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PARTEIEN/398: Brexit - der eigentliche Krach kommt erst noch ... (SB)


Brexit - der eigentliche Krach kommt erst noch ...


Für die erste März-Woche ist der Auftakt der offiziellen Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland und der Europäischen Union (EU) über ihre künftigen Handelsbeziehungen geplant. Bereits jetzt kündigt sich eine sehr harte Auseinandersetzung an, wenn nicht sogar eine ernste Krise. Dies hängt mit dem erklärten Willen der Regierung Boris Johnsons zusammen, die von Inhalt und Umfang her hochkomplizierten Verhandlungen doch noch bis zum 31. Dezember abgeschlossen zu haben, damit an diesem Datum auch die Übergangsphase, in der sich Großbritannien weiterhin an die EU-Regeln halten muß, zu Ende gehen und das stolze Inselvolk seine heißersehnte "Souveränität" zurückerlangen kann. Zu diesem Zweck hatte Johnson demonstrativ dem Ende letzten Jahres vom britischen Unterhaus verabschiedeten Brexit-Gesetz einen Passus beigefügt, der eine Verlängerung der Übergangsphase ausdrücklich verbietet.

Seitdem deuten alle Signale aus London darauf hin, daß die britische Regierung, in der Johnsons EU-feindlicher, rechtslibertärer und wissenschaftshöriger Sonderberater Dominic Cummings die Rolle eines Svengalis spielt, auf keine gütliche Einigung, gar eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kollektiv der 27 EU-Staaten aus ist, sondern vor allem mit Drohungen, Lug und Betrug ihre Interessen durchzusetzen beabsichtigt. Weil das Unterfangen eines harten Brexits - einer drastischen Abwendung Großbritanniens von seinem wichtigsten Exportmarkt EU, wohin zuletzt 55 Prozent aller britischen Ausfuhren gingen - nur Nachteile für die Volkswirtschaft des Vereinigten Königreichs mit sich bringt, die Brexiteers dies jedoch niemals öffentlich eingestehen dürfen, legen sie es auf den großen Krach mit Brüssel an, um später die Kontinentaleuropäer für die zu erwartenden Schäden verantwortlich machen zu können.

Die am 13. Februar bekanntgegebene Kabinettsumbildung zeigt deutlich, in welche unheilvolle Richtung Johnson und Cummings Großbritannien steuern. Schatzmeister Sajid Javid wurde entlassen, nicht zuletzt weil er aus Rücksicht auf die City of London, die 2019 für Großbritannien in Sachen Finanzdienstleistungen gegenüber den restlichen EU-Staaten einen Handelsüberschuß von sage und schreibe 69 Milliarden Pfund, umgerechnet 82 Milliarden Euro, erzielt hatte, gegen eine allzu konfrontativ-aggressive Position bei den kommenden Verhandlungen plädiert und sich damit Cummings zum Feind gemacht hatte. Neuer Finanzminister wurde Rishi Sunak, der als langjähriger Kumpel Johnsons gilt und der zudem der führende Verfechter jener neuen "Freihäfen" - Steueroasen mit niedrigen Löhnen und Zöllen - ist, mittels derer Großbritannien sich entscheidende Vorteile gegenüber der EU verschaffen will.

Bei der Kabinettsumbildung wurden auch Nordirlandminister Julian Smith und Justizminister Geoffrey Cox auf die Hinterbänke im Unterhaus verbannt. Die Entlassung Smiths hat in Dublin und Belfast Verwunderung und Enttäuschung deshalb ausgelöst, weil der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer Theresa Mays als kompetentester Nordirlandminister seit langem galt, der mit protestantischen Unionisten und katholischen Nationalisten gleichermaßen gut umgehen konnte - wofür der Ende Januar erzielte Erfolg der von ihm geleiteten Gespräche über die Wiederbelebung von Regionalparlament und interkonfessioneller Autonomieregierung in Belfast stilles Zeugnis ablegte.

