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WIRTSCHAFT/026: Europäischer Gerichtshof stärkt Mitspracherecht der EU-Mitgliedstaaten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

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Rechtsschlappe für die EU-Kommission
Europäischer Gerichtshof stärkt Partizipation der BürgerInnen und Mitspracherecht der EU-Mitgliedstaaten

von Nelly Grotefendt


Mai war ein bewegter Monat für die Handelspolitik der Europäischen Union (EU). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußerte sich gleich zu 2 Fällen im Bereich der Handelspolitik. Zumindest ein Richterspruch, nämlich gegen die Klage zur Rechtmäßigkeit der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft EU-USA) und CETA (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada) aus dem Jahr 2014, kann als klarer Erfolg der Anti-TTIP- und CETA-Bewegung Europas verbucht werden. Die zweite Meinung des EuGHs, Opinion 2/15 zum Freihandelsabkommen EU-Singapur (EUSFTA), wonach dieses nicht ohne die Zustimmung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten vollständig abgeschlossen werden kann, führt außerdem zu reichlich Spekulationen über die Zukunft der EU-Handelspolitik: Ist die Mitbestimmung der EU-Mitgliedsländer gestärkt oder wird die EU-Kommission sich zukünftig einfach nur mehr auf ihre Kompetenzen konzentrieren?

Die Opinion 2/15 erhielt reichlich Aufmerksamkeit in der Presse. Kein Wunder - immerhin wird sie erhebliche Auswirkungen auf zukünftige Handelsabkommen der EU haben, aber auch auf Abkommen, die bereits abgeschlossen und im Ratifizierungsprozess sind, wie etwa CETA. Für Letzteres zeigt die Meinung des EuGHs klar, dass auch dieses Handelsabkommen vor einem Inkrafttreten von den Parlamenten aller EU-Mitgliedstaaten abgesegnet werden muss. In Deutschland werden sowohl Bundesrat als auch Bundestag darüber abstimmen müssen. Dies ebnet nun auch offiziell den Weg für ein Vetorecht der nationalen Parlamente gegen "moderne" EU-Handelsabkommen, bei denen es um mehr als nur um reine Handelspolitik geht.


Schwerer Rückschlag für EU-Kommission

Für die EU-Kommission ist das insofern ein herber Rückschlag, da es trotz erheblichen politischen Ringens um den "gemischten" Charakter von CETA bisher keine Klarheit über eine genaue Abgrenzung der tatsächlichen Kompetenzen innerhalb der Verträge gab. Dabei geht es um die Frage, welche Bereiche der umfassenden Handelsabkommen in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen und welche noch mit den einzelnen Mitgliedstaaten abgestimmt werden müssen. Wenn Abkommen sowohl nationale als auch EU-Kompetenzen umfassen, sind sie "gemischt" und müssen sowohl vom Europäischen Parlament als auch den nationalen Parlamenten abgesegnet werden. Nationale Kompetenzen sind insbesondere bei den Schiedsgerichten betroffen - ISDS oder auch ICS. Diese wurden nicht nur in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Das Gericht hatte klar bestimmt, dass Investitionsschiedsgerichte auch in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsländer fallen, da es Streitigkeiten der Gerichtsbarkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten entzieht, indem es diese vor einem privaten Parallelgericht verhandelt.


Bedrohte Allmacht

Mit diesem Entscheid muss die Kommission unter Vorsitz von Jean-Claude Juncker die zweite juristische Schlappe binnen einer Woche einstecken. Ein paar Tage vorher kippte der EuGH den Beschluss der EU-Kommission aus dem Jahr 2014, die damals versuchte Anmeldung der Europäische Bürgerinitiative (EBI) 'Stop TTIP' nicht als solche anzuerkennen. Die RichterInnen urteilten vielmehr, dass diese Ablehnung rechtswidrig gewesen sei. Die Kampagne hatte sich nach der Ablehnung auf eigene Füße gestellt und angelehnt an das offizielle EBI-Verfahren eine selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative (sEBI) ins Leben gerufen. Und das mit Erfolg: Im Laufe eines Jahres wurden mehr als 3,3 Millionen Unterschriften in ganz Europa bzw. in den europäischen Mitgliedstaaten gegen das geplante Abkommen zwischen USA und EU sowie dessen Schwesterabkommen CETA gesammelt. Während Brüssel den organisierten Protest seinerzeit als "nicht hinnehmbare Einmischung in den Gang eines laufenden Rechtssetzungsverfahrens" abzutun versuchte, befand der EuGH nun, dass die sEBI zur rechten Zeit eine legitime demokratische Debatte ausgelöst habe.


Wir haben gewonnen: Stopp unserer Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA war unrechtmäßig

Somit erscheint es zwar zunächst, als käme der Richterspruch zu spät, denn die sEBI forderte seinerzeit ein Ende der TTIP-Verhandlungen und richtete sich gegen die Ratifizierung von CETA durch den Europäischen Rat und das Europäische Parlament. Und eben diese Ratifizierung auf europäischer Ebene wurde im Februar 2017 abgeschlossen; sowie liegt TTIP derzeit noch für unbestimmte Zeit auf Eis. Auch hätte selbst eine stattgegebene EBI die Ratifizierung von CETA nicht direkt verhindern können, aber dennoch zumindest eine Anhörung im Europäischen Parlament zur Folge gehabt. Obendrein wäre die EU-Kommission gezwungen gewesen, sich für den Abschluss von CETA öffentlich zu rechtfertigen. Daher wäre es durchaus möglich gewesen, dass es eine noch viel breitere öffentliche Debatte über das Abkommen gegeben hätte.


