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DILJA/005: Kein Ermittlungsinteresse an Mord und Organraub im Kosovo - Teil 5 (SB)


Erdrückende Hinweise im Marty-Bericht zu Mord und Organhandel im Kosovo bzw. in Albanien

Das Fehlen jeglichen Ermittlungsinteresses westlicher Institutionen wirft Fragen nach Mitwisserschaft und direkter Beteiligung auf

Teil 5: Gibt es einen Persilschein für die politische Führung des Kosovo?


Die Haltung der EU und der USA ist nicht einmal als ambivalent zu bezeichnen. Gegen den "Ministerpräsidenten" des Kosovo, Hashim Thaci, kommt von dieser Seite kein einziges Wort der Anklage. Ebensowenig wird an ihn oder auch die albanische Führung die Forderung erhoben, entgegen der bisherigen Praxis den internationalen Ermittlern vollen Zugang zu ihren Archiven sowie die mutmaßlichen Stätten des Verbrechens zu gewähren. Die Frage, ob Thaci nicht bis zur endgültigen Klärung derart schwerwiegender Anschuldigungen von seinem Amt zurücktreten sollte, wird ebenso konsequent ausgeklammert. Das grundsätzliche Schweigen der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft wirkt dröhnend auf all jene, die deren erhobenen Anspruch, der Durchsetzung der Menschenrechte verpflichtet zu sein, für bare Münze genommen haben.

Dick Marty, der sich als Sonderermittler des Europarats schon mit seinen öffentlich gemachten Untersuchungen zu den CIA-Folterflügen in Europa in Washington wie auch in den europäischen Hauptstädten nicht gerade beliebt gemacht haben dürfte, erhält nicht die geringste Rückendeckung oder politisch-moralische Unterstützung. In einer solch prekären Frage diskreditieren sich die EU-, UN- und NATO-Verantwortlichen durch ihre, vorsichtig formuliert, zögerliche Haltung selbst und provozieren Schlußfolgerungen, die, konsequent zu Ende gedacht, noch weitergehen können als alles, was der Europaratssonderermittler in seinem Bericht zu bedenken gegeben hat.

Gelegenheiten, dem Bild vom geeinten und der Wahrung von Demokratie und Menschenrechten verpflichteten Europa seitens der EU gerecht zu werden, gibt es in dieser Angelegenheit mehr als genug, zumal Dick Marty seitens der Kosovo-Führung direkt attackiert wird. Hashim Thaci, der nach den am 13. Dezember 2010 im Kosovo durchgeführten Parlamentswahlen ungeachtet der gegen seine Demokratische Partei erhobenen Vorwürfe des massiven Wahlbetrugs als Sieger gilt, wurde von der Gerichtsbarkeit Serbiens 1998 in Abwesenheit bereits zu zehn Jahren Haft wegen seiner Beteiligung an mehreren Morden verurteilt. Wer von der serbischen Justiz strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wird, scheint jedoch ungeachtet der Stichhaltigkeit der gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe und Beweise, über so etwas wie einen Freifahrtschein der westlichen Staaten und internationalen Institutionen zu verfügen nach dem Motto: der Serben Feind ist unser Freund.

Nach den Veröffentlichungen Carla del Pontes über ihre Ermittlungen bzw. Ermittlungsversuche wegen des Verdachts des illegalen Organhandels im Kosovo hatte Serbien wiederholt auf offizielle Ermittlungen gedrungen, war jedoch, von der Initiative des Europarats einmal abgesehen, auf taube Ohren gestoßen. So nimmt es nicht wunder, daß der serbische stellvertretende Staatsanwalt für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric, den Marty-Bericht als "großen Sieg für unseren Staat und unseren Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit" [12] verstanden wissen will und einmal mehr entsprechende Untersuchungen im Kosovo und in Albanien, wo gegenüber den serbischen Aufforderungen bislang gemauert wurde, forderte. Eine formelle Anklage gegen Thaci wird es in Serbien jedoch nicht geben. Wie ein Sprecher von Vizestaatsanwalt Vekaric gegenüber der serbischen Tageszeitung Blic am 18. Dezember erklärte, würde eine solche Anklage wie ein "politischer Prozeß" [19] aussehen. Die serbischen Behörden würden jedoch, so kündigte Vekaric an, bei der Aufklärung der Verbrechen helfen, schließlich habe Belgrad "viele Beweisstücke in Sachen Organhandel" [19].

