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PARTEIEN/355: Theresa May - das eine, was sie will ... (SB)


Theresa May - das eine, was sie will ...


Rund sechs Wochen lang hat die britische Premierministerin Theresa May eine Art Auszeit von der Brexit-Krise gehabt. Der dubiose Giftanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury am 4. März und der angebliche C-Waffeneinsatz der Syrischen Arabischen Armee (SAA) in Ghouta am 7. April boten der Tory-Chefin die ideale Gelegenheit, sich als unerschrockene Verteidigerin westlicher Zivilisationswerte gegen das Böse - in dieser fadenscheinigen Moralität repräsentiert durch die vermeintlichen Schurken Wladimir Putin und Baschar Al Assad - aufzuspielen. Dies tat sie dann auch mit dem Schwert in der Hand - gemeint sind die Luftangriffe auf syrische Militärinstallationen bei Homs und ein Pharmalabor bei Damaskus am 13. April - an der Seite Donald Trumps und Emmanuel Macrons, während die restlichen Regierungschefs der EU als Chor der Jasager diplomatische Schützenhilfe leisteten.

Doch inzwischen hat der Brexit-Schlamassel die glücklose May, deren Minderheitsregierung in London zum Überleben auf die Unterstützung der zehn Abgeordneten der protestantisch-nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen ist, wieder eingeholt. In der letzten Woche mußte May zwei schwere Niederlagen hinnehmen, die den von ihr angepeilten reibungslosen Austritt des Vereinigten Königreichs nicht nur aus der EU, sondern auch aus Binnenmarkt und Zollunion schwer bis unmöglich machen. Zum einen hat am 18. April das House of Lords, das Oberhaus des britischen Parlaments, bei einer Teilabstimmung über das EU-Austrittsgesetz für den Verbleib in der Zollunion votiert. Unter den 24 Konservativen, die gegen die eigene Regierung und für den oppositionellen Antrag votierten, befanden sich die Parteigranden Lord Patten, einst Gouverneur von Hongkong sowie EU-Kommissar, und Lord Heseltine, der unter Margaret Thatcher Verteidigungsminister und unter John Major Handels- und Vizepremierminister gewesen ist. Am 19. April haben die EU-Unterhändler die Vorschläge Londons bezüglich der hochumstrittenen Frage der künftigen Kontrollen und der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland für "vollkommen unrealistisch" und damit für inakzeptabel erklärt.

Das Urteil der EU-Vertreter überrascht deshalb nicht, weil die Vorstellungen der britischen Regierung absolut widersprüchlich sind. Die Brexiteers wollen Zollunion und Binnenmarkt verlassen - damit London künftig eigene Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen kann -, gleichzeitig aber den bisherigen Zugang zum europäischen Markt so weit wie möglich beibehalten. Bei aller Träumerei vom "Global Britain" und einem Erstarken der Beziehungen Großbritanniens zu seinen früheren Kolonien bestreitet das Vereinigte Königreich heute lediglich neun Prozent seines Außenhandels mit den übrigen 52 Ländern des Commonwealth; mit den anderen 27 EU-Staaten sind es dagegen 50 Prozent. Eine rasche Umkehr dieser Verhältnisse läßt sich nicht nur aus politischen, sondern auch aus logistischen und geographischen Gründen gar nicht verwirklichen.

Wegen des Streits in der Irland-Frage hatte May zuletzt gegenüber Brüssel versprochen, keine feste Grenze auf der grünen Insel zu errichten. Auch wenn die DUP deswegen Zeter und Mordio schreien dürfte, sieht es so aus, als würde London die Einrichtung von Grenzkontrollen an den Flug- und Seehäfen erwägen. Vor wenigen Tagen gab es in Nordirland die erste amtliche Stellenanzeige für neue Grenz- und Zollbeamten. Die Bekanntmachung hat deshalb für Aufregung gesorgt, weil sich nur britische Bürger bewerben dürfen - obwohl das Karfreitagsabkommen von 1998 allen Menschen in Nordirland das Recht auf irische und britische Staatsbürgerschaft garantiert. Von der aufschlußreichen Formulierung, daß die neuen Staatsbeamten für die Grenz- und Zollkontrollen lediglich am internationalen Flughafen in Belfast sowie an den größeren Häfen wie Larne - und nicht etwa an den früheren Übergängen zur Republik Irland - stationiert werden sollen, wurde weniger Notiz genommen.

Die Zusicherung Mays, daß es auch nach Brexit zu keinen "ordnungspolitischen Divergenzen" zwischen Nord- und Südirland kommen werde, hatten bei den britischen Industriekapitänen und den ausländischen Investoren in Großbritannien - wie zum Beispiel den großen japanischen Autofabrikanten - die Hoffnung geweckt, daß die Einhaltung dieses Prinzips letztendlich zum Verbleib des gesamten Vereinigten Königreichs in der Zollunion würde führen müssen. Entsprechend erleichtert reagierten die britischen Wirtschaftskommentatoren, als am vergangenen Wochenende berichtet wurde - unter anderem im Guardian und in der Times of London -, daß May nicht mehr am Austritt aus der Zollunion festhalte und endlich entschlossen sei, den harten Brexiteers innerhalb des eigenen Kabinetts wie Außenminister Boris Johnson, Handelsminister Michael Gove und Handelsminister Liam Fox die Stirn zu bieten und gegebenenfalls deren Rücktritte in Kauf zu nehmen.

Am 23. April hat Number 10 Downing Street jedoch die Richtigkeit solcherlei Berichte kategorisch dementiert. May halte am Austritt aus der Zollunion fest, hieß es. Kenneth Clarke, ehemaliger Finanzminister und geistiger Kopf der Brexit-Gegner bei den konservativen Hinterbänklern im Unterhaus, hat, wie er der BBC erklärte, angesichts der unterschiedlichen Nachrichten über den Stand der Brexit-Diskussion im Amt der Premierministerin eine "Panik unter den Apparatschiks" ausgemacht.

Am 3. Mai finden Kommunalwahlen in England statt. Das katastrophale Ergebnis, das den Tories vor Wochen prognostiziert wurde, dürfte sich wegen der patriotischen Aufwallungen in Verbindung mit der Skripal-Affäre und den Raketenangriffen auf Syrien nicht mit voller Wucht bewahrheiten. Dennoch rückt das Ende der Regentschaft Theresa Mays, die zwischen den EU-feindlichen Brexiteers im eigenen Kabinett auf der einen Seite und der deutlichen Mehrheit im Unterhaus für den Verbleib Großbritanniens in der Zollunion auf der anderen Seite steckt, immer näher. Bleibt May bei ihrem Nein zur Zollunion, kommt es früher als später zum Mißtrauensvotum im Parlament und zu Neuwahlen. Legt sie sich mit dem Triumvirat Johnson-Fox-Gove an, bricht ein Führungssstreit bei den Tories aus, was ebenfalls unweigerlich Neuwahlen nach sich ziehen dürfte. Zu beneiden ist May in dieser tragischen Situation nicht.

23. April 2018


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