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PARTEIEN/407: Belfast - wo gezündelt wird, gibt's Explosionen ... (SB)


Belfast - wo gezündelt wird, gibt's Explosionen ...


Spott, Häme und Schadenfreude begleiten den aktuellen Super-GAU bei der Democratic Unionist Party (DUP), der - noch - größten protestantisch-probritischen Partei Nordirlands. Die vor 50 Jahren von dem stimmgewaltigen, freipresbyterianischen Pfarrer Ian Paisley gegründete und lange von ihm geführte DUP hat am 27. Mai ihre allererste Kampfabstimmung um den Parteivorsitz absolviert. Das Ergebnis waren Chaos, Zwist und Unversöhnlichkeit. Angesichts des offenen Hauens und Stechens, das die Kür des neuen DUP-Chefs begleitet hatte, sprach im Belfast Telegraph dessen leitender Politikredakteur Sam McBride von einem "Blutbad", während der populäre Publizist und Kommentator Alex Kane auf seinem eigenen Blog über "die Borgias auf Koks" witzelte.

Die Dankesrede des Siegers, Edwin Poots, wurde vom unterlegenen Bewerber Jeffrey Donaldson und der scheidenden DUP-Vorsitzenden Arlene Foster demonstrativ boykottiert. Beide verließen sichtlich verärgert und unter Blitzlichtgewitter das Belfaster Crowne Plaza Hotel, in dem der Miniparteitag stattfand. Wie die Kameras der BBC zeigten, war während der Rede Poots' rund die Hälfte der Sitze im Saal leer. Aus Verärgerung darüber, wie sie vor wenigen Wochen mittels einer niederträchtigen Intrige geschaßt worden war, will Foster die DUP gänzlich verlassen. Viele Mitglieder ihres Ortsvereins im ländlichen Fermanagh and South Tyrone wollen ihr angeblich folgen. Donaldson hat offiziell eine Beschwerde beim Police Service of Northern Ireland (PSNI) eingereicht, weil seine Unterstützer im Vorfeld der Kampfabstimmung per SMS und Email offene Drohungen seitens loyalistischer Paramilitärs erhalten haben. Eine Spaltung der DUP bzw. die Abwanderung einiger prominenter Amtsträger zu der liberalen Ulster Unionist Party (UUP) unter dem Vorsitz des gemäßigten Doug Beattie kann nicht ausgeschlossen werden.


Wandmalerei der Ulster Defence Association (UDA) an der Lower Newtownards Road - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ulsters protestantische Untergrundarmeen machen Werbung für sich
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der politische Scherbenhaufen, vor dem Poots und seine treuen Nibelungen, allen voran Ian Paisley jun. und Sammy Wilson, nun stehen, ist eine Spätfolge des umstrittenen Entschlusses der DUP, sich 2016 für den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union stark zu machen. Bei jener Volksbefragung hat ähnlich wie in Schottland eine Mehrheit der Menschen in Nordirland für den Verbleib in der EU votiert. Dessen ungeachtet hat sich die DUP bei den Beratungen zwischen London und Brüssel stets für den radikalsten Brexit in der Hoffnung stark gemacht, dadurch die Wiedererrichtung einer harten Grenze zur Republik Irland herbeiführen und somit das langsame, aber unaufhaltsame Zusammenwachsen beider Teile der Insel seit dem Karfreitagsabkommen 1998 zum Erliegen bringen zu können. Dies erklärt, warum die DUP, ab 2017 mit ihren zehn Abgeordneten im britischen Unterhaus Mehrheitsbeschafferin der konservativen Minderheitsregierung in London, Premierministerin Theresa May mehrmals daran gehindert hat, eine Brexit-Lösung mit der EU zu vereinbaren, welche das Vereinigte Königreich im europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion belassen hätte.

