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DILJA/001: Kein Ermittlungsinteresse an Mord und Organraub im Kosovo - Teil 1 (SB)


Erdrückende Hinweise im Marty-Bericht zu Mord und Organhandel im Kosovo bzw. in Albanien

Das Fehlen jeglichen Ermittlungsinteresses westlicher Institutionen wirft Fragen nach Mitwisserschaft und direkter Beteiligung auf

Teil 1: Einleitung - Das Unglaubliche für möglich halten?


Menschen werden gefangengenommen und entführt. Sie werden an einen ihnen unbekannten Ort in einem anderen Land gebracht und gefangengehalten, ohne daß ihre Peiniger sich ihnen gegenüber als Polizisten oder Soldaten ausgeben würden. Das ihnen zugedachte Schicksal ist wohl noch grausamer als das "regulärer" Kriegsgefangener oder sonstiger Entführungsopfer, denn diese Menschen sind buchstäblich "Schlachtvieh". Sie werden bis zum Tag X, dem ihnen zugedachten Todestag, am Leben erhalten, vielleicht sogar gepflegt und medizinisch versorgt. Der eigentliche Zweck ihres Sterbens besteht darin, ihre zur weiteren Verwertung bestimmten Organe zu dem aus Sicht ihrer Mörder und deren Auftraggeber bzw. Nutznießer günstigsten Zeitpunkt und unter maximal optimierten Umständen abzuliefern. Manche Organe werden ihnen posthum entnommen, manche nicht.

Wer würde ein solches Szenario im ersten Moment nicht in das finstere Reich einschlägiger Polit-Thriller verbannen und am besten mit einer Altersbegrenzung "nur für Erwachsene" versehen? Selbstverständlich würde es für Menschen in einer solchen Lage unter keinen wie auch immer gearteten Umständen ein Entkommen geben; schließlich darf es keine (überlebenden) Zeugen geben. Und sollten doch einmal Gerüchte, Hinweise, Indizien oder Spuren auf verschlungenen Wegen an die Öffentlichkeit dringen (wollen), würde die vorherrschende Haltung, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, was zur Wahrung der eigenen Beteiligungsrechte am großen Raub nicht zweckdienlich zu sein scheint, sowie gezielte Maßnahmen, um die Überbringer derartiger Informationen mindestens mundtot zu machen, für den notwendigen Schutz dieses neuzeitlichen Kannibalismus, des Überlebens des Menschen zulasten der eigenen Art, sorgen.

Die Gründe, sich nicht mit Vorfällen und Entwicklungen zu befassen, die der eigenen Strategie des Überlebens, die eine fundamentale Anpassung nicht nur im Handeln, sondern auch im Denken und Fühlen voraussetzt und verlangt, in Gefahr bringen könnte, können in ihrer Breiten- und Tiefenwirkung kaum unterschätzt werden. Die selbstverständlich auch in der westlichen Welt weitverbreitete Überlebensstrategie, sich den staatlichen wie überstaatlichen administrativen Institutionen und Instanzen zu überantworten in dem wenn auch weitgehend blinden Glauben und Vertrauen, im Gegenzug dafür eine materielle Überlebenssicherung ebenso erwirtschaften zu können wie einen durch die Träger des staatlichen Gewaltmonopols gewährten Mindestschutz vor Angriffen aller Art und Verletzungen der eigenen Würde, wird dabei allerdings selten einem Echt-Test unterzogen.

Würden EU-Bürger befragt werden, ob sie das eingangs geschilderte Schreckensszenario für fiktiv oder die Existenz eines solches Mordsystems im heutigen Europa für möglich hielten, würde ein hoher Prozentsatz vermutlich zu ersterem tendieren und entsprechende Verbrechen, wenn überhaupt, in den verborgensten Winkeln randständigster Kriminalität verorten und zwar vornehmlich an Orten, die - und sei es aus den unerfindlichsten Gründen - dem allgegenwärtigen Auge und damit Zugriff nationalstaatlicher wie gesamteuropäischer Administrationen entzogen werden konnten. Wie sonst hätte sich in einem Europa, das sich als der Urquell von Freiheit und Demokratie verstanden wissen will und sich als Wiege der Menschheit sozusagen auch zu deren natürlicher Führung berufen fühlt, ein systematisches Abschlachten und Ausweiden von Menschen etablieren lassen können, zumal doch die vielen, dem Schutz und der Wahrung der Grund- und Menschenrechte verpflichteten Institutionen beim geringsten Anzeichen aktiv und ihren Aufklärungs-, Schutz- und Sanktionspflichten nachkommen würden?

