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PARTEIEN/322: Irland und Schottland lehnen harten Brexit ab (SB)


Irland und Schottland lehnen harten Brexit ab

Dublin und Edinburgh bringen sich gegen London in Stellung


Nachdem am 8. Februar der Gesetzentwurf der konservativen britischen Regierung über den Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union das Unterhaus in London mit großer Mehrheit - 494 zu 122 Stimmen - passiert hat, steht für Premierministerin Theresa May die für Anfang März geplante Aktivierung der entsprechenden Klausel 50 des Lissaboner Vertrags nichts mehr im Weg. Die formelle Zustimmung des House of Lords zum Gesetzentwurf gilt als sicher. In Schottland und Irland - also nicht nur in Nordirland, sondern auch in der Republik - regt sich großer Widerstand gegen die Pläne Mays, denn sie will Großbritannien nicht nur aus der EU, sondern auch aus dem europäischen Binnenmarkt führen, was nicht nur verheerende wirtschaftliche Folgen haben könnte.

Im Vergleich zu England und Wales haben bei der Volksbefragung am 23. Juni 2016 in Schottland und Nordirland die Mehrheit der Menschen gegen den EU-Austritt votiert. Viele Schotten fühlen sich betrogen, denn bei der Volksbefragung 2014 über die Unabhängigkeit wurde eine Mehrheit zum Nein-Votum nicht zuletzt durch das Versprechen erreicht, daß nur durch den Verbleib im Vereinigten Königreich die Mitgliedschaft Schottlands in der EU gesichert werden könne. Der Umstand, daß nun die ausschließlich aus englischen Tories bestehende Regierung in London keinen sanften Brexit beabsichtigt, also gänzlich auf den Zugang des Vereinigten Königreichs und damit Schottlands zum EU-Binnenmarkt verzichten will, hat die Autonomie-Administration in Edinburgh alarmiert.

Seit Monaten droht Nicola Sturgeon, schottische Premierministerin und Vorsitzende der Scottish National Party (SNP), mit der Durchführung eines erneuten Unabhängigkeitsplebiszits. Nach der Verabschiedung des Brexit-Gesetzes vor drei Tagen erklärte der Ex-SNP-Vorsitzende Alex Salmond, heute Fraktionsführer der schottischen Nationalisten im Londoner Unterhaus, eindeutig: "Die Karten werden neu gemischt." Bei der SNP-Führung überlegt man nun, mit einer weiteren Volksbefragung zu warten, bis das Ergebnis der auf zwei Jahre angesetzten Verhandlungen zwischen Brüssel und London zu den der Brexit-Bedinungen vorliegt. In Edinburgh gehen die SNP-Strategen davon aus, daß die düsteren Perspektiven eines "harten Brexit" eine Mehrheit der schottischen Wähler dazu veranlassen dürfte, diesmal für die Beendigung der seit 1707 bestehenden Union zwischen Schottland und England zu votieren.

Auf der grünen Insel begreifen die Menschen zunehmend die Gefahr, daß der "harte Brexit" auch die erneute Errichtung einer festen Grenze zwischen Nordirland und der Republik mit sich bringen könnte. Schließlich wäre in jenem Fall Irland noch in dem EU-Binnenmarkt und der europäischen Zollunion - zu der auch Norwegen und die Schweiz gehören - das Vereinigte Königreich einschließlich Nordirland aber außerhalb. Es besteht zurecht die Befürchtung, daß der Versuch, die seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 abgebauten Grenzposten, Kontrollpunkte, Zäune, et cetera die militanten Befürworter eines Vereinigten Irlands auf den Plan rufen und erneut den nordirischen Bürgerkrieg auslösen wird. Schließlich waren die Brexit-Befürworter Nordirlands bei der Abstimmung im vergangenen Jahr lediglich in den Wahlbezirken im äußersten Nordosten der einstigen Unruheprovinz erfolgreich. Im größten Teil Nordirlands und vor allem in den grenznahen Bezirken, die mehrheitlich von katholischen Nationalisten bewohnt sind, stieß der Brexit auf breite Ablehnung.

Wegen der potentiellen Destabilisierung des nordirischen Friedensprozesses sowie der zu erwartenden negativen ökonomischen Folgen der Implementierung einer Zollgrenze quer durch Irland läuft die Regierung in Dublin inzwischen gegen die Brexit-Pläne Londons Sturm und wirbt in den Hauptstädten der übrigen 26 EU-Mitgliedsstaaten um Verständnis für die besondere irische Situation. Die Regierung Irlands tritt für einen Sonderstatus Nordirlands ein, über dessen genauen Gestalt niemand derzeit eine Aussage machen kann. Eine mögliche Variante wäre, künftig die erforderlichen Paß- und Zollkontrollen nicht inmitten der irischen Landschaft, sondern an den irischen und britischen Flug- und Seehäfen durchzuführen. Dies käme einem wichtigen Schritt Richtung Wiedervereinigung Irlands gleich, weshalb man eventuell mit Widerstand seitens Londons und der pro-britischen Unionisten in Nordirland rechnen muß.

11. Februar 2017


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