einige EU-Staaten der Kommission kein größeres Mitspracherecht in Militärfragen einräumen wollen, haben sich die Forschungen über so genannte Sicherheitsfragen laut EU-Vertretern bislang auf den Zivilsektor beschränkt.

Für den Bereich "Sicherheit" des von 2007 bis 2013 geltenden Rahmenprogramms hat die EU etwa 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Gesamtbudget beträgt 53 Milliarden Euro. Da die Planungen für die nächste Programmphase von 2014 bis 2020 bereits im Gang sind, drängt die Waffenindustrie nun darauf, dass auch Vorhaben mit einem explizit militärischen Hintergrund gefördert werden.

Viele Lobbyisten der Rüstungsindustrie sehen die Forschungen als wichtige Geldquelle, zumal die Militärausgaben überall in der EU gekürzt werden. Obwohl die Nato fordert, dass ihre Mitglieder mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung investieren sollten, kamen bisher lediglich Frankreich, Griechenland und Großbritannien dieser Vorgabe nach.

Die derzeitigen Geheimverhandlungen über die mögliche Bezuschussung der militärischen Forschung werden von einem Netzwerks namens Sandera (Security and Defence Policies in the European Research Area) koordiniert.


Umstrittene Drohnen

Der deutsche Waffenlobbyist Burkhard Theile, der an den Gesprächen teilnimmt, wünscht sich eine bessere EU-Förderung für die Entwicklung neuer Drohnen. Diese unbemannten Luftfahrzeuge sind allerdings umstritten, weil Israel sie 2008 und 2009 gezielt bei Angriffen auf Zivilisten im Gazastreifen einsetzte. Die USA nutzen Drohnen zudem für extralegale Hinrichtungen in Pakistan, Afghanistan, Somalia und dem Jemen. Auch bei diesen Attacken wurden bereits zahlreiche Zivilisten getötet.

"Drohnen werden sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich eingesetzt", sagte Theile IPS. "Daher sollten sie von der EU mitfinanziert werden." Sie könnten beispielsweise bei Grenzpatrouillen oder Missionen wie der in Afghanistan eingesetzt werden, erklärte der ehemalige Vizepräsident des Konzerns Rheinmetall.

Der Sandera-Koordinator Andrew James, der an der Manchester Business School unterrichtet, rechnet allerdings mit Widerstand aus den Reihen der EU-Staaten, sollte die Europäische Kommission stärkere Befugnisse in der wissenschaftlichen Forschung erhalten. "Einflussreiche Interessensvertreter in Brüssel und an anderen Orten hätten gern höhere Zuschüsse für den Verteidigungssektor, nicht zuletzt deshalb, weil die Rüstungsausgaben in der EU zurückgehen", sagte er. "Das ist allerdings politisch umstritten."

Die Arbeit von Sandera wird bisher nicht als Sicherheitsprojekt, sondern im Rahmen der Forschungen über Sozial- und Gesellschaftswissenschaften finanziert. Wissenschaftler an der Freien Universität in Berlin haben bereits Befürchtungen geäußert, dass das Programm sich immer weniger auf soziale Fragen konzentrieren könnte.

Tanja Börzel, die den Lehrstuhl für Europäische Integration innehat, beklagte in einem Bericht, dass EU-finanzierte Forschungen in der Sozialwissenschaft oft von privaten Unternehmen beeinflusst werden. Obwohl etwa die Hälfte aller Wissenschaftler an den führenden europäischen Hochschulen im Bereich der Sozialwissenschaften arbeite, stelle die EU dafür bislang lediglich zwei Prozent ihrer Forschungsförderung bereit.


NGO befürchtet Interessenkonflikt

Ben Hayes von der Nichtregierungsorganisation Statewatch warnte vor einem großen Interessenkonflikt, wenn die Rüstungslobby mehr Mitsprache bei Forschungsprojekten bekäme. "Sie entwickeln ihre Güter mit Hilfe von Steuergeldern und verkaufen sie dann wieder an den Staat", kritisierte er.

Laut Mark English, dem EU-Sprecher für den Bereich Wissenschaft, rechnet die Europäische Kommission mit einer Erhöhung der Zuschüsse für soziale Forschungen von 84 Millionen Euro im kommenden Jahr auf fast 111 Millionen Euro 2013. Zugleich bestritt er, dass über den Einsatz von EU-Mitteln für die Rüstungsforschung diskutiert werde.

Eine im Oktober vom Europaparlament veröffentlichte Studie belegt jedoch, dass die Waffenindustrie bereits große Erfahrung damit hat, sich Finanzmittel aus dem EU-Budget zu sichern. Nutznießer sind demnach vor allem die großen Rüstungskonzerne, die an der Definition der von Brüssel unterstützten Sicherheitsforschungen mitgewirkt haben. Zu den größten Geldempfängern gehören der Studie zufolge das israelische Unternehmen Verint, dass Überwachungsanlagen baut, die deutsche Firma Fraunhofer und der französische Rüstungskonzern Thales. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.sandera.net/
http://www.statewatch.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53891


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010