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PARTEIEN/264: Schmutzkampagne um die irische Präsidentschaft (SB)


Schmutzkampagne um die irische Präsidentschaft

Mächtige Kräfte versuchen David Norris' Kandidatur zu torpedieren


Demnächst läuft die zweite Amtszeit der 1997 gewählten, irischen Präsidentin Mary McAleese aus. Eine dritte Amtszeit ist laut Verfassung nicht vorgesehen, weshalb der Kampf um den Einzug in Aras an Uachtarán, den Präsidentenpalast auf dem herrlichen Gelände des Dubliner Phoenix Park, bereits vor Monaten ausgebrochen ist. Der eigentliche Urnengang findet im kommenden November statt. Als aussichtsreichster Bewerber gilt der unabhängige Senator, Menschenrechtsaktivist und Joyce-Kenner David Norris, der seit Bekanntgabe seiner Kandidatur im März alle Umfragen haushoch anführt. Doch um auf den amtlichen Wahlzettel zu gelangen, muß Norris die schriftliche Unterstützung entweder von 4 von 144 Stadt- oder Gemeinderäten oder 20 von 226 Mitgliedern des irischen Parlaments - Unterhaus und Senat zusammen - bekommen. Mächtige Kräfte, die sich der katholischen Kirche und dem Staat Israel verpflichtet fühlen, wollen dies aber verhindern und sind mit einer beispiellosen Schmutzkampagne auf dem besten Weg, ihr Ziel zu erreichen.

Die Popularität von Norris in den Umfragen wurde von manchen liberalen Kommentatoren herablassend als positives Zeichen dafür gedeutet, daß die Iren im Südteil der grünen Insel die Gedankenkontrolle der katholischen Kirche abgeschüttelt hätten und endlich zur politischen "Reife" gelangt wären. Schließlich gilt der ehemalige Englisch-Dozent am Dubliner Trinity College als Irlands bekanntester Homosexueller. 1988 hat er eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das gesetzliche Verbot der Homosexualität in Irland, das er als Verstoß gegen sein Recht auf Privatsphäre empfand, gewonnen. Das entsprechende Gesetz, ein Überbleibsel aus der Zeit britischer Kolonialverwaltung, mußte deshalb 1993 abgeschafft werden. Der in der Dubliner Innenstadt lebende Norris hat maßgeblich dazu beigetragen, daß der Bloomsday, der 16. Juni, an dem die komplette Handlung von James Joyces berühmtem Roman Ulysses stattfindet, nicht mehr allein von einer kleinen verschworenen Literatengemeinde gefeiert wird, sondern zu einem Kulturfest von internationalem Rang geworden ist. In der Vergangenheit hat sich Norris nicht davor gescheut, den Vatikan wegen dessen Haltung den Homosexuellen und der Befreiungstheologie gegenüber und Israel wegen dessen Umgang mit den Palästinensern heftigst zu kritisieren.

Im Mai, da hatte Norris bereits die Unterstützung des Norddubliner Stadtrats Fingal erhalten, wurde ein Interview, das er 2002 der Restaurantkritikerin Helen Lucy Burke für die Zeitschrift Magill gegeben hatte, zum großen Medienthema. Im Gespräch soll Norris Verständnis für die Praxis der gleichgeschlechtlichen Liebe zwischen Jugendlichen und ihren erwachsenen Mentoren in Griechenland der klassischen Ära zum Ausdruck gebracht haben. Norris warf Lucy Burke vor, ihn in dem Magill-Interview falsch zitiert und einzelne Passagen ihrer allgemein gehaltenen, theoretischen Diskussion völlig aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, um ihn schlecht aussehen zu lassen. Das scheint auch die Absicht der Journalistin von Anfang an gewesen zu sein. Auf die Frage, warum sie das längst vergessene Interview erneut in Umlauf gebracht hat, behauptete Lucy Burke, Norris' Ansichten über Sex mit Kindern sei "beunruhigend" und "böse", die Vorstellung von ihm als Staatsoberhaupt behage ihr nicht. Doch den Beweis dafür, daß ihre Wiedergabe des Gespräches richtig sei, blieb sie schuldig. Auf Anfrage erklärte Lucy Burke, sie könne die Kassettenaufnahme des Interviews nicht mehr finden, diese sei "verloren" gegangen.