Doch wer will diese und andere Beweisstücke schon sehen, zur Kenntnis nehmen und die, so es sich um die zuständigen Ermittler handelt, eigentlich unvermeidbaren Konsequenzen ziehen wollen? Die Entscheidung der serbischen Strafverfolger, gegen den Präsidenten des Kosovo keine Anklage zu erheben, mag zudem der politischen Einschätzung geschuldet sein, daß ein solcher Schritt nur eine umso konsequentere Abwehrhaltung, eine an einen Beißreflex erinnernde Verteidigung Thacis seitens seiner westlichen Partner, Helfershelfer oder auch Auftraggeber nach sich ziehen würde. Die Kosovo-Führung selbst scheint sich ihrer Position ungeachtet der jüngsten Veröffentlichungen im Rechtsausschuß des Europarats recht sicher zu sein, geht sie doch direkt zu Angriffen gegen die Person Martys über. Thacis Partei sprach von "seichten und bizarren" Vorwürfen "von Menschen ohne irgendeine moralische Glaubwürdigkeit", bezeichnete die Anschuldigungen als "unbegründet und verleumderisch" [20] und behauptete, auf diesem Wege sollte der UÇK und ihren Führern sowie dem Fortschritt im Kosovo geschadet werden.

Das Kabinett des Ministerpräsidenten (Thaci) sprach denn auch gleich von "Verleumdungen" des Schweizer Europaratsabgeordneten und wies diese zurück. Hajredin Kuci, stellvertretender Ministerpräsident des Kosovo, bezeichnete Dick Marty, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, als "kleinen Milosevic" [12]. Da Marty nicht mehr und nicht weniger getan hat, als in zweijähriger, mühseliger Recherchearbeit Hinweisen, die deutlich älter sind und zum Teil bereits von Carla del Ponte öffentlich gemacht wurden, mit den ihm gebotenen Möglichkeiten auf die größtmögliche Glaubwürdigkeits- und Plausiblitätsstufe zu heben, um im Anschluß daran die ebenfalls bereits vielfach erhobenen Forderungen nach offiziellen und effizienten Untersuchungen einmal mehr auf die Tagesordnung einer von der westlichen Interessengemeinschaft dominierten Weltgemeinschaft zu heben, läßt sich der Diskreditierungsversuch Kucis auch gänzlich anders, nämlich zugunsten des in der Haft des Den Haager Tribunals verstorbenen früheren jugoslawischen bzw. serbischen Präsidenten auslegen.

Milosevic hätte womöglich, so mag an dieser Stelle spekuliert werden, mit einem Europaratsermittler wie Dick Marty ungeachtet dessen, daß dieser ihn in seinem Bericht als "Diktator" [21] in Belgrad bezeichnete und mit den gegen ihn seitens des Westens erhobenen Vorwürfen und Anschuldigungen übereinstimmt, aus einem ganz einfachen Grund zusammengearbeitet: Marty ist nicht bereit, sich das völlig einseitige Vorgehen der übrigen internationalen Institutionen, der EU und der USA zu eigen zu machen. Und, mehr noch, der Schweizer Ermittler stellte an mehreren Stellen seines Berichts klar, wie unangemessen und durch politische Erwägungen begründet diese Rollenverteilung im Kosovo-Konflikt vorgenommen wurde, in dem völlig einseitig die serbische Seite zu Tätern und die kosovo-albanische zu unschuldigen Opfer definiert wurde [21]. Eine pro-serbische Haltung kann dem Europaratsermittler dennoch nicht nachgesagt oder unterstellt werden; es sei denn, daß dessen bloße Argumentation, nämlich daß der gesamte Konflikt und Krieg komplizierter gewesen sei und nicht auf ein so einfaches Opfer-Täter-Schema reduziert werden könne, von westlichen Kräften ihrerseits bereits als pro-serbische Stellungnahme bewertet und als Feindpropaganda diffamiert wird, weil sie der allgemein vorherrschenden Pauschaldiffamierung und -dämonisierung Serbiens bzw. Jugoslawiens entgegenwirkt.

(Fortsetzung folgt)


Anmerkungen

[1] Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo, Berichtsentwurf an den Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, von Dick Marty, 12. Dezember 2010,
http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=964

[12] Kosovos Premier belastet. EU fordert Beweise für Organhandels-Vorwürfe, Der Standard, 15. Dezember 2010,
http://derstandard.at/1291455136853/Kosovos-Premier-belastet-EU-fordert-Beweise-fuer-Organhandels-Vorwuerfe?seite=8

[19] Serbien will Thaci nicht anklagen, junge Welt, 20.12.2010, S. 6

[20] Europarat erhebt in neuem Bericht schwere Vorwürfe - Berichterstatter Marty will Thaci vor Gericht bringen Kosovo-Premier als Organhändler? Von WZ-Korrespondent Zarko Radulovic, Wiener Zeitung.at., 15.12.2010,
http://www.wzonline.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3862&Alias=wzo&cob=532159

[21] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Introductory remarks - an overview", Punkt 6.

4. Januar 2011