Würde diese Rechtsgläubigkeit die von ihren Anhängern unterstellte fundierte Basis aufweisen, wäre nicht zu erklären, warum die jüngsten Veröffentlichungen des für solche Fragen zuständigen Ausschusses für Recht und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) nicht nur ohne ein nennenswertes öffentliches Echo blieben, sondern auch seitens offizieller Stellen mit einer gehörigen Portion Kaltschnäuzigkeit und politischem Druck auch gegen die Person des Schweizer Europarat-Sonderermittlers Dick Marty beantwortet wurden. Dieser hatte seinen auf zweijähriger Recherche-Arbeit beruhenden und an den Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats auftragsgemäß gerichteten Untersuchungsbericht zum Thema "Unmenschliche Behandlung Gefangener und illegaler Handel mit menschlichen Organen im Kosovo" ("Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo") [1] im Internet veröffentlicht, schon bevor der Ausschuß am 16. Dezember 2010 einen Resolutionsentwurf zu diesem Thema einstimmig angenommen hatte. In einer Presseerklärung teilte der Rechtsausschuß am selben Tag dazu mit [2]:

Gemäß eines heute einstimmig in Paris verabschiedeten Entschließungsentwurfs, der auf Dick Martys Bericht basiert, erklärte der Ausschuss es gebe "zahlreiche konkrete und übereinstimmende Hinweise" darauf, dass serbische und albanische Kosovaren an von der UÇK kontrollierten geheimen Orten in Nordalbanien gefangen gehalten und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung unterworfen wurden, und schließlich verschwanden.

Des Weiteren sagte der Ausschuss: "Zahlreiche Hinweise scheinen zu bestätigen, dass während der Zeit unmittelbar nach dem bewaffneten Konflikt [...] einigen Gefangenen in einem Krankenhaus in der Nähe von Fushë-Kruje auf albanischem Hoheitsgebiet Organe entnommen wurden, um diese zur Transplantation ins Ausland zu bringen".

Hinweise darauf, daß Menschen von der kosovo-albanischen Milizenorganisation UÇK, der sogenannten "Befreiungsarmee des Kosovo", nach Albanien verschleppt und dort nach oder auch vor erfolgter Organentnahme getötet wurden, wie sie auch dem Marty-Bericht zu entnehmen sind, sind keineswegs neu und wurden bereits vor zwei Jahren erstmals von offizieller Seite erhoben. Im Frühjahr 2008 hatte die ehemalige Chefanklägerin am "Internationalen Tribunal über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien" (ICTY), Carla del Ponte, in ihrer Biographie unter anderem auch über ihren Besuch an einem der fraglichen Orte und den nach jahrelanger vorheriger Untätigkeit von ihrem Ermittlungsteam vorgenommenen Untersuchungen berichtet und damit die schweren, an ehemalige UÇK-Führer gerichteten Vorwürfe der gewaltsamen Organentnahme und sogar des Mordes an Entführungsopfern erstmals der westlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Immer wieder konfrontiert mit dem Vorwurf, im Zuge der juristischen Aufarbeitung der in diesen Kriegen von allen Beteiligten verübten Verbrechen stets nur gegen die serbische bzw. jugoslawische Seite mit der vollen Härte der dem Tribunal vom UN-Sicherheitsrat in Mißachtung seiner in der UN-Charta verbrieften Befugnisse verliehenen Kompetenzen vorzugehen, alle übrigen, mit den NATO-Staaten verbündeten Kriegsparteien, Milizen und Freischärler jedoch mit Samthandschuhen anzufassen, hatte sich die streitbare und der pro-serbischen Parteinahme gewiß unverdächtige Schweizer Juristin schließlich doch aufgemacht, diesen schwerwiegenden Vorwürfen nachzugehen.

In ihrem im April 2008 und damit nach ihrer Zeit als Chefanklägerin in Den Haag zunächst auf italienisch erschienenen Buch ging Carla del Ponte auch auf diesen bis heute unaufgeklärten Fall, den möglichen Mord an rund 300 vornehmlich serbischen Entführungsopfern, ein. Ihren eigenen, in dem Buch gemachten Angaben zufolge hatte sie als Den Haager Chefermittlerin bereits im Jahre 2001 entsprechende Hinweise erhalten, woraufhin sie und ihr Ermittlungsteam 2003 ein Haus in der Nähe von Burrell ausfindig machen und dort Blutspuren und medizinisches Gerät sicherstellen konnten. Ihrer juristischen Einschätzung zufolge hätten die Beweise jedoch nicht ausgereicht, die Den Haager Anklage sah keine Möglichkeit für weitere Untersuchungen [3]. Simo Spasic, Vorsitzender der Belgrader "Vereinigung der Familien entführter und ermordeter Zivilisten, Soldaten und Polizisten in Kosovo und Metohien", hatte im April 2008 angekündigt, del Ponte im Namen der Angehörigen der Opfer wegen der Untätigkeit des Tribunals verklagen zu wollen. Er habe, so Spacic, del Ponte und ihr Team seit 2001 mehrmals getroffen und ihnen Beweise für die Verschleppung und Ermordung der vermißten Serben und Roma übergeben. 2004 sei ihnen vom Büro del Pontes lediglich mitgeteilt worden, daß alle vermißten Personen tot seien.