Entgegen den Erwartungen einzelner Beobachter und vermutlich auch den Hoffnungen der politischen Gegner hat die Kontroverse um das fast zehn Jahre alte Magill-Interview der Kampagne von Norris um die Präsidentschaft kaum bis gar nicht geschadet. Seine Umfragewerte blieben hoch. Er führte das Rennen weiterhin an. Offenbar wußten die meisten irischen Wähler zwischen einem bekennenden Homosexuellen und einem potentiellen Kinderschänder zu unterscheiden - zumal letztere meistens in Form katholischer Priester auftreten, wie der jüngste Skandal um die Vertuschung von Kindesmißhandlungen durch Geistliche der Diozese von Cloyne zeigt. Wegen der drastischen Kritik des irischen Premierministers Enda Kenny an den Vertuschungsbemühungen des Vatikans hat der Papst letzte Woche seinen Nuntius aus Irland abgezogen, während der Hauptverantwortliche für die Mißstände in Cloyne, Erzbischof John Magee, untergetaucht ist und sich vermutlich vor einer drohenden Anklage ins Ausland abgesetzt hat.

Angesichts der ausgebliebenen Wirkung der Giftpfeile aus dem erzkatholischen Lager kam es am letzten Juliwochenende zur bisher schwersten und voraussichtlich erfolgreichsten Sabotageaktion gegen die Präsidentschaftskandidatur von David Norris. Der irische Blogger John Connolly machte bekannt, Norris habe sich 1992 in einem Brief, der auf einem Briefbogen des irischen Senats verfaßt worden war, bei einem israelischen Gericht um Milde für seinen damaligen Partner, den Sozialaktivisten Ezra Yitzhak Nawi, gebeten und ihm dabei einen guten Leumund ausgestellt. Nawi war damals wegen Geschlechtsverkehrs mit einem 15jährigen palästinensischen Jungen der Vergewaltigung für schuldig gesprochen. Norris und Nawi waren von 1975 und 2001 ein Paar. Eigentlich wäre das Urteil gegen Nawi längst in Vergessenheit geraten, wäre es nicht 2007 gegen ihn verwendet wurden, als er wegen einer Handgreiflichkeit mit einem israelischen Soldaten vor Gericht landete und erneut verurteilt wurde. Zu der Auseinandersetzung war es gekommen, als Nawi und andere Friedensaktivisten versucht hatten, die Zerstörung eines palästinensischen Hauses in der Nähe von Hebron im besetzten Westjordanland durch die israelische Baubehörde zu verhindern. Der Prozeß hatte international für Aufsehen gesorgt. Unter anderem setzten sich Noam Chomsky und Naomi Klein für Nawi ein, kritisierten den Schuldspruch als politisch motiviert und plädierten letztlich erfolgreich gegen die Verhängung einer Freiheitsstrafe.

Dessen ungeachtet hat die Nachricht von Norris' Fürsprache für einen verurteilten Vergewaltiger in Irland hohe Wellen geschlagen. Am 29. Juli traten Norris' Stabschef Derek Murphy, seine PR-Beraterin Jane Cregan und seine Jugendkoordinatorin Orlaith Foley ohne Angaben von Gründen zurück. Bis zum 22. Juli hatten sich 15 Senatoren bereiterklärt, die Aufnahme von Norris in die Liste der offiziellen Kandidaten für die Präsidentenwahl, über deren Ausgang das Volk entscheidet, zu unterstützen. Ihm fehlten nur noch fünf Stimmen. Nach der Enthüllung von Connolly wird es Norris nun sehr schwer haben, die magische Zahl von 20 zu erreichen. Während einige der 15 besagten Senatoren weiterhin zu ihm halten, wollen andere plötzlich ihre Position "überdenken" beziehungsweise sich darüber mit ihrer Wählerklientel "beraten". Und während Connolly offen zugibt, pro-zionistisch ausgerichtet zu sein und die Geschichte über Norris' schriftliches Engagement für Nawi wegen der israelkritischen Haltung des irischen Vorzeigehomosexuellen publik gemacht zu haben, bestreitet die Botschaft Israels in Dublin überhaupt etwas mit dem Aufkommen der Affäre zu tun zu haben.

Connolly behauptet, jemand aus der sozialdemokratischen Labour Party Irlands hätte ihn auf den Vorfall aufmerksam gemacht. Ob dies stimmt, ist eine andere Frage. Fiele Norris aus dem Rennen um die irische Präsidentschaft, würden viele seiner potentiellen Wähler voraussichtlich zum offiziellen Labour-Kandidaten Michael D. Higgins abwandern. Da der ehemalige Kulturminister und Abgeordnete aus Galway West traditionell zum linken Flügel der irischen Sozialdemokraten gezählt wird und sich in der Vergangenheit ebenfalls für die Rechte der Palästinenser eingesetzt hat, könnte es sein, daß hier jemand zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigen will. Immerhin hat sich Michael D., wie ihn alle nennen, genötigt gesehen zu beteuern, daß weder er noch irgendeiner seiner Mitarbeiter für die Enthüllung Connollys verantwortlich seien.

1. August 2011