Stärkung der Stimme der Europäischen BürgerInnen

Trotzdem beurteilen die Zivilgesellschaft und die InitiatorInnen der sEBI das Urteil als einen Gewinn für die Demokratie. Denn das Urteil ist eindeutig: Eine Europäische Bürgerinitiative, die sich gegen internationale Handelsverträge stellt, ist nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht. Der Rechtsspruch stärkt das Instrument als wichtigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in Europa. Der Versuch der Kommission, die Diskussion um TTIP und CETA durch eine Unterbindung der EBI 'Stop TTIP' kleinzuhalten, ist nicht nur nach hinten losgegangen, sondern wurde nun auch vom EuGH abgemahnt.


Zivilgesellschaft stellt sich neu auf

Interessanterweise hatte der Vize-Präsident der EU-Kommission Frans Timmermans bereits im April 2017 angekündigt, das Instrument der EBI zu einem bürgerfreundlichen und lebendigen Instrument umzugestalten. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies ausgestalten wird. Aber jenseits der EBI gibt es in Deutschland und in der EU weitere Prozesse, um den Widerstand gegen die Freihandelsabkommen aufrechtzuerhalten.

Neben dem Hauptsacheverfahren gegen CETA vor dem Bundesverfassungsgericht unterstützen sich die europäischen Nichtregierungsorganisationen derzeit gegenseitig dabei, beispielsweise den Volksentscheid gegen CETA in den Niederlanden auf die Beine zu stellen. Auch gibt es bereits einen neuen Rahmen, um nicht nur den Widerstand weiter zu stärken, sondern auch die breite Bewegung in Deutschland mit Gewerkschaften, Umwelt, Entwicklungs-, Landwirtschafts- und Sozialverbänden weiter zusammenzuführen. Bereits auf der bundesweiten Strategie- und Aktionskonferenz Ende März dieses Jahres in Kassel konnte die freudige Nachricht der Gründung des Netzwerks 'Gerechter Welthandel' verkündet werden. Die Akteure des Netzwerks haben einst nicht nur der sEBI das Leben eingehaucht, sondern mit den Demonstrationen vom 10. Oktober 2015 und 16. September 2016 wichtige, international beeindruckt aufgenommene Signale gesetzt, um der europäischen und transatlantischen Bewegung gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA Schwung zu verleihen. Das Netzwerk arbeitet nun weiter daran, beispielsweise Druck für eine andere - gerechte - Handelspolitik und eine Demokratisierung der EU-Handelspolitik zu machen und diese in der Öffentlichkeit bekanntzumachen.


Risiken und Nebenwirkungen

Doch nun fragt sich manch einer, ob sich die EU-Handelspolitik tatsächlich am Scheideweg befindet? Die EU-Kommission hat mit dem Rechtsspruch des EuGHs auch viel gewonnen, insbesondere mit der Opinion 2/15. Das Urteil hat die Kompetenzen der Kommission sehr klar abgesteckt, und das wird sie auch zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchen. Um einen möglichst reibungslosen Ablauf der zukünftigen Handelspolitik zu gewährleisten, ohne die risikoreiche Abstimmung in allen Mitgliedstaaten, die ein gemischtes Abkommen mit sich bringt, wird sich die EU-Kommission auch die Frage stellen, ob es eine Chance gibt, die Handelspolitik im Rahmen der eigenen Kompetenzen zu gestalten, um sie zukünftig noch schneller durchzusetzen. An den neoliberal geprägten Inhalten ihrer Handelspolitik will sie ohnehin nichts ändern. Werden wir einen Trend hin zu noch mehr Entdemokratisierung der EU-Handelspolitik beobachten? Die Frage ist aber auch, ob sich die Mitgliedstaaten diese Mitbestimmung, die ihnen durch den gemischten Charakter gegeben ist, nehmen lassen werden.

Die Zivilgesellschaft bereitet derweil ihre Anforderungen hinsichtlich einer Demokratisierung der EU-Handelspolitik vor, die neben einer Umfassenden und wahrhaftigen Transparenzinitiative, sprich die Veröffentlichung aller Mandate und aller aktuellen Verhandlungsdokumente, auch eine umfassende Teilnahme und Gestaltungsmöglichkeit der Zivilgesellschaft und nationalen Parlamente vorsieht.


Der Blick nach vorne

Klar ist, dass sich die Handelspolitik verändern muss und die Globalisierung anders gestaltet werden muss. Aber die EU-Kommission ist dazu freiwillig nicht bereit - ihre Antwort auf Brexit und Trump lautet: "Jetzt erst recht". Die Vorschläge der Zivilgesellschaft sind längst mehrheitsfähig und es wird sich zeigen, ob sie es schafft, den Druck für die notwendigen Veränderungen aufrechtzuerhalten. Die Entscheidungen des EuGHs waren dafür sicherlich hilfreich.


Die Autorin ist politische Referentin beim Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert das bundesweite Netzwerk Gerechter Welthandel.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 34-35
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2017

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