Nach der Demission Smiths wurden Spekulationen laut, Johnson hätte ihm nach nur 200 Tagen im Amt entlassen, weil er im Rahmen der Gespräche in Belfast eine zu weitgehende Untersuchung von Mordfällen aus der Zeit des nordirischen Bürgerkriegs, bei denen eine Verwicklung britischer Soldaten oder Geheimdienstagenten vermutet wird, versprochen hätte. Gleichzeitig gab es auch die Vermutung, Smith mußte gehen, weil Johnson und Cummings gegen seinen Rat die Nordirland-Problematik, die drei Jahre lang die Brexit-Verhandlungen gelähmt hatte, neu entfachen wollten. Für diese These sprechen die Angaben eines Berichts der Sunday Times vom 23. Februar über die Gründe für die Entlassung von Cox als Justizminister und dessen Ersetzung durch die EU-feindliche Suelle Braverman. Dazu die Sunday Times:

Boris Johnsons Brexit-Team hat die Anweisung erhalten, Pläne "zur Umgehung" des Nordirland-Protokolls im Brexit-Austrittsabkommen auszuarbeiten, damit der Premierminister gegenüber Brüssel in Sachen Handel mit ganz harten Bandagen kämpfen kann. Beamte in der Taskforce Europe, die von Johnsons EU-Verhandlungsführer David Frost geleitet wird, arbeiten heimlich an Vorschlägen, die sicherstellen sollen, daß keine Warenkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland erforderlich sein werden.

Sie glauben, daß die neue Justizministerin Suella Braverman ein Rechtsgutachten zur Rechtfertigung der Maßnahme erstellen könnte. Insider behaupten, sie hat den Posten deshalb bekommen, weil ihr Vorgänger nicht bereit war, Schritte zu billigen, die man in Brüssel als Verstoß gegen das Austrittsabkommen empfinden könnte.

Die Angaben der Times finden ihre Bestätigung in der bemerkenswerten Rede, mit der am 19. Februar in Brüssel besagter David Frost der EU einen deutlichen Warnschuß vor den Bug gab. Johnsons Brexit-Chefunterhändler erklärte, Ziel Großbritanniens sei ein Freihandelsabkommen ähnlich dem zwischen EU und Kanada. Er erteilte der Aussicht auf eine große ordnungspolitische Übereinstimmung zwischen britischen und europäischen Regeln, die aus Sicht von Brüssel für den Zugang zum EU-Binnenmarkt erforderlich wäre, eine Absage und lobpreiste die neuen Standards, die London in den kommenden Jahren nach eigenem Gutdünken erlassen werde und die Großbritannien in Sachen "neuer Sektoren, neuer Ideen und neuer Bedingungen" einen "riesigen Vorteil" gegenüber der EU verschaffen sollten. Frost gab sich zuversichtlich, daß der Brexit das Vereinigte Königreich nicht schwächen, sondern stärken werde und stellte unmißverständlich klar, er verhandele auch im Namen Nordirlands.

In Brüssel, Berlin, Dublin und Paris hat die feindselige Positionierung Londons im Vorfeld der Handelsgespräche, die unter anderem auf einen Bruch der Zusagen Johnsons in bezug auf das Nordirland-Protokoll hinausläuft, Enttäuschung und Verärgerung ausgelöst. EU-Chefunterhändler Michel Barnier aus Frankreich hat die Forderung Frosts nach einem Freihandelsabkommen nach Art Kanadas mit der EU als völlig inakzeptabel zurückgewiesen. Vor Beginn der Sitzung des Rats für Allgemeine Angelegenheiten am 25. Februar in Brüssel forderte der deutsche Europaminister Michael Roth die Johnson-Regierung dazu auf, ihre Verpflichtungen nach dem Withdrawal Agreement einzuhalten. Der irische Außenminister Simon Coveney erinnerte daran, daß es sich hier um einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag handele und warnte London, daß die Bereitschaft der EU, dem Vereinigten Königreich günstige Handelsbeziehungen einzuräumen, gegen Null sinken werde, sollten die britischen Behörden nicht bereits in den kommenden Monaten mit den erforderlichen Vorbereitungen auf Warenkontrollen an den See- und Lufthäfen beiderseits der Irischen See beginnen.

25. Februar 2020


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