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PARTEIEN/281: Flaggenprotest weitet sich in ganz Nordirland aus (SB)


Flaggenprotest weitet sich in ganz Nordirland aus

Legen es loyalistische Paramilitärs auf einen neuen Bürgerkrieg an?



In Nordirland haben sich in der Nacht vom Freitag, dem 7. Dezember auf Samstag, den 8. Dezember die gewalttätigen Proteste protestantischer Rowdys gegen die Entscheidung des Belfaster Stadtrates, die britische Staatsflagge dort nur noch an Feiertagen und nicht wie bisher ganzjährig wehen zu lassen, auf weitere Teile der Provinz Ulster ausgeweitet. Die ermahnenden Worte von US-Außenministerin Hillary Clinton, die am 7. Dezember zu einer Stippvisite in Belfast war, um sich über den Stand des "Friedensprozesses" zu informieren, für den sie und ihr Mann Bill Clinton sich seit dessen Tagen als US-Präsident engagieren, haben rein gar nichts genutzt. Die Gegner der neuen Flaggen-Politik halten an ihrem Plan, eine Großdemonstration am 8. Dezember im Belfaster Stadtzentrum auf dem Platz vor der City Hall abzuhalten, fest. Nun befürchtet der Police Service of Northern Ireland (PSNI), daß es in der nordirischen Hauptstadt an diesem drittletzten Sonnabend vor Weihnachten zum Chaos kommen wird. Nur mit größter Mühe konnte die Polizei am 4. Dezember mehr als 1000 aufgebrachte Unionisten daran hindern, das Belfast Rathaus zu stürmen.

Die jüngsten Ausschreitungen fingen am Abend des 7. Dezember am Shaftsbury Square in der Belfaster Innenstadt an. Dort kam es zu einer Straßenschlacht mit der Polizei, nachdem der Fahrer eines Kleintransporters an einer illegalen Straßensperre der Flaggen-Demonstranten vergeblich vorbeizufahren versuchte und daraufhin mit Steinen und Flaschen angegriffen wurde. Der Mob versuchte, den Kleintransporter zu kapern, wurde jedoch von der Polizei in letzter Sekunde daran gehindert. Bei den Rangeleien wurden zwei Polizisten verletzt. Sechs weitere Kollegen wurden bei ähnlich schweren Straßenkämpfen in protestantischen Vierteln Nordbelfasts um die Crumlin Road und die Ligoniell Road verletzt. Hier brannte auch mindestens ein Auto aus. Der PSNI mußte Wasserwerfer einsetzen. In der Nacht wurden weitere Proteste aus Bangor, Lisburn und anderen Teilen Nordirlands gemeldet.

Die meisten Demonstrationen fanden vor Büros der überkonfessionellen Alliance Party statt, welche die Gegner der neuen Flaggenregelung am Belfaster Rathaus bezichtigen, sich dort der angeblich anti-britischen Politik der relativen Mehrheit der katholisch-nationalistischen Fraktionen Sinn Féin und der Social Democratic Labour Party (SDLP) gebeugt zu haben. Ursprünglich wollten Sinn Féin und die SDLP das Hissen des Union Jacks gänzlich verbieten, hatten aber dafür keine absolute Mehrheit. Mit den Stimmen der Vertreter der Alliance Party haben sie am 4. Dezember jedoch ein Antrag durchbekommen, demzufolge die britische Staatsflagge nur an Feiertagen, also 17mal im Jahr, über der Kuppel des Wahrzeichens der Stadt am Fluß Lagen wehen darf.

Doch auch die Vertreter der beiden großen protestantischen Politikgruppierungen, der Democratic Unionist Party (DUP) und Ulster Unionist Party (UUP), welche die Flaggenproteste anfänglich schürten und darüber längst die Kontrolle verloren haben, stehen seitens des eigenen Fußvolkes in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, die Teilabschaffung eines wichtigen Symbols britischer Herrschaft in Nordirland nicht verhindert zu haben. In Newtownabbey, am nordwestlichen Rande von Belfast, blockierten rund 40 vermummte Jugendliche den Eingang zum Gemeindezentrum, setzen zwei Autos auf dem Parkplatz in Brand und schlugen die Windschutzscheiben von anderen ein. Im historischen Gemeindezentrum Mossley Mill fanden an diesem Abend das Weihnachtessen des DUP-Bürgermeisters mit 200 Gästen und eine Abendgala mit 400 Gästen statt. Beide Veranstaltungen mußten wegen der Gewalttätigkeiten vor dem Gebäude abgebrochen werden. Als Paul Girvan, der örtliche DUP-Abgeordnete im nordirischen Regionalparlament, der am Essen des Bürgermeisters teilgenommen hatte, nach draußen ging und versuchte, die Randalierer zur Vernunft zu bringen, wurde selbst er zunächst mit Steinen beworfen.

Gegenüber der BBC hat Girvan später aufgrund der eigenen Beobachtungen die Einschätzung von PSNI-Chef Matt Baggott bestätigt, wonach loyalistische Paramilitärs die Anti-Flaggen-Proteste orchestrieren. "Egal, was andere sagen, in dieser Sache ist die paramilitärische Handschrift ganz klar erkennbar. Einige Leute, die mir wohl vertraut sind und Verbindung zur UVF [Ulster Volunteer Force - Anm. d. SB-Red.] haben, waren da." 2007 hatte die UVF ihren bewaffneten Kampf eigentlich für beendet erklärt. Bei einer Fortsetzung gar einer Eskalation der Anti-Flaggen-Demonstration befürchten Beobachter, daß es zum erneuten Krieg zwischen der UVF und jenen republikanischen Dissidentengruppen, die sich erst Ende November unter der Namen "Neue IRA" zusammengeschlossen haben, kommen könnte.

8. Dezember 2012