Del Pontes Selbstbiographie, im italienischen Original unter dem Titel "La caccia. Io e i criminali di guerr" im April 2008 im Feltrinelli-Verlag in Italien veröffentlicht und später in mehrere Sprachen übersetzt (deutscher Titel: "Die Jagd - Ich und die Kriegsverbrecher"), enthält Informationen über Hinweise auf von der Schweizer Juristin als glaubwürdig eingestufte Augenzeugenaussagen, denen zufolge 300 serbische Gefangene zum Zweck der gewaltsamen Organentnahme in sechs Geheimgefängnisse nach Albanien verschleppt worden seien. Die Tage der Schweizer Juristin waren allerdings gezählt. Carla del Ponte war 1999 an das Den Haager Tribunal berufen worden und hatte nach achtjähriger Amtszeit zum 31. Dezember 2007 ihren Rücktritt erklärt oder möglicherweise erklären müssen, um einer Ernennung des Schweizer Bundesrats zur Botschafterin ihres Landes in Argentinien zum 1. Januar 2008 Folge leisten zu können. Eine politisch motivierte Weg-Beförderung kann hier keineswegs ausgeschlossen werden, da die streitbare Juristin insbesondere in Washington in Ungnade gefallen war.

Nach den gewaltsamen Unruhen in der unter militärische Vorherrschaft und administrative Verwaltung des Westens gestellten serbischen Provinz Kosovo im Frühjahr 2004 benötigten die NATO- bzw. EU-Staaten dringend eine "starke Hand", die die Verhältnisse in dem faktischen Protektorat ihren Interessen gemäß würde ordnen können. Dafür bedienten sich die UN-Verwaltungsbehörden im Kosovo (UNMIK) der Dienste eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers, des kosovo-albanischen Führers und ehemaligen UÇK-Kommandeurs Ramush Haradinaj, der im Dezember 2004 in das Amt des "Premierministers" des Kosovo aufstieg. Carla del Ponte erwies sich in dieser Phase als Störfaktor, führten doch ihre Ermittlungen bzw. die des Den Haager Tribunals im März 2005 zur Anklageerhebung gegen Haradinaj, der daraufhin von seinem Amt zurücktreten mußte. Bereits im Oktober 2004 soll John Bolton, Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, laut Washington Post erklärt haben, US-Präsident Bush habe von Carla del Ponte "die Nase voll".

Es ist durchaus vorstellbar, daß sie in ihrer Arbeit als Den Haager Chefermittlerin daran gehindert wurde, im Falle des Verdachts auf mehrhundertfachen Mord zum Zwecke der Organentnahme, verübt von der kosovo-albanischen UÇK, weitere Schritte einzuleiten, weil dementsprechende Ermittlungsergebnisse oder sogar Verurteilungen nicht im Interesse des von den Vereinten Nationen errichteten und weitgehend von den USA finanzierten Tribunals hätten liegen können. Darauf deutet die Tatsache hin, daß sie nach der Beendigung ihrer Tätigkeit in Den Haag mit ihrer Buchveröffentlichung im Frühjahr 2008 immerhin den Versuch unternommen hat, die Öffentlichkeit über diesen Verdacht und die ihr vorliegenden Hinweise zu informieren. Doch auch als Schweizer Botschafterin am anderen Ende der Welt unterlag del Ponte gewissen Restriktionen, untersagte ihr doch das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten per Dekret die Teilnahme an einer Präsentation ihrer Autobiographie.

In Reaktion auf diese Buchveröffentlichung und speziell die darin enthaltenen Hinweise auf die kaum als solche zu bezeichnenden Ermittlungen in einem so schwerwiegenden Verdachtsfall wurde der Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats unter Leitung des Schweizer Abgeordneten und Juristen Dick Marty damit beauftragt, einen Report zum Thema "unmenschliche Behandlung und Organschmuggel im Kosovo" zu erstellen. Dies ist inzwischen geschehen. Nach akribischer Recherchearbeit, deren Lücken und Grenzen in den fehlenden "echten" Ermittlungsbefugnissen des Sonderermittlers und seines Teams zu verorten sind, wurde gleichwohl ein Dokument erstellt und der Öffentlichkeit vorgelegt, das geeignet ist, den Finger in die Wunde zu legen. Im Rechtsausschuß des Europarats wurde der Bericht am 16. Dezember 2010 einstimmig angenommen. Am 25. Januar 2011 wird er in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, dem vierteljährlich tagenden ältesten Parlament Europas, im Rahmen seiner vom 24. bis 28. Januar andauernden Wintersitzung debattiert werden.

(Fortsetzung folgt)


Anmerkungen

[1] Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo, Berichtsentwurf an den Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, von Dick Marty, 12. Dezember 2010,
http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=964

[2] PACE-Ausschuss fordert Untersuchung von Organhandel und Verschwinden von Personen in Kosovo und Albanien,
Europarat, Pressemitteilung 977 (2010) vom 16.12.2010, Direktion für Kommunikation,
http://www.coe.int/t/dc/av/allreleases_de.asp
siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> EUROPOOL -> POLITIK unter AUSSEN/137: Kosovo - Rechts-Ausschuss fordert Untersuchung von Organhandel (Europarat),
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/politik/eupau137.html

[3] Siehe auch im Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (06.05.2008):
DILJA/173: Haager Kriegstribunal - Das Dilemma Carla del Pontes (SB),
http://schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei173.html

31. Dezember 2010