Groß war der Jubel bei Foster, Donaldson, Poots, Wilson, Paisley et al, als im Sommer 2019 May entnervt das Handtuch warf und der vermeintliche Verbündete und Freund Boris Johnson in die Number 10 Downing Street einzog. Einige Monate zuvor war der berüchtigte Schürzenjäger auf dem DUP-Parteitag in Belfast als Held der Union und EU-Drachentöter in spe gefeiert worden. Bei diesem Anlaß hatte der ehemalige Brüssel-Korrespondent des Daily Telegraph den Protestanten Nordirlands ewige Treue geschworen. Doch die Liebesbekundungen des mehrfachen Ehebrechers waren, wie nicht anders zu erwarten, von ganz kurzer Haltbarkeit. Unfähig, die Quadratur des Kreises "Brexit means Brexit" auf andere Weise hinzubekommen, erzielte Johnson im Oktober 2019 bei einem Treffen nahe Liverpool mit dem damaligen irischen Premierminister Leo Varadkar eine Einigung, die Großbritannien aus Zollunion und Binnenmarkt mit der EU herausriß, Nordirland aber drinließ und zu guter Letzt die künftigen Grenzkontrollen an den Flug- und Fährhäfen Nordirlands vorsah. Die DUP war vom englischen Vorsitzenden der Conservative and Unionist Party of Great Britain regelrecht düpiert worden. Als Johnson einen Monat später mit dieser Brexit-Lösung die britischen Unterhauswahlen mit einer Mehrheit von rund 80 Sitzen haushoch gewann, stand die DUP-Führung wirklich dumm da.

Im Januar 2021 - nach einem Jahr Schonfrist - traten die neuen Post-Brexit-Regeln in Kraft. Anfangs sah es so aus, als habe sich die DUP mit dem Northern Ireland Protocol (NIP) - so lautet der Oberbegriff für die neuen Grenzkontrollen - abgefunden und wolle das Beste aus der veränderten Situation machen. Doch das änderte sich schlagartig, als Anfang Februar eine Umfrage veröffentlicht wurde, derzufolge sich die Popularitätswerte der DUP im Sturzflug befinden. Seither laufen DUP, Oranier Orden und die loyalistischen Paramilitärs gegen das NIP Sturm. Letztere haben einen ganz besonderen Grund, mit den neuen Grenzkontrollen in Larne und Belfast unzufrieden zu sein: Die South East Antrim Brigade der Ulster Defence Association (UDA) soll regelmäßig größere Lieferungen illegaler Drogen aus Großbritannien über die dortigen Hafenterminals erhalten. Wegen der angeblichen Ungleichstellung der nordirischen Protestanten nach dem NIP haben der Oranier-Orden und das Loyalist Communities Council (LCC), der Dachverband der illegalen, protestantischen Untergrundarmeen, ihr Bekenntnis zum Friedensprozeß und zum Karfreitagsabkommen zurückgezogen. In April kam es bei Anti-NIP-Protesten in den protestantischen Vierteln von Belfast zu den heftigsten Unruhen seit Jahren. Schon jetzt rechnen alle in Nordirland mit schweren Ausschreitungen am Rande der diesjährigen Marschsaison des Oranier-Ordens, die bekanntlich am 12. Juli, "The Twelfth", ihren Höhepunkt erreicht.


Teilabschitt des großen Oranierumzugs durch das Stadtzentrum von Belfast - Foto: © 2018 by Schattenblick

Logenbrüder des Oranierordens marschieren am 12. Juli durch Belfast
Foto: © 2018 by Schattenblick

Wie sich die DUP oder auch die politische Konstellation in Nordirland in rund sechs Wochen präsentieren wird, weiß niemand. Nach dem Rücktritt Fosters behält die DUP weiterhin den Anspruch auf den Posten des Ersten Premierministers Nordirlands. Poots will dieses Amt angeblich nicht übernehmen, sondern es stattdessen mit seinem DUP-Kollegen Paul Givan besetzen. Koalitionspartnerin Sinn Féin, die größte nationalistisch-katholische Partei in der Belfaster Provinzregierung, muß jedoch der Personalie formell ihre Zustimmung erteilen. Sie könnte die Zustimmung auch vorenthalten, sollten Poots und Givan sich weigern, die frühere Vereinbarung zur Aufwertung der gälischen Sprache - eine Kernforderung Sinn Féins - einzuhalten. In einem solchen Fall stünden im Herbst Neuwahlen zur Regionalversammlung an. Wenngleich die desolate Lage der DUP Neuwahlen zu einen solchen Zeitpunkt für Sinn Féin attraktiv macht, wäre die Leitung des einstigen politischen Arms der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) besser beraten, am geplanten Termin im Mai 2022 festzuhalten. Denn je mehr Zeit ins Land geht, ohne daß London und Brüssel das NIP der DUP zuliebe abschaffen, um so schwächer wird das Sammelbecken der Ewiggestrigen in den Augen der meisten protestantischen Wähler erscheinen und um so attraktiver die Stimmabgabe für die UUP oder die konfessionsunabhängige Alliance Party. In der Tat sieht es momentan so aus, als habe die ewige "No Surrender"-Parole der DUP endlich ausgedient.

1. Juni 2021


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